Stark steigende Mieten sind ein großes Problem in Berlin. Immer wieder gibt es aber auch politischen Widerstand gegen diese Entwicklung. Seit Pfingsten steht nun sogar ein Protestcamp am Kottbusser Tor. Im RSO-Interview erzählt Aktivistin Ulrike, wie das anfänglich kleine Camp zum Nachbarschaftstreff wurde und warum man den Leuten nicht oberlehrerhaft erzählen sollte, wie der Kapitalismus funktioniert.
2011 hat sich die Mietergemeinschaft Kotti&Co rund um das Thema „steigende Mieten im sozialen Wohungsbau“ gebildet. Seit Pfingsten steht nun das Protestcamp am Kottbusser Tor und der Protest dauert weiterhin an. Sie wollen die Politik dazu bewegen endlich Einsicht zu zeigen, dass die jetzige Mietenpolitik zu massiver sozialer Verdrängung führt und sich dieser Prozess gerade am Kotti verschärft. Es geht darum sich nicht einfach vertreiben zu lassen, sondern sein Recht auf bezahlbaren Wohnraum im Zentrum der Stadt, welches genau durch diese soziale Durchmischung seine „Attraktivität“ gewonnen hat, einzufordern.
Wir können den Unmut nur allzu gut verstehen, sind wir doch zum Teil selber mit Mieterhöhungen oder Problemen bei der Wohnungssuche konfrontiert. Wir schätzen, dass der/die eine/r oder andere/r ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Die Wohnraumsituation in Berlin nimmt an Brisanz zu – Es wird höchste Zeit sich zu wehren, so wie es eben jetzt am Kottbussser Tor geschieht! Immer ist jemand da um Anwohner und PassantInnen zu informieren. Weiterhin gibt es Konzerte, Kino und Diskussionsveranstaltungen zu verschiedenen Themen, aber meistens dreht es sich dann doch um die leidigen Mieten. Nicht zu vergessen natürlich die alle zwei Wochen stattfindenden Lärmdemos am Samstag. Ja, man kann sagen das Kotticamp ist mittlerweile fester Bestandteil der Szenerie am Kotti geworden und für viele ist es die letzte Hoffnung auf einen längerfristigen Verbleib in ihrem angestammten Wohnkiez.
Wir haben mit der Aktivistin Ulrike über das Camp gesprochen:
RSO :Wie kam es denn dazu, dass ihr euch zu diesem Schritt mit dem Protestcamp am Kotti entschlossen habt?
Ulli: Das ganze hat damit angefangen, dass wir uns vor einem Jahr als Kotti&Co zusammengefunden haben und uns mit der Situation im sozialen Wohnungsbau auseinandergesetzt haben. Das war am Anfang ziemlich schwer da durchzublicken, wer hat welche Rechte etc. Im Grunde kann man sagen die Vermieter haben jede Menge Rechte und wir so ziemlich gar keine.
RSO :Was ist denn das besondere gerade am sozialen Wohnungsbau, was sind die Probleme?
Ulli : Um die Situation heute zu verstehen muss man sich anschauen was da damals um 2000 herum gelaufen ist in der Politik. Da haben Anleger in den sozialen Wohnungsbau investiert, weil ihnen vom Berliner Senat Renditen von 6,5 % gesetzlich zugesichert wurden. Dabei saßen viele der PolitikerInnen auch gleichzeitig in den Aufsichtsräten der Banken. Finanziert wurde das ganze durch Zuschüsse der Stadt Berlin und eben aus den Mieten der Leute. Die Rechnung dabei ist aber, dass die Einnahmen langfristig verstärkt nur über die Mieten laufen, was zwangsläufig zu steigenden Mieten führt.
RSO : Wie ist denn die momentane Situation was die Unterstützung von eurem Camp und euren Forderungen angeht?
Ulli: Zu anfangs waren wir nur so ca. 10 Leute. Wir hätten uns selber nicht zu träumen gewagt, dass wir so viel Unterstützung bekommen. Das ganze ist ja mittlerweile zum Nachbarschaftstreffpunkt geworden. Ohne diese breite Unterstützung wäre das alles auch gar nicht möglich!
RSO: Man sieht hier ja auch das wirklich die verschiedensten Leute hier sind. Wie schafft ihr es denn gerade auch so viele MigrantInnen mit einzubeziehen?
Ulli: Die Leute die hier wohnen sind ja alle mit den gleichen Problemen konfrontiert: den steigenden Mieten. Wir waren einfach Nachbarn und hatten das gleiche Problem und das war die Basis auf der wir zusammen unseren Protest aufgebaut haben! Viele MigrantInnen haben natürlich auch Erfahrungen mit Rassismus gemacht. Sei es nun durch Benachteiligung bei der Jobsuche, Probleme in der Schule oder durch Vorkommnisse im Alltag. Oftmals sprechen wir bei migrantischen Familien im sozialen Wohnungsbau ja auch über ehemalige Gastarbeiterfamilien. Menschen die zu niedrigen Löhnen und ohne Sprachkurse oder der gleichen den deutschen Wohlstand mitaufgebaut haben: Leute die also gezielt an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. (zum weiterlesen :http://kottiundco.net/2012/08/16/rassismus-verdrangung-in-stichpunkten/) Wir meinen, dass die Politik da in der Verantwortung steht! Deshalb muss man die Themen sozialer Wohnungsbau und Rassismus auch miteinander verknüpfen und darf sie nicht isoliert behandeln.
RSO: Versucht ihr im Rahmen eurer Protestaktionen bewusst auch auf den Prozess der Gentrifizierung in Berlin einzugehen?
Ulli: Zunächst einmal geht es um den sozialen Wohnungsbau hier am Kotti und das Hermes&GSW merken, dass sie so nicht weitermachen können. Dabei geht es auch um Gentrifizierung und wir setzen uns natürlich damit auseinander, weil dieser Prozess ja auch die Entwicklung im sozialen Wohnungsbau begleitet. Ich glaube man muss den Leuten aber nicht lehrermäßig erzählen wie der Kapitalismus funktioniert, sondern gerade im Laufe so eines gemeinsamen Protestes merken die Meisten, dass es kein Zufall ist, dass die Mieten immer weiter steigen, sondern, dass das von der Politik genau so gewollt ist. Das kann man ganz gut zwischen den Zeilen herauslesen denke ich!
RSO: Also was genau sind denn eure Ziele?
Ulli: In erster Linie richtet sich unser Protest natürlich gegen die Regierung. Wir wollen Druck erzeugen um unserer Forderung nach bezahlbarem Wohnraum Gehör zu verschaffen. Dazu gehört auch ein gewisser langer Atem um durchzuhalten aber früher oder später wird es für die Politik immer schwerer werden uns einfach zu ignorieren, dafür sind mittlerweile zu viele Menschen und auch Medien auf uns aufmerksam geworden. Unser Ziel ist es in einem Dialog mit den Verantwortlichen der Politik eine praktikable Lösung zu finden, damit die Menschen vom Kotti weiter hier wohnen können und nicht an den Stadtrand ziehen müssen.
RSO: Vielen Dank für das Gespräch, weiterhin viel Erfolg und bis bald auf der nächsten Lärmdemo.
Ulli: Bis bald!
Das Gespräch führte Jannis Kartoschka von der RSO-Berlin