Die Anschläge von Oslo und Utøya waren ein sehr deutliches Signal für die Gefahr durch den Rechtsextremismus. Doch was tun gegen Rechts? Welche Strategien können erfolgreich sein? Der fünfte und letzte Teil unserer Serie zum europäischen Rechtsextremismus.
Oslo und Utøya sind besonders blutige Ausdrücke einer Strategie innerhalb des rechtsextremen und faschistischen Spektrums. Es ist die Strategie jener, die den Weg zum „Erfolg“ in einer militanten Konfrontation mit ihren GegnerInnen oder ihren Feindbildern sehen. Zu dieser Fraktion gehört Anders Breivik genauso wie die ungarischen FaschistInnen und ihr Kampf gegen Roma/Romnija, Teile der deutschen Naziszene mit ihrer Strategie der „National befreiten Zonen“ oder die österreichischen Nazis mit ihren Anschlägen auf Flüchtlingsheime.
Strukturen aufbauen
Im Umgang mit dem militanten Rechtsextremismus werden wir in Zukunft unsere Veranstaltungen, Demonstrationen, Strukturen noch besser schützen müssen. Es ist klar, dass es heute gegen einen Massenmörder mit schwerer Bewaffnung keinen Schutz gibt. Das muss nicht prinzipiell so sein: in Spanien 1936 hätte wohl kaum ein faschistischer Attentäter fast eine Stunde auf die TeilnehmerInnen eines linken Jugendlagers feuern können, ohne selbst recht schnell erschossen zu werden.
In dieser Lage sind wir aktuell nicht. Das ist aber keine Rechtfertigung dafür, auch heute real mögliche, notwendige und sinnvolle Maßnahmen zu unterlassen. Wir brauchen gut organisierte OrdnerInnendienste und einen gut organisierten Demo- und Veranstaltungsschutz. Wir müssen dazu in der Lage sein, rechtsextreme Angriffe und Übergriffe eindeutig und nachhaltig zu beantworten.
Große und wichtige rechtsextreme Mobilisierungen sollten auch mit entsprechenden Gegenmobilisierungen beantwortet werden. Zentrale Mobilisierungen wie etwa Dresden 2010 und 2011 können eine Rolle dabei spielen, die Rechtsextremen und Nazis in die Defensive zu drängen – wir sollten aber sicher nicht jedem Nazi-Infotisch hinterherjagen und uns so einerseits auf eine „militärische“ Logik des Katz-und-Maus-Spiels einlassen und uns andererseits die Agenda für unser politisches Handeln und unsere Themen vorgeben lassen.
Beim Kampf gegen den Faschismus geht es allerdings nicht nur um Nazi-Glatzköpfe. Es geht um eine gesellschaftliche Situation und es geht um die Frage, wie wir dieser Situation und der rassistischen Stimmung am besten begegnen. Antifa-Straßenkampf ist da keine ausreichende politische Antwort.
Verschiedene Elemente bedenken
Es wäre auch verfehlt, eine Strategie gegen Rechts vor allem auf den jüngsten Anschlägen aufzubauen. Denn eine solche Strategie, die sich vor allem auf rechtsextreme Militanz konzentriert, würde sehr vieles gar nicht fassen können. Wir müssen zumindest vier weitere wichtige Elemente ins Auge fassen: Zum ersten den Rechtspopulimus/Rechtsextremismus, der in vielen Ländern Europas von breiteren Schichten gewählt wird, zum zweiten den gesellschaftlichen Einfluss rassistischer und autoritärer Ideen (der meist deutlich über der jeweiligen WählerInnenbasis der Rechtsextremen liegt), zum dritten die Verantwortung der reformistischen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung und ihr oft rassistisches Agieren und zum vierten den staatlichen Rassismus.
Wir haben in den vorherigen Teilen unserer Serie das Aufkommen rechtsextremer Parteien aus dem Niedergang der alten Parteibindungen, vor allem zu den reformistischen ArbeiterInnenparteien nachgezeichnet. Hier ist natürlich auch eine wesentliche Grundlage für den erfolgreichen Kampf gegen Rechts gegeben.
Glaubhaft Widersprüche aufdecken
Natürlich müssen wir dem Konzept des Rassismus immer das Konzept der Solidarität gegenübersetzen. Doch zu glauben, dass wir den Menschen nur zeigen müssen, dass die Parteien der Rechten rechts und rassistisch sind, ist blauäugig. Auch der zwanzigste aufgedeckte Naziskandal wird etwa die WählerInnen der FPÖ oder der SVP nicht beeindrucken – die WählerInnen wissen das und akzeptieren es (wenn sie es nicht ohnehin unterstützen).
Jede Strategie, die den Einfluss rechtsextremer Wahlparteien zurückdrängen will, muss die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen. In vielen Ländern sind die scheinbar sozial radikalsten Parteien (die auch wahrgenommen werden) jene von Rechts außen – tatsächlich aber genügt in den meisten Fällen ein Blick in das Programm dieser Parteien, um ihre neoliberale Agenda zu erkennen. Und genau diesen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit gilt es zu vermitteln. Dazu braucht es natürlich eine Linke, die das glaubhaft vermitteln kann.
Und genau hier ist bereits der Pferdefuß zu finden. Die traditionellen sozialdemokratischen und „kommunistischen“ Parteien sind oder waren in den meisten Fällen in den letzten zwei Jahrzehnten unmittelbar verantwortlich für Sozialabbau-Maßnahmen. Auch scheinbar „orthodoxe“ Parteien wie die stalinistische griechische Kommunistische Partei (KKE) sind hier nicht auszunehmen, die KKE etwa ging sogar eine Koalition mit der rechtskonservativen Nea Dimokratia ein. Und auch viele neu entstandene Formationen von links haben den Test nicht bestanden. Zu nennen wären etwa die Rifondaziona Comunista in Italien oder die LINKE in Deutschland – beide haben sich auf Landesebene oder regional an Sozialabbauregierungen beteiligt und wurden dafür bestraft.
Und so bleiben die Rechtsextremen und FaschistInnen die einzigen, die glaubhaft Druck machen können – natürlich nur, solange sie nicht selbst an die Regierung kommen, wie die FPÖ von 2000 – 2006 in Österreich gezeigt hat. Doch selbst dann schaffen sie es, falls es keine glaubwürdige Alternative gibt, sich in der Opposition zu regenerieren – wie wiederum die FPÖ zeigt. Und immerhin können die Rechten anführen, dass sie während ihrer Regierungszeit die Bedingungen für MigrantInnen real verschlechtert haben, also zumindest versucht haben, ihre Wahlversprechen umzusetzen.
Es braucht also eine Linke, die glaubwürdig und klar soziale Fragen vermittelt und sich nicht mit den angeblichen Sachzwängen korrumpieren lässt – oder/und wie die Grünen als Partei der Besserverdienenden die Masse der Lohnabhängigen ohnehin abgeschrieben hat.
Rassismus geht über extreme Rechte hinaus
Die extreme Rechte hat auf Wahlebene in vielen Ländern enormen Zulauf. Die Stimmenanteile gehen dabei bis zu 30%. Über 20% sind es (bei Wahlen oder in aktuellen Umfragen) in Frankreich, Norwegen, Österreich, Schweiz, Serbien und in der Vergangenheit in Polen. Zwischen 10% und 20% sind es in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Kroatien, Niederlande, Portugal, Russland und Ungarn.
Die extreme Rechte kann aber weit über ihre Stimmenanteile hinaus Einfluss gewinnen. Eine Möglichkeit sind Regierungsbeteiligungen oder die Duldung von Minderheitsregierungen, wie es sie in einer Reihe von Ländern gibt (Niederlande, mit Einschränkungen Schweiz) oder gab (Dänemark, Norwegen, Österreich, Serbien, Slowakei).
Eine weitere und weit wichtigere Ebene ist die Verschiebung des gesellschaftlichen Klimas nach Rechts. Das manifestiert sich dann etwa im Verbot von „Burkas“ in Belgien und Frankreich, dem jüngst verabschiedeten Verbot in Frankreich, auf der Straße zu beten (das aus Mangel an Gebetsräumen primär Moslems trifft und auf katholische Prozessionen wohl kaum angewandt werden wird) oder das Minarett-Verbot per Volksabstimmung in der Schweiz.
Es wäre also verkürzt, zu denken, dass Stimmenverluste der Rechten allein das Problem lösen. Es geht natürlich auch um die rassistischen Ideen, die überhaupt erst dazu führen, dass „rechts“ gewählt wird. Dieser Kampf ist weit schwerer zu führen, denn hier haben wir nicht nur die extreme Rechte gegen uns, sondern den gesellschaftlichen Mainstream, von Rechtsaußen über Konservative und Sozialdemokratie bis zu den Grünen (die ebenso für Einwanderungskontrollen und somit für die Trennung in „gute“ und „böse“ MigrantInnen stehen).
Es wäre also eine gefährliche Verkürzung, die Frage des Rechtsextremismus auf diese Parteien zu reduzieren. „Die Rechte hetzt, der Staat schiebt ab“, heißt es zu Recht. Und so tragen die sozialdemokratischen und konservativen Parteien eine mindestens ebenso große Schuld wie die Rechtsextremen – denn die „Festung Europa“ kostet in jedem Jahr weit mehr Menschen das Leben als alle rechtsextremen Anschläge seit 1945.
Allein im Golf von Sizilien sind in den letzten 10 Jahren rund 10.000 Menschen ertrunken, verdurstet oder erstickt. Und die Vielzahl von migrantInnenfeindlichen Gesetzen wurde ebenfalls von sozialdemokratisch bzw. konservativ geführten Regierungen umgesetzt.
Strategien im Kampf gegen Rechts
Wir brauchen also eigentlich mehrere Strategien: eine gegen die militante Rechte, eine gegen den populistischen Rechtsextremismus und eine gegen den grassierenden Rassismus.
Und hier ist wiederum die soziale Frage der entscheidende Punkt, denn nur sie kann alle drei Ebenen fassen. Mit humanistischen Appellen im Gleichklang mit den neoliberalen Regierungen und ihren Medien werden wir wenige überzeugen. Wir brauchen vielmehr eine fassbare und realistische Alternative zur rassistischen Hetze. Wir müssen erklären, wer von miserablen Löhnen und überhöhten Mieten für MigrantInnen profitiert, wir müssen erklären, dass niedrige Löhne und hohe Mieten für Einzelne Lohndruck und Mietdruck für alle arbeitenden Menschen bedeuten.
Der Klassenkampf ist der entscheidende Hebel, um gegen die Nazis und Rechtsextremen vorzugehen. Wir brauchen die Lohnabhängigen, die ArbeiterInnenklasse – denn die Arbeitenden, das sind diejenigen, die die Gesellschaft am Funktionieren halten, aber auch zum Erliegen bringen können.
Und in sozialen Kämpfen zeigt sich für die KollegInnen auch sehr schnell, wo ihre wahren Verbündeten sind: Die Rechtsextremen und Nazis werden sich schnell abwenden, wenn sie denn überhaupt an die Werkstore finden. Auf der anderen Seite stehen in solchen Kämpfen KollegInnen verschiedener Herkunft gemeinsam für ihre Rechte ein und gehen gemeinsam auf die Straße – und werden wenig Verständnis für eine Spaltung und damit Schwächung der Streikfront sowie für Attacken auf ihre KollegInnen in der Streikpostenkette aufbringen.
Natürlich kann es hier auch Ausnahmen geben, wo Rechtsextreme versuchen werden, betrieblich Einfluss zu gewinnen. Und gerade gut verankerte rechtsextreme Parteien sind auch daran interessiert, sich in Betrieben und Gewerkschaften zu verankern. Und so gibt es etwa in Österreich in einer Reihe von Betrieben FPÖ-BetriebsrätInnen. Als ein Beispiel seien die Wiener Verkehrsbetriebe (Wiener Linien) genannt, wo die FPÖ mit 10% der Stimmen teilweise ganz gut verankert (allerdings gibt es hier mit über 7% auch ein sehr gutes Ergebnis des KPÖ-nahen Gewerkschaftlichen Linksblocks). Die FPÖ tritt hier gegen die alles dominierende (und mit der Geschäftsleitung zusammenarbeitende) sozialdemokratische Gewerkschaftsführung auf. Doch auch das funktioniert vor allem deshalb, weil es hier keinerlei soziale Kämpfe gibt, die zeigen, wo die einzelnen Parteien wirklich stehen.
Auf die Wahlebene konzentrieren?
Viele Linke sehen die Verhinderung eines Rechtsrucks als eine der wichtigsten Aufgaben an. Linke und linksradikale Kräfte haben natürlich ein grundsätzliches Interesse daran, dass recht(sextrem)e Kräfte möglichst schwach sind. Oftmals zielen Kampagnen, zumindest indirekt, vor allem auf die Schwächung rechter Parteien bei Wahlen ab. Dabei wird einerseits übersehen, dass bürgerliche Wahlen im Klassenkampf und der gesellschaftlichen Gesamtsituation nicht die entscheidende Rolle spielen.
Weit zentraler aber: Wir sehen immer wieder Kampagnen linker Organisationen, die dazu auffordern, „gegen“ FPÖ, SVP, NPD, … zu wählen und dann (direkt oder indirekt) daraus schließen, dass es wenig relevant sei, wer stattdessen die Stimmen bekommt – Hauptsache, die Stimmen gehen nicht an die Rechtextremen. Solche Kampagnen verkommen eben folgerichtig, oft auch aus Mangel an Alternativen, häufig zur Unterstützung von etablierten Parteien als vermeintlich „kleinerem Übel“. Dann werden jene Kräfte unterstützt, die seit Jahrzehnten selbst rassistische Politik betreiben, den staatlichen Rassismus mitbeschließen und die ArbeiterInnen durch ihren Verrat in die Hände der Rechten treiben.
Nicht selten wird darauf „vergessen“ den Widerstand gegen Rechts in eine antikapitalistische Gesamtausrichtung einzubetten; gerade auch in der Propaganda. Ein Grund dafür liegt wohl auch darin, dass antifaschistische und antirassistische Arbeit oft, in einer moralisierenden Weise, als „besonders wichtig“ und „besonders notwendig“ dargestellt wird.
Klar ist jedoch, dass linke/linksradikale Organisationen ohnehin nur über begrenzte Möglichkeiten verfügen. Das Setzen von Schwerpunkten in der politischen Arbeit darf aber nicht nach moralischen Gesichtspunkten, wonach rechte Parteien gegenüber dem normalen kapitalistischen Wahnsinn und Elend „besonders schlimm“ wären, erfolgen. Vielmehr brauchen wir eine längerfristige Strategie, die den Kampf gegen Rechts mit einer revolutionären Perspektive und der Verankerung in der ArbeiterInnenklasse verbindet.
Mit wem gegen Rechts kämpfen?
Im Kampf gegen Rechtsextreme und ihre Mobilisierungen orientieren sich heute viele AntifaschistInnen auf ein Bündnis „aller DemokratInnen“, weil sie sich so eine möglichst breite Front gegen die Nazis erhoffen. Real landen sie dann in einer Front mit dem neoliberalen Establishment, das für die sozialen Angriffe (und den Rassismus) verantwortlich ist.
Dabei geht aber nur zu oft ein eigenständiges, antikapitalistisches Profil verloren oder wird, um mögliche (bürgerliche) BündnispartnerInnen nicht abzuschrecken, aufgegeben oder zurückgesteckt. Dabei wird der Vereinnahmung durch bürgerliche Kräfte Tür und Tor geöffnet und die Integration in den offiziellen „antirassistischen“ Mainstream, der die rassistischen Maßnahmen und Strukturen kaschieren soll, ermöglicht.
Freilich kann es linken und linksradikalen Kräften auch zu Gute kommen, wenn eine breite Bewegung antirassistische Propaganda betreibt. Der Aufbau einer solchen ohne ein antikapitalistisches Profil kann jedoch nicht die Aufgabe von RevolutionärInnen sein. Antirassistische und antifaschistische Propaganda darf nicht getrennt von einer antikapitalistischen Ausrichtung stattfinden. Etappenkonzepte, die zunächst darauf abzielen, die Rechten auf der Wahlebene zu schwächen, eine diffuse Bewegung/Linke aufzubauen und später dann irgendwann (wann genau?) eine Radikalisierung voran zu treiben, sind zum Scheitern verurteilt, da sie keine reale Alternative aufzeigen.
Zentral sind also nicht Wahlergebnisse, irgendwelche Bewegungen oder kreative Aktionen, sondern vielmehr die politische Lage innerhalb der Lohnabhängigen selbst. Diese kann nur durch die kontinuierliche Arbeit und Präsenz von revolutionären Kräften in ihren Reihen verändert werden – und nicht durch die Unterstützung von reformistischen Kräften, die durch weiteren Verrat und Enttäuschungen rechten Kräften zuspielt.
Dabei kommt unser Widerstand gegen solche „breiten Bündnisse“ unter Einschluss bürgerlicher Kräfte nicht nur aus prinzipiellen Überlegungen, es sind auch ganz praktische Schlussfolgerungen: Denn die einzigen, die langfristig von einem solchen „Antifaschismus“ profitieren, sind die Rechtsextremen, die bequem „Antifaschismus“ mit der neoliberalen arbeiterInnenfeindlichen Politik gleichsetzen können.
Wir hingegen begreifen den Kampf gegen rechtsextreme und faschistische Formationen nicht als Bündnis der „DemokratInnen“, nicht als „Volksfront“, sondern als Teil des Klassenkampfes gegen das kapitalistische System, das diese Formationen hervorbringt. Wir dürfen nicht als VerteidigerInnen des herrschenden Systems erscheinen, sondern müssen uns als das präsentieren, was wir sind: die konsequenteste GegnerInnen des Kapitalismus in all seinen Formen!