Stellungnahme aus Griechenland zur Situation nach den ersten Wahlen

Die Lage in Griechenland verdient zweifellos die Aufmerksamkeit von Linken auf der ganzen Welt. Die soziale Lage ist äußerst prekär, die Wahlen sind geschlagen, die nächsten stehen bereits bevor. Wir dokumentieren eine Stellungnahme der OKDE (Organisation der Kommunisten-Internationalisten Griechenlands) zum Ausgang der Wahlen.

Vorbemerkung:

Die OKDE (Organisation der Kommunisten-Internationalisten Griechenlands) ist eine trotzkistische Organisation in Griechenland, die einerseits im betrieblichen Bereich arbeitet und Gewerkschaften und Betriebsratskörperschaften aufbaut, andererseits breit im Jugendbereich aktiv ist . Bei diesen Wahlen hat die OKDE auch selbst kandidiert.

Wir müssen nicht notwendigerweise mit allen Positionierungen in der Stellungnahme einverstanden sein, doch wir halten es für sehr interessant, Stimmen und Meinungen aus der griechischen revolutionären Linken zu verbreiten.

Gleichzeitig wollen wir auch darauf hinweisen, dass die GenossInnen der revolutionären Linken auch persönlich hart von der Krise getroffen sind. Die meisten sind arbeitslos, einige konnten im Winter nicht heizen, einige verloren ihre Wohnungen und leben nun mit GenossInnen und es wird bereits darüber nachgedacht, gemeinsam Lebensmittel zu organisieren.

Nachdem Solidarität auch praktisch ist, ersuchen wir euch um Spenden für die GenossInnen der OKDE in Griechenland:

Bankverbindung International: Volksbank, BIC: VBWIATW1, IBAN: AT464300036001263007
Bankverbindung Österreich: Volksbank, BLZ 43000, Kto.Nr.: 36001263007
Kennwort Griechenland

Wahlen vom 6. Mai: Erste Schlüsse

Die Ergebnisse der Wahlen vom 6. Mai sind in der Tat atemberaubend und schaffen eine neue politische, soziale und – sehr wahrscheinlich – eine neue finanzielle Situation in unserem Land und sicherlich auch – in geringerem Maße – in der Europäischen Union. Die Botschaft in vier zentrale Punkte zusammen fassend, kann gesagt werden:

(a) Die Politik der sozialen und politischen Kräfte, die die Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in eine noch nie da gewesene Krise lenkte und den Lebensstandard, die sozialen und die politischen Rechte der ArbeiterInnenklasse um Jahrzehnte zurück warf, wurde auf das Schärfste verurteilt.

(b) Der Einfluss der Kämpfe, der Generalstreiks, der riesigen Demonstrationen und der offenen Konfrontationen, sowie im Allgemeinen der anhaltende Klassenkampf der vorangehenden Periode auf das Bewusstsein der arbeitenden Massen, äußerte sich in einem vollkommen anderem Wahlverhalten.

(c) Die faschistischen Erpressungen ("Bankrott/Zahlungsverzug", "Leere Regale", "Nordkorea", "der europäische Kurs des Landes und der Euro" etc.) der Europäischen Union und anderer imperialistischer Kräfte, des Kapitals und seiner Knechte (bürgerliche PolitikerInnen, wichtige JournalistInnen, geldgierige AkademikerInnen und andere GaunerInnen) wurden ignoriert oder sogar gering geschätzt.

(d) Die Situation der ArbeiterInnenbewegung war, in Anbetracht der neuesten, unglaublich harten Angriffe, die für nach den Wahlen geplant waren, geprägt von der Diktatur der PASOK-ND, der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds. [Anmerkung der Redaktion: PASOK: sozialdemokratische Partei, ND: konservative Partei]

Genauer:

1. Die zwei großen bürgerlichen Parteien, die die Hauptverantwortung für den Bankrott des Landes und die brutalen politischen Pläne tragen, erlebten bei der Wahl eine Bruchlandung. Sie bekamen unglaublich wenig Prozentanteile (13,18% für PASOK gegen 43,92% in 2009, 18,85% für ND gegen 33,47% in 2009, eine Prozentzahl, die seit ihrer Gründung nach 1974 als historisches Tief gesehen wird) und verloren mehr als 3 Millionen Stimmen (PASOK verlor fast 2.180.000 und ND fast 1.105.000 Stimmen). Beide bürgerlichen Parteien bekamen besonders niedrige Prozentanteile in großen urbanen Zentren und vor allem in Athen und in ArbeiterInnen- und ärmeren Gegenden.

Zusätzlich wurde der Rest der Bourgeoisie, so zum Beispiel LAOS [Anm. Red.: rechtsextreme Abspaltung von ND], die Parteien von Bakogianni und Manos etc., die die politischen Pläne unterstützen, offen und mit Getöse denunziert. Sie schafften es nicht, ins Parlament zu kommen, obwohl sie so gut wie möglich vom Kapital, den Medien und der Europäischen Union gestützt wurden. [Anm. OKDE: Bakogianni und Manos sind Ultra-Neoliberale aus der ND. Manos hat die ND vor einigen Jahren verlassen, Bakogianni erst vor kurzem, als sie die Präsidentschaft in der Partei an Samaras verlor, der derzeitige Präsident der ND. Bakogianni ist Führerin der "Demokratischen Allianz", Manos von "Aktion" – kurz nach den Wahlen führten sie Gespräche um die Gründung einer gemeinsamen Partei.]

2. Alle Parteien der Linken (reformistische und links außen) wurden gestärkt, was einen klaren Schritt der ArbeiterInnen, der armen Schichten und der Jugend zeigt. Diese sammelten gemeinsam  einen enormen Prozentanteil. Historisch gesehen stellt das einen Rekord dar, sogar größer als die 24,5% von 1958. [Anm. OKDE: 1958, nur 9 Jahre nach Ende des BürgerInnenkrieges mit einer verheerenden Niederlage der Linken und einer folgenden starken Repression, bekam die Formation EDA (Griechische Demokratische Linke), eine reformistische Formation, die von der damals illegalen KKE gestützt wurde, den zweiten Platz bei den Wahlen mit 24,5%. Das war ein politisches Erdbeben für das eingesetzte Nachkriegs-Regime.]

(a) In jedem Fall heißt die große Gewinnerin SYRIZA [Anm. Red: Koalition der radikalen Linken], die sich zu einer Prozentzahl von 16,78% bei den Wahlen katapultiert hat und somit zur wichtigsten Partei der Opposition wird! Es ist klar, dass SYRIZA besser die – derzeitig – dominante, grundsätzliche Stimmung der Massen, die nach Lösungen durch Wahlen suchen, vielleicht in der Europäischen Union, ausgedrückt hat. Auf der anderen Seite drückt das natürlich objektiv die militante Stimmung der Massen aus, ihren Willen die Kräfte hinter der geplanten Politik loszuwerden, der Wunsch nach Einheit innerhalb der linken Kräfte und vielleicht nach einer linken Regierung als Alternative zu dem barbarischen System.

(b) Die KKE, obwohl sie auf nationaler Ebene kleine Gewinne verzeichnete, erlitt schwere Verluste (was sich in ihren Ansagen nach der Wahl widerspiegelt), was sicher in der Zukunft Folgen haben wird. Erstens ist es das erste Mal, dass sie bei Wahlen von einer anderen linken Partei geschlagen wurde – und das geschah auf spektakuläre Weise. Zweitens, und vielleicht am wichtigsten, fiel ihr Einfluss in den wesentlichen Zentren der ArbeiterInnenklasse und speziell in denen Athens, in denen die größten Zusammenstöße statt fanden und die generell das Epizentrum des anhaltenden Klassenkampfs waren. Das ist recht wichtig, da es bedeutet, dass die Massen die spaltende Politik der KKE sahen und ihr Fernbleiben von jedwedem sozialen und aufständischen Vorgang missbilligten. [Anm Red: die KKE gewann zwar landesweit in fast allen Wahlkreisen leicht dazu, verlor aber ausgerechnet in den wichtigsten städtischen Wahlkreisen Athen, Athen/Umland, Piräus und Thessaloniki, wo auch das Zentrum des Klassenkampfes ist].

(c) Die Listen in der extremen Linken (ANTARSYA; eine gemeinsame Wahlliste zwischen KKE (m-l) und M-L KKE sowie die EEK) fanden Unterstützung, vor allem zu nennen ist die ANTARSYA. [Anm. OKDE: ANTARSYA ist eine Wahlgemeinschaft unter anderem von trotzkistischen Organisationen, KKE(m-l) und ML-KKE sind Organisationen mit stalinistischen oder mao-stalinistischen Wurzeln. EEK ist trotzkistisch und steht in Verbindung mit dem "Komitee zur Gründung der vierten Internationale".] In jedem Fall ist es eine Tatsache, dass diese Wahlerfolge keinen qualitativen Sprung in den Wahlinterventionen dieser politischen "Sphäre" bis jetzt darstellen, obwohl die gemeinsamen Prozentanteile (gemeinsam mit OKDE) fast 2% ausmachen.

(d) Bei ihrem ersten Wahlantritt bekam OKDE (in 26 Wahlbezirken von insgesamt 55) 2.002 Stimmen und 0,03%. Das ist ein zufriedenstellendes Ergebnis, das besser sein könnte. In jedem Fall danken wir all jenen, die dafür kämpften das Programm und die Position von OKDE publik zu machen und uns mit ihrer Stimme ehrten. [Anm Red: in den Wahlkreise, wo OKDE kandidierte, leben rund 80% der Bevölkerung).

3. Die „Unabhängigen Griechen“ erfuhren starke Unterstützung, hauptsächlich durch ihre Rhetorik gegen die politischen Pläne und nicht aufgrund der rechten und extrem-rechten Elemente in ihrer Politik. [Anmerkung OKDE: Die  Unabhängigen Griechen werden von Panos Kammenos, einem ehemaligen Minister von ND geführt.]

4. Das starke Auftreten des faschistischen Bande Xrysi Avgi („Goldener Morgen“) ist mit Sicherheit eine dunkle Seite dieser Wahlen. Es ist das Ergebnis der Krise und der Verfaultheit des kapitalistischen Systems und der Zuspitzung der politischen Krise. Die Reaktion der Bewegung gegen dieses „Schlangenei“ muss umgehend passieren, mit Selbstverteidigungs-Gruppen von Einheimischen und MigrantInnen und mit Solidaritätsnetzwerken, um mit den unmittelbaren Problemen, die die Krise hervor gebracht hat, umzugehen.

5. Es ist klar, dass nach den Wahlergebnissen die politische Entwicklung beschleunigt ist. Die bürgerlichen politischen Kräfte liegen in Scherben und befinden sich im Zerfall, ohne Perspektive sich wieder zu sammeln und zu regenerieren. Auf politischer und organisatorischer Ebene ist es für sie schwierig (oder gar unmöglich) eine Regierung zu bilden – oder überhaupt zu regieren. Alles steht im Raum, in einem Vakuum: die geplante Politik, die Lohnverträge, ihre brutalen Maßnahmen, die Politik der Unterordnung… und sogar der "europäische Kurs des Landes und der Euro" etc.

Kurz, knapp auf die Finanzkrise folgt eine mächtige politische Krise, die alle wesentlichen Elemente für eine offene, anhaltende Regierungskrise beinhaltet. Das ist ein Problem, das wohl nicht mit Neuwahlen (die niemand so wirklich will, vor allem die  bürgerlichen Kräfte, die Europäische Union und imperialistische Kräfte) lösen lässt. Vielleicht wird es durch einen neuen Bonaparte gelöst, oder eine andere Zusammensetzung und reifer als Papadimos. [Anm. Red: also eine mehr oder weniger diktatorische Lösung oder eine neue „ExpertInnen-Regierung“]

Die Aufständischen, die riesigen Demonstrationen, die offenen Konfrontationen und nun die Wahlergebnisse zeigen, dass die Ablehnung gegenüber der bürgerlichen Politik große Dimensionen angenommen hat und weiter, dass diese Ablehnung wächst und neue und qualitative Merkmale annimmt.

Diese Entwicklung scheint schwer von irgendeiner bürgerlichen Regierung mit reformistischer Färbung, die dieselbe zerstörerische Politik anwenden will, aufzuhalten zu sein. Außerdem ist die Suche der Massen nach etwas vollkommen Neuem und radikal Anderem offensichtlich und scheint unbiegsam. All das zeigt den bevorstehenden Zusammenstoß.

OKDE hat davon in der Zeit vor den Wahlen Notiz genommen und wird das auch, auf die neue Situation Rücksicht nehmend, nach den Wahlen machen. Wir werden unsere Bemühungen für die Stärkung und Selbstorganisation der Kämpfe zur Bildung einer neuen revolutionären Kraft für eine sozialistische Revolution fortführen.