Die Gewerkschaft spuckt aktuell kämpferische Töne in Bezug auf die Verteidigung des Metaller-Kollektivvertrags. Was sind dabei die Interessen der Produktionsgewerkschaft und des ÖGB? Wie sind die BeriebsrätInnen einzuschätzen? Welche Stimmung herrscht an der Basis? Florian Weissel, Betriebsrat aus dem Metallbereich, gibt eine Einschätzung der Lage.
Vorbemerkung: In Österreich sind die Gewerkschaften überparteilich aufgebaut. Sieben Teilgewerkschaften bilden gemeinsam den ÖGB (Österreichischen Gewerkschaftsbund). Traditionell ist der ÖGB von der sozialdemokratischen Gewerkschaftsfraktion (FSG) dominiert. Dieser Artikel bezieht sich in seinen konkreten Einschätzungen vorrangig auf die Produktionsgewerkschaft (Pro.Ge), die für die MetallerInnenbranche zuständig ist.
Die Gewerkschaften und die Sozialpartnerschaft
Die Position der starken österreichischen Gewerkschaften ist die der Vermittlung zwischen ArbeiterInnenklasse und Kapital. Um diese Position und somit auch einen teuren Apparat mit guten Jobs und vielen Privilegien behalten zu können, müssen sie von beiden Seiten – also UnternehmerInnen und Lohnabhängigen – als Verhandlerin gebraucht und akzeptiert werden.
Die Gewerkschaften brauchen eine starke potentielle Kampfkraft in den Betrieben und (für die Vertretung der KollegInnen, aber auch zur Aufrechterhaltung des Apparats) viele Mitgliedsbeiträge von ihren Mitgliedern. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines hohen Organisierungsgrades, also vieler Gewerkschaftsmitglieder. Um diese Mitglieder auch halten zu können, und von den Unternehmen ernst genommen zu werden, muss die Gewerkschaft auch hin und wieder ihre Kraft beweisen und für die ArbeiterInnen akzeptable Abschlüsse erzielen.
Gleichzeitig hat die Gewerkschaft kein Interesse an einer eigenständigen Organisierung der ArbeiterInnen oder an radikalen Kämpfen. Wenn den GewerkschaftsfunktionärInnen die Verhandlungsmacht entgleitet, könnte sich zeigen, dass sie nicht in dieser Form gebraucht werden.
Die Gewerkschaften müssen aus ihrer Logik von den UnternehmerInnen als VerhandlungspartnerInnen akzeptiert werden. Dafür suchen sie Kompromisse, mit denen sie die UnternehmerInnenseite zufrieden stellen können. Die UnternehmerInnen sollen ja auch Vorteile aus den Verhandlungen mit der Gewerkschaft ziehen können. Insofern dürfen die Gewerkschaften die UnternehmerInnen auch nicht mit zu radikalen Kampfmaßnahmen und zu hohen Abschlüssen abschrecken.
Die Gewerkschaften stehen also in diesem Spannungsfeld zwischen ArbeiterInnenklasse und Kapital, in dem sie sich einmal für die ArbeiterInnen radikal geben und andererseits eine gute Rolle für die KapitalistInnen spielen müssen.
Krise der Sozialdemokratie
Diese Sozialpartnerschaft spiegelt sich auch auf politischer Ebene in der großen Koalition zwischen SPÖ und ÖVP, der beliebtesten Regierungsform in Österreich. Für die SPÖ sitzen auch etliche GewerkschafterInnen im Parlament, die dort ungeniert Sozialabbaumaßnahmen mit beschließen, zuletzt ESM und Fiskalpakt. Die Krise der SPÖ, die kaum noch von jemandem als ArbeiterInnenpartei, sondern eher als kleineres Übel gesehen wird, überträgt sich dadurch auch auf die Gewerkschaften. Dadurch gibt es auch eine gewisse Differenzierung in den Gewerkschaftsapparaten.
Bei vielen FunktionärInnen, die direkt mit der Basis zu tun haben und die Enttäuschung und die Schwierigkeiten in der Mitgliederwerbung am stärksten abkriegen, ist eine relevante Distanz zur SPÖ vorhanden und die Bereitschaft wieder einen kämpferischen Kurs zu fahren, größer. Freilich geht es auch hier letztlich darum, wieder eine stärkere Position in der Sozialpartnerschaft zu bekommen, nicht mit ihr zu brechen.
Im Metallbereich wollen die Unternehmen nun die Kollektivverträge aufspalten. Durch die Aufkündigung der Verhandlungsgemeinschaft aller Metallbereiche wären die Verhandlungsposition der Gewerkschaften (vor allem der Pro.Ge, aber auch des ÖGB insgesamt) und damit zusammenhängend ihr Apparat, ihre Jobs und ihre Privilegien teilweise in Frage gestellt.
Bei der aktuellen Auseinandersetzung um den Metaller-KV geht es also nicht um die Jobs der ArbeiterInnen sondern in Wirklichkeit um die Jobs der Gewerkschaftsbürokratie und ihren Anhängseln. Die Verschlechterung für die ArbeiterInnen ist in dieser Frage für den Erhalt des Gewerkschaftsapparats eher nebensächlich.
„Die Geister die ich rief…“
Die Gewerkschaft möchte die etablierte Sozialpartnerschaft weiterführen. Dazu gibt es dann Sätze wie, „Zum Glück mussten wir 40 Jahre nicht kämpfen und hatten sozialen Frieden, jetzt müssen wir einmal kämpfen, um diese Situation zu erhalten“. Das zeigt ein Verständnis von der ArbeiterInnenklasse als Glühbirne. Wird sie gebraucht, wird der Lichtschalter betätigt, ansonsten wird sie dunkel gelassen. Die Gewerkschaft möchte die Kampfkraft nach ihren Wünschen aktivieren können.
Dass das nicht klappen kann, sollte wohl klar sein – Bewusstsein entwickelt sich in Kämpfen, Frustrationen über nicht geführte Kämpfe können nur schwer überwunden werden. Wenn jetzt GewerkschafterInnen über die passive Mentalität der österreichischen ArbeiterInnenklasse und die mangelnde Streikbereitschaft jammern, muss ihnen klar gemacht werden, dass es ihre passivierende Politik in den letzten Jahrzehnten war, die uns in diese Situation geführt hat.
Nach Jahrzehnten der Sozialpartnerschaft und ohne relevante Kämpfe oder Streiks haben viele ArbeiterInnen und Betriebsräte verlernt zu kämpfen und sich an ihre passive Position gewöhnt.
Auftakt zum Arbeitskampf?!
Vor diesem Hintergrund sind die Gewerkschaften nun durch die harte Politik der Unternehmerverbände gezwungen, für ihre eigenen Interessen die ArbeiterInnen zu mobilisieren und und Vorbereitungen für einen Arbeitskampf im Herbst zu treffen. Es kann also passieren, dass (eventuell mehr durch Druck der Gewerkschaften als durch Druck der Basis) ein größerer Streik der Metallbranche im Herbst statt findet.
Auftakt für die aktuelle Mobilisierung war eine BetriebsrätInnenkonferenz Ende Mai in der Nähe von Linz, bei der sich über 900 BetriebsrätInnen versammelten und über die Verteidigung des Metaller-KVs diskutierten. Die Gewerkschaftsfunktionäre haben sich bei dieser Gelegenheit natürlich kämpferisch gezeigt und das Wort Streik durchaus laut ausgesprochen.
Gleichzeitig appelliert die Gewerkschaft in ihrer Resolution an die Fachverbände der UnternehmerInnen „auch in Zukunft mit uns den sozialpartnerschaftlichen Weg zu gehen“, also gemeinsam mit den Bossen auch in Zukunft die Interessen der ArbeiterInnen denen der UnternehmerInnen unterzuordnen. Sollten die Fachverbände doch einlenken und der gemeinsamen Verhandlung zustimmen, kann damit gerechnet werden, dass sich die Gewerkschaft dafür erkenntlich zeigen wird. Dann ist nicht mit Kampfmaßnahmen und einem guten Abschluss zu rechnen. Hier darf also auf keinen Fall Vertrauen in die Gewerkschaftsführung gesetzt werden. Wirkliche Verbesserungen werden nur durch die Aktivität an der Basis erreicht werden können!
Die Basis und die BetriebsrätInnen
In den Betrieben gibt es zwar immer wieder ein Aufflackern von kämpferischer Stimmung, vor allem in Worten, in der Praxis sind sie aber seit Jahrzehnten ruhig. In Verbindung mit der Entpolitisierung und Enttäuschung von den politischen Parteien, allen voran der SPÖ, sieht die Situation alles andere als rosig aus. Der MetallerInnen-Streik im letzten Herbst hat einerseits die Macht der ArbeiterInnen, andererseits aber auch viele Probleme aufgezeigt. (Mehr zum Streik im Herbst 2010 )
In vielen Betrieben ist es für die bestehenden BetriebsrätInnen schwierig, Abgänge mit jüngeren KollegInnen nach zu besetzen. Viele haben keine Lust und/oder sehen wenig Sinn in einem Engagement. Die BetriebsrätInnen, selbst die engagiertesten, agieren meist in StellvertreterInnenlogik – einerseits, weil es der klassischen Politik im Land entspricht, andererseits aber auch, weil die interessierte Basis ohnehin immer dünner wird.
Mobilisierungen im Betrieb und die Einbeziehung der Basis sind aus dem Blickwinkel geraten. Das hat zur Situation geführt, dass es auch immer schwieriger wird, die ArbeiterInnen für ihre Rechte gemeinsam zu mobilisieren. Viele haben die Idee von kollektiven Verbesserungen verworfen und aufgegeben, andere versuchen alleine ihren Weg zu gehen und individuell aufzusteigen und nirgends anzuecken.
Viele BetriebsrätInnen sind unbewusst teilweise zu Instrumenten der UnternehmerInnen geworden, die ihnen durch Servicepolitik ungeliebte Arbeit abnehmen und sich für die Interessen des Betriebes schon mal gezwungen sehen, Verschlechterungen für die ArbeiterInnen in Kauf nehmen.
Viele BetriebsrätInnen agieren auch selbst in der Logik, was für ihren eigenen Betrieb „wirtschaftlich vernünftig“ ist, die kollektive Aktion ist nicht mehr im Blick. Um diesen Prozess voranzutreiben, gab es in den aktuellen Verhandlungen um den Metaller-KV von der Unternehmerseite den Vorschlag, einen eigenen Konzern-KV für die Betriebe der VOEST zu installieren.
Es besteht durchaus mittelfristig die Möglichkeit, dass BetriebsrätInnen aus großen und profitablen Betrieben die Zersplitterung von Verhandlungen befürworten. Immerhin müssten sie sich dann nicht mit der Lage von schwächelnden Betrieben auseinandersetzen, sondern könnten mehr auf die Möglichkeiten, die der eigene Betrieb hergibt eingehen. In Großbetrieben herrscht sowieso oft ein sehr freundschaftliches sozialpartnerschaftliches Klima zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung und auch die Lohnkosten fallen oft weniger ins Gewicht als in kleinen Buden.
Einfluss der SPÖ schwindet
Politisch ist zwar weiterhin die FSG, die Fraktion sozialdemokratischer GewerkschafterInnen, die stärkste Fraktion bei den MetallerInnen, tatsächlich nimmt die Bindung der BetriebsrätInnen an die Sozialdemokratie aber deutlich ab. Viele FSGler sind nur formal fraktioniert, die Gruppe der nicht fraktionierten BetriebsrätInnen wird immer größer.
Das Vakuum, das die FSG hinterlässt, kann, vor allem im Bereich der manuellen Berufe, teilweise die FPÖ-Fraktion der „Freiheitlichen Arbeitnehmer“ füllen. Bei Betriebssratschulungen etwa zeigt sich, dass eine Schicht neuerer BetriebsrätInnen sich offen zur FPÖ bekennen.. Die Angst um die Arbeitsplätze und vor ArbeiterInnen aus Billiglohnländern ist hierfür das stärkste Argument. Oft verschwimmen allerdings die Unterschiede zwischen vielen SP- und den FP-BetriebsrätInnen auch völlig, wenn es um MigrantInnen und Rassismus geht.
Auf der linken Seite gibt es in den Betrieben leider recht wenig, was dagegenhalten könnte. Mit der Entpolitisierung und den Rechtsentwicklungen gehen viele Prinzipien der Gewerkschaftsbewegung verloren, um die es erneut zu kämpfen gilt.
Fehlende Organisation und Einschüchterung
Ein Problem ist auch der Organisierungsgrad in den Betrieben. Der ist zwar in der MetallerInnenbranche im Vergleich sehr hoch, trotzdem gibt es in jedem Betrieb eine relevante Schicht, die nicht gewerkschaftlich organisiert ist, immer stärker vom Solidaritätsgedanken entfremdet wird und somit im Falle von Streiks StreikbrecherInnen stellen könnte.
Auch hier ist das Problem der jahrzehntelangen Sozialpartnerschaft zu spüren. Wenn nie gestreikt wird, werden unorganisierte KollegInnen nicht verstehen warum sie sich gewerkschaftlich organisieren sollen. Die ausgehandelten Kollektivverträge und Lohnerhöhungen gelten ohnehin für alle ArbeiterInnen, Rechtsberatung macht auch die Arbeiterkammer und die Frage von Streikunterstützung (die nur Gewerkschaftsmitgliedern zusteht) stellt sich in der Regel mangels Streiks nicht.
Auch die wirtschaftliche Situation trägt dazu bei, dass viele ArbeiterInnen eingeschüchtert sind. Die Wirtschaftskrise ist allen vor Augen, Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen gibt es in fast allen Betrieben. In der Privatwirtschaft herrscht oft die Meinung vor, dass nicht gestreikt werden kann, weil das ja dem eigenen Betrieb schadet und somit auch den ArbeiterInnen im Betrieb selbst.
Es ist generell schwieriger, in Krisenzeiten Zugeständnisse zu erkämpfen als in Phasen von wirtschaftlichen Aufschwüngen. Das gilt besonders, wenn die VertreterInnen der ArbeiterInnen sich der Standortlogik und somit Wettbewerbsfähigkeit verschreiben und für die ArbeiterInnen keine Alternativen zur kapitalistischen Wirtschaft sichtbar sind.
Was nun?
Nachdem die ArbeiterInnen jahrzehntelang von ihren Organisationen passiv gehalten und ideologisch entwaffnet wurden, stehen wir vor einer schwierigen Situation. Kämpferische und revolutionäre Ideen und Konzepte müssen weitgehend neu an der betrieblichen Basis verankert werden.
Gerade in der Krise, in der das Kapital in die Offensive geht, um die ArbeiterInnen zur Kasse zu beten, braucht es einen klaren Bruch mit der österreichischen Tradition der Sozialpartnerschaft. Die ArbeiterInnenbewegung muss auf einer internationalistischen und kämpferischen Basis von unten aus neu organisiert werden.
Im Herbst Diskussionen mit vielen KollegInnen aus dem Metall-Bereich darüber zu führen und revolutionäre Antworten auf die Krise und den Kapitalismus zu geben, wäre ein Anfang. Letztlich braucht es aber eine kontinuierliche Intervention mit revolutionären Ideen in den (Groß)Betrieben. Diese Aufgabe ist nicht einfach, aber notwendig.