Der diesjährige Friedensnobelpreis geht also an die Europäische Union. Mit dieser Wahl bewies das norwegische Nobelkomitee einmal mehr, dass diese Auszeichnung nichts mit Frieden zu tun hat aber dafür viel mit der Beweihräucherung des herrschenden Systems.
Der Nobelpreis gilt weltweit als eine der angesehensten Auszeichnungen für „große Leistungen“. Er schafft den Herrschenden die Möglichkeit, sich selbst zuzujubeln und die Illusion einer egalitären Gesellschaft freier Individuen aufrechtzuerhalten und zu verbreiten, in der die Bemühungen Einzelner fürs „Allgemeinwohl“ honoriert werden.
Gerade der Friedensnobelpreis erfüllt aber auch eine politische Funktion: Damit können öffentlichkeitswirksam unter dem Deckmantel einer „objektiven“ Entscheidung bestimmte politische AkteurInnen und die Politik, für die sie stehen, abgefeiert und „geehrt“ werden. Das Vergabekomitee setzt sich aus fünf Mitgliedern des norwegischen Parlaments zusammen, was den direkten politischen Charakter unterstreicht.
Friedensengel von Kissinger bis Obama
Unter Menschen, denen tatsächlich etwas am weltweiten Frieden liegt, sorgt die Nobelpreisvergabe nicht zum ersten Mal für Kopfschütteln. So wurde die Auszeichnung 2009 an Barack Obama vergeben, den obersten Befehlshaber der US-Armee, die für gewöhnlich an mehreren Orten gleichzeitig Krieg führt. 1973 wurde der damalige US-Außenminister Henry Kissinger für den Abschluss eines „Friedens“abkommens mit Vietnam geehrt, nach dem er selbst die Schlachterei an der vietnamesischen Bevölkerung angeleitet hatte. Und auch beim CIA-Putsch in Chile 1973 und den Massakern in Osttimor hat er seine Finger mit im Spiel gehabt.
2002 ging der Preis an Jimmy Carter. In dessen Amtszeit als US-Präsident fällt unter anderem der Beginn der Aufrüstung des Iraks zum Krieg und Sturzversuch Ajatollah Khomeinis. Ebenfalls auf Carters Liste: die Anheuerung, Bewaffnung, Finanzierung und Ausbildung von Mudschaheddin in Afghanistan, durch die CIA, um Truppen der Sowjetunion zu bekämpfen. Einer dieser Mudschaheddin: Osama Bin Laden. Ironischerweise wendeten sich beide Seiten, der Irak wie die Mudschaheddin, später gegen die USA.
„Von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens“
In seiner Begründung nannte das fünfköpfige Nobelkomitee die deutsch-französische Aussöhnung nach dem 2. Weltkrieg, die Förderung der demokratischen Entwicklungen in südeuropäischen Ländern, die Beendigung der „Teilung zwischen Ost und West in weiten Teilen“ sowie „den Prozess der Aussöhnung auf dem Balkan“. Resümierend solle der Blick auf die wichtigsten Errungenschaften der EU gelegt werden: „den erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung und für Demokratie sowie die Menschenrechte; die stabilisierende Rolle der EU bei der Verwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens“. Es fällt wirklich schwer festzustellen, welcher Punkt dieser Argumentation die größte Frechheit darstellt. (Begründung im Wortlaut)
„Aussöhnung auf dem Balkan“
Wenn die Jury von der Befriedung des Balkans spricht, dann müssen sie wohl bei einem Strategiespiel auf dem PC zugeschaut haben. Denn die Realität sieht doch ein wenig anders aus. Schließlich ist die Rolle bestimmter EU-Staaten wie Deutschland beim Zerfall Jugoslawiens und dem anschließenden Krieg nicht zu unterschätzen. Jugoslawien wurde Anfang der 1990er Jahre vom IWF zu harten Sparmaßnahmen gezwungen, die enorme soziale Sprengkraft mit sich brachten. Diese in nationalistische Kanäle umzuleiten, lag durchaus im Interesse der Herrschenden.
Gerade Deutschland und Österreich sahen sich in alter Weltkriegs-Verbundenheit als Förderer Kroatiens. So wurde die Unabhängigkeitserklärung von Slowenien und Kroaten massiv von diesen beiden Staaten gefördert. Anschließend rüsteten die USA und Deutschland das autoritäre Tudjman-Regime in Kroatien auf und ermöglichten ihm so 1995 die ethnische Säuberung der Krajina und Westslawoniens. (mehr dazu: Die NATO und die Menschenrechte ).Resulat der Zerstückelung Jugoslawiens: vor allem Bosnien/Herzegowina und der Kosovo/a sind real Protektorate der EU.
Förderung der Demokratie in Südeuropa
Mit der Förderung der demokratischen Entwicklungen in südeuropäischen Ländern meint das Nobelkomitee den politischen Wandel in Griechenland, Portugal oder Spanien in den 70er Jahren, wo Diktaturen durch bürgerlich-parlamentarische Demokratien abgelöst wurden. Der Beitrag der EU zu diesem Wandel ist fragwürdig, in Wirklichkeit waren es die ArbeiterInnenbewegungen dieser Länder, die gegen diese Regime gekämpft hatten.
Wie das Demokratieverständnis der Europäischen Union in Südeuropa heute aussieht, wird uns tagtäglich vor Augen geführt. In Griechenland diktiert die „Troika“, bestehend aus VertreterInnen von EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank Sparmaßen, die große Teile der Bevölkerung in die Armut treiben. Die Lage ist mittlerweile katastrophal. Arme haben nichts zu essen, Kinder keine Schulbücher, Kranke keine Medikamente. Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose und das Nilvirus verbreiten sich seit Ausbruch der Finanzkrise.
Ähnlich wie in Griechenland prügelt auch die spanische Polizei im Wochentakt den europäischen Frieden in die Köpfe der DemonstrantInnen, die sich gegen die Massenverarmungsprogramme der Regierung zu Wehr setzen.
„Demokratie und Menschenrechte“ auf hoher See
Als eine der wichtigsten Errungenschaft der Europäischen Union sieht das Nobelkomitee den „erfolgreichen Kampf für Demokratie und Menschenrechte“. Anscheinend ist das ernst gemeint. Sollte es sich jedoch um einen Übersetzungsfehler aus dem Norwegischen handeln, müsste es wohl korrekt der „erfolgreiche Kampf gegen Menschen“ heißen.
Denn jeden Tag geht Frontex, die offizielle Flüchtlingsbekämpfungsorganisation der EU, an den Außengrenzen der Festung Europa auf Menschenjagd. Hochgerüstet werden dabei überfüllte Boote mit afrikanischen Flüchtlingen abgefangen oder zum Schiffbruch gebracht – der Tod der InsassInnen wird dabei bewusst in Kauf genommen. Schätzungen zufolge sind allein zwischen 1991 und 2004 12.000 bis 14.000 Menschen beim Versuch, Europa über die Straße von Gibraltar zu erreichen, ums Leben gekommen.
Ein Kontinent des Friedens?
Das Nobelkomitee lobt die angebliche „Verwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens“. Nun ist es tatsächlich so, dass Deutschland und Frankreich heute keinen Krieg mehr um das Elsass führen. Aber diese Abschwächung der traditionellen nationalistischen Rivalitäten innerhalb Europas hat doch wohl eher damit zu tun, dass die EU als ökonomischer Big Player für die im Weltmaßstab kleinen europäischen Volkswirtschaften zur puren Notwendigkeit geworden ist. Der militärisch-industrielle Komplex EU tritt heute – mal mehr, mal weniger – als Einheit auf, um mit den anderen großen Blöcken (USA, Japan, China, Russland) wirtschaftlich und militärisch mithalten zu können. Die Kriege der EU werden heute in Afrika oder Asien geführt.
Und so kommt es, dass nun frühere Rivalen gemeinsam ihre Interesse vertreten – auch kriegerisch. So kämpfen heute die EU-Staaten Deutschland, Frankreich, Italien oder Großbritannien mit vereinten Kräften für den Frieden am Hindukusch. Allein 2010 fielen dem Krieg in Afghanistan laut UNO 2777 ZivilistInnen zum Opfer…
Krieg ist Frieden
Unter Frieden verstehen die Herrschenden in der EU einen reibungslosen Ablauf der kapitalistischen Marktwirtschaft. Innerhalb und außerhalb der Festung Europa sollen europäische Banken und Konzerne beste Bedingungen vorfinden, um Profit zu machen. Im Jahr 2000 wurde in Lissabon beschlossen, die EU binnen 10 Jahren zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt“ zu machen. Heute ist in Spanien und Griechenland jede zweite Person unter 24 ohne Job.
Doch solche „sozialen Kollateralschäden“ kümmern die europäischen Banken und Konzerne nicht, solange sie weiter Profite machen können. Um sicher zu stellen, dass die Politik auch ihre Interessen umsetzt, sind in Brüssel über 15.000 Menschen einzig und allein damit beschäftigt, Lobbyarbeit zu betreiben.
Eine der einflussreichsten Lobbies ist dabei der 1983 gegründete "European Roundtable of Industrialists" (ERT), dem 45 Vorstandsvorsitzende der größten europäischen Konzerne angehören, u.a. die von Bayer, BP, Shell DaimlerChrysler, Ericsson, Fiat, Nestlé, Nokia, Philips, Renault, Siemens oder der österreichischen OMV. Dieser Verband war beispielsweise maßgeblich an der Einführung der Währungsunion (Euro) oder dem Programm der „Osterweiterung“ beteiligt.
Solche LobbyistInnen waren auch bei der Erstellung des Textes der EU-Verfassung beteiligt. Nach diesem Schriftstück hätten sich die Mitgliedsstaaten verpflichten müssen „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ (Artikel I-40). Eine Verpflichtung zur Aufrüstung (!), wie es sie in keiner anderen Verfassung gibt. Die EU-Verfassung wurde schließlich nicht ratifiziert, die Aufrüstung findet trotzdem statt.
2009 schlug eine eine Studie des offziellen EU-Think-Tanks ISS vor, die EU müsse „in einer symbiotischen Beziehung mit den transnationalen Konzernen“ (!) die „funktionellen Ströme“ der „globalen hierarchischen Klassengesellschaft“ absichern und „die global Reichen von den Armen“ abriegeln. (Quelle)
Dazu soll bis 2020 soll eine 360.000 Mann/Frau starke EU-Eingreiftruppe einsatzbereit sein, um sicherzustellen, dass permanent 120.000 SoldatInnen für globale Militäreinsätze zur Verfügung stehen. Nur so seien „globale militärische Überwachungskapazitäten und die Fähigkeit zur Machtprojektion“ gewährleistet. Außerdem müsse es die Möglichkeit geben „militärische Missionen zu starten bevor alle politischen Diskussionen dazu stattgefunden habe (…) damit es zu keinen Verzögerungen kommt.“
So sieht der Frieden der EU aus. Es erinnert an George Orwells Roman „1984“, wo die alles kontrollierende Partei der Bevölkerung Parolen wie „Freiheit ist Sklaverei“, „Unwissenheit ist Stärke“ oder „Krieg ist Frieden“ einbläut.
Nein zum Europa der Banken, Konzerne und Militärs!
Das Europa der Banken, Konzerne und Militärs wird niemals friedlich sein. Außerhalb werden Märkte und Rohstoffquellen mit Bomben und Granaten gesichert. An den Grenzen werden Menschen gejagt, die dem Elend entkommen wollen, welches der europäische Kapitalismus im Rest der Welt anrichtet. Und im Inneren wird der „soziale Frieden“ mit Prügelpolizei und bald auch wohl wieder Militärunterstützung hergestellt. Ihr Frieden bedeutet Krieg. Unsere Zukunft heißt Sozialismus!