Liberalismus 2.0. Die Politik der Piraten

Sie fordern eine Reform des Urheber- und Patentrechtes, wollen Datenschutz und Freiheitsrechte stärken und schreiben sich Transparenz und Mitbestimmung auf die Fahnen. Und kommen damit ziemlich gut an: Die Piraten. Erobern ein paar Computer-Nerds das politische System oder setzt das UnternehmerInnentum des digitalen Zeitalters die Segel, um etwas mehr von der Beute ab zu bekommen?

In Schweden stellen sie zwei Abgeordnete zum EU-Parlament, in Deutschland sitzen sie mittlerweile in vier Landesparlamenten und kommen bei bundesweiten Umfragen auf bis zu 13%.: Die Piraten, ein neues Phänomen in der politischen Landschaft.

Angespornt durch die ersten Erfolge haben sich in vielen Ländern Piratenparteien gebildet, so etwa auch in Österreich oder der Schweiz, wo sie mittlerweile jeweils in einem Stadtparlament sitzen (Innsbruck bzw. Winterthur). In Österreich würden die Piraten laut aktuellen Umfragen nach den nächsten Wahlen wie in Deutschland ins Parlament einziehen.

Offensichtlich handelt es sich hier auch einen Ausdruck der aktuellen tiefen Krise des Kapitalismus und seiner politischen Parteien. Es gibt die massive Sehnsucht nach etwas Neuem. Doch was dieses „Neue“ sein soll, ist völlig unklar. In solchen Zeiten kommt eine Partei mit Slogans wie „Lieber einen albernen Namen als lächerliche Politik“ natürlich gut rüber.

Liberalismus 2.0

Piraten waren in der Geschichte immer umstritten. Doch vom klassischen Piratenroman über die Totenkopfflagge auf St. Pauli bis zu den „Fluch der Karibik“-Filmen mit Johnny Depp hatte der Begriff immer auch eine positive, wenn auch verklärte Bedeutung. Der Pirat als Rebell, als Freiheitsheld oder gar als maritimer Robin Hood. Wohlgemerkt: so gut wie immer ein Mann!

Als Rebellen sehen sich auch die heutigen Piratenparteien. Augenzwinkernd haben sie sich so genannt, weil die Medienindustrie es in den letzten Jahren erfolgreich geschafft hat, dass das Kopieren von urheberrechtlich geschützten Daten als „Raub“ oder „Piraterie“ bezeichnet wird. Das ist natürlich Unsinn und eine Verhöhnung von Menschen, die Opfer von Raub geworden sind – also der gewaltsamen (!) Wegnahme fremder Sachen. Aber bekanntlich sind die KapitalistInnen nicht zimperlich, wenn sie ihre Profite in Gefahr sehen.

Um genau dieses Urheberrecht zu ändern sind die Piraten ursprünglich angetreten. Mit ihrem Wachstum und den sich einstellenden Erfolgen wurde es allerdings zunehmend notwendig, auch zu anderen gesellschaftlichen Bereichen Positionen zu entwickeln. Mittlerweile hat etwa die deutsche Piratenpartei auch ein Grundsatzprogramm erarbeitet. Sich daran abzuarbeiten fällt gar nicht so leicht, schließlich ist bei dieser Partei noch viel in Bewegung und gibt es zum Teil beträchtliche Widersprüche in den Forderungen der einzelnen Sektionen.

Während etwa die Berliner Piraten gegen die Privatisierung der S-Bahn eintreten, sprechen sich ihre KollegInnen in Nordrhein-Westfalen für mehr Wettbewerb im öffentlichen Verkehr aus. Für die Piraten im Saarland hatte die „Schuldenbremse“ im Wahlkampf „oberste Priorität“, gleichzeitig beinhaltet das Grundsatzprogramm die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Auch gibt es wohl keine vergleichbare politische Partei, wo Forderungen wie „Gesellschaftsstrukturen, die sich aus Geschlechterrollenbildern ergeben müssen überwunden werden“ und Typen wie Tobias Wandinger nebeneinander existieren. Wandinger betreibt in München Bezirkspolitik und in Oberösterreich ein Bordell.

Wer braucht eine Meinung?

Was anderswo ein Problem darstellt, wird bei den Piraten zur Tugend gemacht. Meinungsvielfalt und Widersprüchlichkeit sind Programm. Denn anders als die frühen ArbeiterInnenparteien, die durch gemeinsame Inhalte und Ziele geeint und ihre sozialdemokratischen NachfolgerInnen, die zumindest noch durch Tradition sowie zu vergebende Posten und Privilegien zusammengehalten wurden, ist der gemeinsame Nenner bei den Piraten die Methode, die Herangehensweise.

Sie versprechen Transparenz, BürgerInnenbeteiligung und einen neuen Politikstil – und kommen damit erstaunlich gut an. Ihr Erfolg ist die Schwäche der etablierten Parteien, die immer größeren Teilen der Bevölkerung keine Zukunftsperspektive mehr zu bieten haben. Ihr Wettern gegen eingefahrene Strukturen, gegen „Hinterzimmerpolitik“ und „Parteipolitik“ trifft den Zahn der Zeit. Weil es einerseits der richtigen Ansicht breiter Bevölkerungsschichten entspricht, keinen Einfluss auf politische Entscheidungen zu haben. Andererseits wird dieses – letztlich relativ harmlose – Wettern „gegen die Politiker “ aber auch von vielen Medien und anderen MeinungsmacherInnen ganz bewusst geschürt, um davon abzulenken, dass die Gesellschaft eben nicht von „Bürokraten“, sondern von Banken und Konzernen reagiert wird, die auf Kosten der arbeitenden Menschen immer reicher und reicher werden.

Um es auf den Punkt zu bringen, geht es den Piraten darum, dem kränkelnden Parlamentarismus durch Transparenz und Mitbestimmung neues Leben einzuhauchen. Zum Beispiel mittels Live-Übertragungen von politischen Sitzungen oder der Software „Liquid Feedback“ die politische Meinungs- und Entscheidungsfindung im Internet vereinfachen soll. Eine Herangehensweise, die letztendlich jenem Ingenieursgeist entspricht, der meint, soziale Probleme durch die Optimierung von Techniken und Verfahrensweisen lösen zu können.

Denn was ändert es denn, wenn wir nun die Möglichkeit hätten „Kandidaten verschiedener Parteien zu wählen“ (Grundsatzprogramm der deutschen Piratenpartei) und deren Wirken im Parlament über einen Live-Stream verfolgen zu können? Nicht viel, solange die wirklich relevanten Entscheidungen, etwa über Investitionen, Standortverlagerungen oder Massenentlassungen, weiterhin von den großen Banken und Konzernen getroffen werden. Ganz abgesehen davon, dass es die Möglichkeit, KandidatInnen verschiedener Parteien zu wählen, bereits jetzt gibt.

Der Erfolg der Piraten beruht derzeit stark auf ihrer Nicht-Programmatik. Forsa-Chef Güllner erläuterte in einem Interview: „Das sind Menschen mit unterschiedlichen Interessen und unterschiedlichen Wertvorstellungen, es sind aber keine Radikalen. Sie ordnen sich viel weiter in der Mitte ein als SPD-, Grünen- oder Linke-Anhänger und etwas mehr links als die Anhänger von CDU und FDP. Und die Sympathisanten kommen von allen Parteien, nicht nur von Grünen und Linken sondern auch von der Union, auch von der FDP und – etwas überproportional – aus dem Nichtwählerlager.“

Im Klartext: Im Durchschnitt sind die WählerInnen „in der Mitte“, also decken die Piraten offenbar ein sehr breites Spektrum ab. Jede/r kann sich in diese Partei hineininterpretieren, was er oder sie gerade möchte, Totenkopf-Fahne und Augenklappe inklusive. In dem Ausmaß, in dem die Piraten durch öffentliche Ämter auch gezwungen sein werden, sich jenseits der Frage des freien Internets zu äußern, werden sie also auch wieder Stimmen verlieren. Sie werden dann im politischen Spektrum einordenbar werden – und damit werden ihre WählerInnen entscheiden müssen, ob sie diese oder jene Forderung oder Abstimmung auch mittragen können.

Facebook-Demokratie

Auch die digitale Kommunikation ist nicht unbedingt ein Wert an sich, sondern zu aller erst einmal ein technischen Verfahren, bei dem es auf die konkrete Anwendung ankommt. Soziale Netzwerke im Internet können natürlich dazu verwendet werden, sich politisch mit Menschen in aller Welt zu vernetzen und Aktionen zu planen. Sie können aber gleichzeitig auch dazu dienen, seine 350 „FreundInnen“ mit Katzenvideos und Farmville-Anfragen zu nerven.

Wer diese Ambivalenz nicht sieht, läuft schnell Gefahr, in naive Illusionen zu verfallen, wie sie sich im Grundsatzprogramm der deutschen Piraten nur so aneinanderreihen. Da heißt es dann, „der freie Informationsfluss“ würde „mündige Bürger“ schaffen, „die in der Lage sind ihre Freiheit wirkungsvoll gegen totalitäre Tendenzen zu verteidigen.“ Außerdem würde der Zugang zur digitalen Kommunikation es ermöglichen, „voll am sozialen Leben teilzuhaben, frei zu publizieren, sich Zugang zu öffentlichen Informationen zu verschaffen und sich damit weiterzubilden, sowie sich auch online wirtschaftlich oder kulturell zu betätigen.“

So viel Naivität ist fast schon haarsträubend, wenn wir bedenken, wie sich viele Menschen heute im Internet ihre Meinung bilden. Und da geht es gar nicht um Personen mit „niedrigem Bildungsstand“, jene also, auf die die „kritische“ Intelligenzia so gern herabschaut, weil sie Boulevardmedien lesen und Fast Food essen. Es geht hier zum Beispiel um die Szene der „Blogger“. Deren sogenannte „Shit-Storms“, massenhafte Online-Hetze gegen Personen oder Institutionen, wo Fakten, Halbwahrheiten und dümmliche Polemiken munter vermischt werden, erinnern eher an den mittelalterlichen Mob, der Sündenböcke am nächstbesten Baum aufknüpft, als an die „mündigen Bürger“ der Piraten.

Natürlich können aufgemotzte Online-Foren wie Liquid Feedback die Mitbestimmung erleichtern. Aber für wen? Auch wenn beide Zugang zum Internet haben– also formal die gleichen Möglichkeiten – so wird doch der studierte Software-Entwickler, der den ganzen Tag online ist, real ganz anders mitwirken können als die ungelernte Reinigungskraft, die sich spätabends müde vor den Fernseher fallen lässt, anstatt ihren Computer noch aufzudrehen. In der Arbeitswelt, in der ohnehin kaum noch Zeit zum Verschnaufen bleibt, ist die kritiklose Huldigung der beschleunigten Kommunikation und Debatte jedenfalls nicht der Weisheit letzter Schluss.

„Bei uns können alle kandidieren und mitbestimmen, wir haben kein Delegiertensystem“ wiederholen Piraten-PolitikerInnen immer wieder stolz. Das hört sich sehr sympathisch an, keine Frage. Im Gegensatz zur Sozialdemokratie, wo sich auf Parteitagen höchstens entscheidet, ob der im Voraus bestimmte Vorsitzende 90 oder 95% der Stimmen bekommt. Allerdings, beim vergangenen Parteitag der deutschen Piratenpartei waren 2000 Mitglieder – von 26.000. Ohne ein System von Delegierten muss so eine Veranstaltung zwangsläufig jene privilegieren, die mehr Zeit und Geld haben, um sich in der Freizeit der Politik widmen zu können. Es kann also real nicht jeder und jede mitbestimmen.

Zornige junge Männer oder Digital Bohème. Wer sind die Piraten?

Wer sich unter den WählerInnen und Aktiven der Piraten nur ein paar Internet-Nerds vorstellt, deren tägliche Highlights zwischen Tiefkühlpizza, Online-Gaming und dem Eindringen in geschützte Netzwerke pendeln, macht es sich zu einfach. Dennoch aber ergibt sich allen Umfragen und Studien zu Folge ein relativ klares Bild: Junge Männer machen das Gros der AnhängerInnenschaft aus.

Und auch bei den FunktionärInnen ist es nicht anders, an der Spitze der Partei finden sich kaum Frauen. Unter den 15 Abgeordneten der Berliner Piratenpartei ist nur eine Frau. Spitzenkandidat Andreas Baum erklärt sich das folgendermaßen: „Die Frauen wollen halt nicht so in der ersten Reihe stehen, da muss man dann ja manchmal vor hundert oder tausend Leuten sprechen.“ Wundert es bei solchen pauschalen Aussagen noch wen, dass diese Partei so wenige Frauen anspricht?

Und wer so tut, als könne Frauenunterdrückung dadurch beseitigt werden, indem sie geleugnet wird – etwa mit Begriffen wie „Post-Gender“ – , ist nicht besonders modern, sondern legt sich schlicht und ergreifend die Unterdrückung zurecht. Zwar haben die Piraten Recht, wenn sie die starre Unterteilung in Männer und Frauen kritisieren. Aber diese Unterteilung ist in unserer Gesellschaft nun einmal vorhanden und bedeutet für etwa die Hälfte der Bevölkerung Diskriminierung in verschiedensten Bereichen. Wer sie weg diskutieren will, stabilisiert sie damit letztlich.

Wie sieht die Sache sozialstrukturell aus? Während der Anteil der WählerInnen der Piratenpartei unter ArbeiterInnen und Angestellten in Berlin und im Saarland ungefähr dem Durchschnitt entsprach, war er unter den Selbstständigen überdurchschnittlich hoch.

Überproportional hoch ist auch der Anteil an FunktionärInnen der Piratenpartei, die aus Internet- und EDV-affinen Berufen kommen. So finden sich beispielsweise unter den 15 Piraten im Abgeordneten-Haus von Berlin (14 davon, wie gesagt, Männer) zwei Software-Entwickler, zwei Informationstechniker, ein Mathematiker, ein Physiker, ein freier Journalist…

Schafft sich die digitale Ich-AG ihre Partei?

Sind die Piraten die Web 2.0-Variante des klassischen Liberalismus? Sind sie die Partei der aufstrebenden „Digital Bohème“, von ProgrammiererInnen, Social Media-Beauftragten und Web-DesignerInnen? Laut Grundsatzprogramm gebe es „eine Vielzahl von innovativen Geschäftskonzepten, welche die freie Verfügbarkeit bewusst zu ihrem Vorteil nutzen und Urheber unabhängiger von bestehenden Marktstrukturen machen können.“ Tatsächlich würden viele internet-nahe KleinkapitalistInnen von einer Aufhebung der derzeit geltenden Urheber- und Patentrechte profitieren, denn sie dienen vor allem den großen Verwertungsgesellschaften. Ein Kleinunternehmen, das nicht einmal ein paar Sekunden aus einem Musikvideo kostenlos für seinen Internet-Auftritt verwenden darf, ist da natürlich für eine Änderung.

Es müsste auch diskutiert werden, dass die völlige Aufhebung von Urheberrechten ohne Kompensation auch für viele „kleine“ KünstlerInnen, die von ihrer Arbeit mehr schlecht als recht leben, durchaus Probleme bringt – und ja auch niemand davon profitiert, wenn es somit künftig weniger Kunst gibt. Die pauschale Forderung nach „Freiheit“ ist hier also zu platt, auch über die soziale Absicherung der KünstlerInnen, die keine Millionen scheffeln, müsste nachgedacht werden.

Auch die Forderung nach einem Mindestlohn oder einem Grundeinkommen kann dem Wunsch zumindest von Teilen der KapitalistInnenklasse entsprechen. Erst vor kurzem hat eine Arbeitsgemeinschaft der deutschen Piratenpartei vorgeschlagen, das Grundeinkommen solle nicht über 440 Euro liegen, plus Zuschüsse zu den Wohnkosten. Jeder/r Arbeitslose, der eine solche Partei unterstützt, schießt sich damit ins eigene Knie. Der Satz „Ein Staat, der überreglementiert, kann keine Freiheit zulassen, egal ob bei den Grundrechten oder in der Wirtschaft“ stammt nicht etwa von der FDP, sondern vom stellvertretenden Bundesvorsitzenden der deutschen Piratenpartei, Sebastian Nerz.

Wer offen für alle ist, kann nicht ganz dicht sein

Die Offenheit der Piraten zieht natürlich allerhand problematische Personen an. Leute wie der Holocaust-Leugner Bodo Thiesen aus Rheinland-Pfalz oder der Heidenheimer Kevin Barth, der die Welt über Twitter wissen ließ, dass der „den Juden an sich unsympathisch“ findet, tummeln sich nach wie vor als Mitglieder in der Piratenpartei. Um zur Vertreterin des digitalen (Klein-)bürgerInnentums zu werden, werden sich die Piraten also wohl noch von etlichen rechtsextremen Spinnern in der Partei verabschieden müssen.

Die Partei hat das Problem nach anfänglichem Herunterspielen mittlerweile erkannt und distanziert sich vom Rechtsextremismus. Ein Problem, dass sie sich mit ihrer Haltung „offen für alle“ zu sein selbst eingehandelt hat. Denn mit der Haltung „weder links noch rechts“ zu sein, weil dies „heutzutage keine Bedeutung mehr“ hätte, kann man zwar dem neoliberalen bürgerlich-individualistischen Zeitgeist entsprechen und sich kurzfristig Applaus abholen. In zweiter Instanz brockt man sich so aber nur Probleme ein, denn selbstverständlich gibt es, entgegen so mancher Behauptung, weiterhin Linke und Rechte in der politischen Landschaft. Da gibt es die, die Gewerkschaften abschaffen und MigrantInnen abschieben wollen auf der einen und die, die für Solidarität und gleiche Rechte stehen auf der anderen Seite. Rechts und Links eben.

Genauso lächerlich wie die anfänglichen Beschwichtigungen der hoher PiratenfunktionärInnen zum offensichtlichen Rechtsextremismus-Problem ihrer Partei sind allerdings die Versuche von Medien und politischen GegnerInnen, die Piraten ins rechte Eck zu stellen. Als beispielsweise der Berliner Pirat Martin Delius gemeint hatte, „der Aufstieg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933“ hagelte es heuchlerische Kritik von Grünen bis CDU. Natürlich ist der Vergleich unsinnig, unsensibel und dumm, aber dafür Delius, der wahrscheinlich an mehr Anti-Nazi Aktionen teilgenommen hat, als alle CDU-Abgeordneten zusammen, Sympathien für die Nazis zu unterstellen, ist lachhaft.

Überhaupt reagiert das Establishment mit einer eigentümlichen Mischung aus Missgunst und Sympathie auf die Piraten. Von den „linken“ und liberalen Parteien werden sie als unliebsame Konkurrenz wahrgenommen. Allerdings ist einigen auch klar, dass die Piraten viele Menschen, die vom bürgerlichen Parlamentarismus enttäuscht sind, mit neuen Illusionen an das System binden können. Insofern erfüllen sie auch eine gewisse Funktion für die herrschende Klasse. Ob sie diese Rolle noch länger spielen können oder nach wenigen Jahren wieder Schiffbruch erleiden werden, ist derzeit noch nicht abzusehen.

Neben dem Schaffen eines Hypes um die neue Partei gibt es in den bürgerlichen Medien auch Attacken auf die Piraten. Nicht verwunderlich, allerdings. Es geht da nicht bloß um Interessen, um Interessen der Medien-KapitalistInnen oder der JournalistInnen, die sich angesichts zunehmender Verbreitung von Blogs und Online-Zeitungen selbst vor der Entwertung ihres „geistigen Eigentums“ fürchten. Häufig ist es auch einfach nur das übliche altkluge Geplänkel zwischen den verschieden Feuilletons und die Missgunst der bildungsbürgerlichen Journaille gegenüber dem „einfachen Volk“, welches sich erlaubt, diese Piraten-Bengel zu wählen.

Klarmachen zum Ändern…

Die Piraten sind angetreten, um das morsche Schiff des bürgerlichen Parlamentarismus zu erobern. Doch anstatt es zu versenken, wollen sie bloß die Segel neu setzen und den Kurs ein klein wenig ändern.

Trotzdem haben die Piraten Erfolg, gerade auch bei vielen, die vom kapitalistischen System enttäuscht sind und sich echte Veränderungen erwarten. In der Tat gibt es ein weit verbreitetes "Lebensgefühl jenseits von links und rechts" wie es das Umfrageinstitut Infratest Dimap in Bezug auf die Piratenpartei formuliert hat. Solange sich linksreformistische Parteien wie die „Linke“ in Deutschland munter als Steigbügelhalter der kapitalistischen Kürzungspolitik hergeben, wird sich das auch nicht großartig ändern.

Die Aufgabe einer ernsthaften Linken wäre es, zu vermitteln, dass es neben unterstützenswerten Dingen wie mehr Datenschutz und Transparenz auch vor allem eines bräuchte: Mehr Widerstand gegen die „Lösung“ der kapitalistischen Krise auf dem Rücken den arbeitenden Menschen. Und hier muss auch jeder Umgang mit neuen Parteien oder Formationen ansetzen: wie stehen sie zu den entscheidenden Fragen der Krise? Wie äußern sie sich zu (Jugend-)Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot oder Pensionskürzungen? Was denken sie über Rassismus, Sexismus und Homophobie? Schließlich: Wie würde eine Gesellschaft aussehen, in der sie die Mehrheit auf ihrer Seite hätten?

„Dieses System braucht ein Update“ lautet eine Parole der deutschen Piraten. Im Gegensatz dazu wollen wir das System deinstallieren und den Computer neu aufsetzen. Erfahrungsgemäß läuft er dann auch viel besser als vorher.