Parkpickerl: Wohin mit den Autos? Und welche Alternativen?

Kaum eine Debatte wird derzeit in Wien so emotional geführt wie jene um die Parkgebühren. Rot-Grün verteidigen die Ausweitung dieser Massensteuer auf weitere Bezirke, Schwarz-Blau sehen den weltweiten Sieg der Fahrradmafia. Wie aber könnte eine sinnvolle Lösung aussehen?

Wien hat, wie die meisten Großstädte, ein Problem: es werden immer neue Autos angemeldet. Allein zwischen 2007 und 2011 stieg die Anzahl der angemeldeten PKW in Wien von 657.426 auf 674.526, also um mehr als 16.000. Die Neuzulassungs-Rate stieg laut Verkehrsclub Österreich von 2004 bis 2010 um zwölf Prozent.

Und diese Autos brauchen Platz: Ein parkendes Auto benötigt gute 10 Quadratmeter öffentlichen Raums. Ein Weg, mit dieser Situation umzugehen, ist die Schaffung von neuem Parkraum in Form von Parkplätzen und Garagen. Parkmöglichkeiten ziehen allerdings noch mehr Verkehr an und es werden auch mehr Autos gekauft. Gleichzeitig geht mit der Ausweitung von Parkraum öffentlicher Raum für andere Nutzungen verloren. Und auch die Umwelt und die Gesundheit leiden unter vermehrten Verkehr.

Über die Kosten steuern?

Viele Großstädte sehen die Lösung darin, den Parkraum zu limitieren. Einerseits über Zugangsbeschränkungen (also Plätze nur für AnrainerInnen), andererseits über zusätzliche Kosten, also Parkgebühren. Auch in Wien wurde nun das Parkpickerl („Parkkleber“) auf weitere Bezirke ausgedehnt. Das Parkpickerl kostet jährlich zwischen 140 und 170 Euro, pro Monat also zwischen 11 und 14 Euro.

Es lässt sich nun durchaus darüber nachdenken, inwieweit es legitim ist, für die private Benutzung von öffentlichem Raum auch Geld zu verlangen. Im Durchschnitt steht ein Auto 23 Stunden am Tag in der Gegend herum und braucht in dieser Zeit (und natürlich auch während der Fahrt) Platz – und verursacht daneben noch andere Kosten für die Allgemeinheit, etwa Straßenerhalt, Gesundheitskosten, Unfallkosten, etc. Die Diskussion über einen entsprechenden Ausgleich ist also durchaus legitim.

Das Parkpickerl hat allerdings einen riesigen Pferdefuß: Massensteuern bzw. -gebühren treffen nicht alle Menschen gleich– je mehr Geld vorhanden ist, desto lockerer wird bezahlt. Gleichzeitig sinken die Reallöhne und Pensionen, das verfügbare Geld wird also immer knapper. Somit treffen alle Massensteuern überproportional die ärmeren Schichten der Bevölkerung. Je höher also die Massensteuern, desto mehr wird das Auto zum Spielzeug der Reichen.

Das Auto als Luxusgut?

In den meisten städtischen Ballungszentren, und so auch in Wien, gibt es Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind oder für die das Auto eine enorme Erleichterung darstellt: Menschen, die sehr früh oder in schlechter erreichbare Teile der Stadt zur Arbeit fahren, Transporte oder Großeinkäufe erledigen müssen oder einfach nur einen Ausflug machen wollen.

Ein Auto bietet im Vergleich zum öffentlichen Verkehrsangebot viele Annehmlichkeiten und Erleichterungen. Und schließlich gibt es ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit – das in der fremdbestimmten kapitalistischen Gesellschaft nicht zu verachten ist. (Mehr dazu in unserem grundlegenden Artikel „Marxismus und Autofahren“)

Öffentlichen Verkehr ausbauen!

Im „Modalsplit“ (also der Frage, welche Verkehrswege mit welchem Verkehrsmittel zurückgelegt werden), werden in Wien für die Öffis 36% angegeben, für das Auto 31%, zu Fuß 28% und für das Fahrrad 5%. Diese Zahlen der Wiener Linien sind aber mit großer Vorsicht zu genießen, weil PendlerInnen nicht vorkommen und vermehrt Menschen aus inneren Bezirken befragt wurden, wo der Öffi-Anteil höher ist. Real ist der Auto-Anteil also weit höher als 31%.

Wie könnte nun also ein Ausweg aus der Misere aussehen? Entscheidend dabei scheint, sich aus der Klammer „Parkpickerl: ja oder nein?“ zu lösen und ein breiteres Verkehrskonzept anzudenken. Hier gibt es drei Ansätze: 1. den öffentlichen Verkehr, 2. die Menge des vorhandenen Parkraums und 3. alternative Modelle der privaten Mobilität wie Fahrräder oder auch Car-Sharing.

Am wichtigsten sind natürlich gut ausgebaute öffentliche Verkehrsnetze. Das bedeutet: Intervallverdichtungen, Netzausbau, Vorrang und grüne Welle für den öffentlichen Verkehr auf den Straßen, eigene Busspuren bzw. Gleiskörper, Stadterweiterung nur mit ausgebautem öffentlichen Verkehr, wo möglich und sinnvoll Straßenbahnen statt Bussen, einen S-Bahn-Ring für Wien und schließlich den Stopp der Ausdünnung von „niederrangigen“ Verkehrsmitteln beim Bau von U-Bahnen.

Übergeordnet ist eine integrierte Verkehrs- und Raumplanung für den gesamten Ballungsraum Wien mit seinen 2,5 Millionen EinwohnerInnen (unabhängig von irrelevanten Bundesländergrenzen) notwendig. Das bedeutet den deutlichen Ausbau und die Intervallverdichtung der Schnell- und Regionalbahnen in der Großregion um Wien, den Ausbau von Straßenbahnen ins nahe Umland, eine einzige Verkehrszone für die gesamte Ostregion statt der Zone 100/Wien sowie die Wiederaufnahmen von eingestellten Verbindungen der Nebenbahnen.

Eine andere Stadtplanung für eine andere Stadt

Das alles greift natürlich auch eng in die Stadtplanung und ist verzahnt mit ihr. Denn notwendig ist auchder Vorrang von innerstädtischer Verdichtung vor Neuerschließungen auf der grünen Wiese, die dann meist wieder neuen Autoverkehr auslösen. In Wien werden hier aktuell einige sinnvolle Schritte gesetzt, etwa die Erschließung des Nordbahnhof/Nordwestbahnhof-Geländes. Doch die Nutzung anderer potentieller großer Flächen, etwa die Verkürzung der Franz-Josefs-Bahn bis Spittelau und die dadurch mögliche Neu-Erschließung des riesigen Areals mit der ehemaligen Wirtschaftsuni und dem Franz-Josefs-Bahnhofs, stehen noch in den Sternen.

Hier spielen im Kapitalismus aber einflussreiche „Big Player“ mit, wie etwa InvestorInnen oder Baufirmen, die über formelle und informelle Kanäle (der Bausektor ist bekanntlich einer der Bereiche, mit der meisten Korruption) eng mit der Stadtpolitik verzahnt sind. StadtpolitikerInnen widmen Gründe am Stadtrand in Baugrund um, ohne einen langfristigen Blick auf eine regionsübergreifende Stadt- und Raumplanung.

Unsere heutigen Städte sind weitgehend auf das Auto ausgerichtet. Die Logik der Stadt orientiert sich an den großen Durchfahrtsachsen, die viel zu kurzen Ampelintervalle und der FußgängerInnenverkehr richten sich nach den „grünen Wellen“ für den motorisierten Verkehr, das fahrende und parkende Auto nimmt den meisten Platz im öffentlichen Raum ein. Hier bedarf es in der Stadt der Zukunft eines drastischen Wandels hin zu einer Stadt des öffentlichen Verkehrs, der FußgängerInnen und RadfahrerInnen – was aber auch bedeutet, entsprechend Ressourcen und Räume zur Verfügung zu stellen.

Auto vor der Stadt abfangen

Ebenfalls zentral ist der massive Ausbau von Park-&Ride-Anlagen. Von den 528.000 Personen, die werktags in die Stadt fahren, benützen 79% das Auto. Derzeit gibt es etwa in Niederösterreich rund 180.000 PendlerInnen, die nach Wien und zurück pendeln (inklusive SchülerInnen sind es sogar 250.000). Jede/r vierte NiederösterreicherIn arbeitet in Wien. Für diese KollegInnen stehen gerade einmal 33.000 Park-&Ride-Stellplätze in Niederösterreich zur Verfügung. Das ist ganz offensichtlich viel zu wenig. Hier müsste der Verkehr bereits lange vor der Stadtgrenze abgefangen und so der PKW-Druck reduziert werden.

Und auch die Kosten für den öffentlichen Verkehr müssen drastisch reduziert werden. Als erster Schritt sollte für den Ballungsraum Wien die Benützung des öffentlichen Verkehrs gratis sein. Nulltarif ist auch im Kapitalismus keine Illusion: Dieses Konzept ist bereits in vielen kleineren Städten erprobt. Als erste EU-Hauptstadt wird ab 2013 das estnische Tallinn Nulltarif auf allen Öffis einführen. Die dadurch eingesparte Arbeitskraft (für Verwaltung und Kontrolle der Fahrscheine) könnte prinzipiell sicherlich deutlich sinnvoller im öffentlichen Dienst eingesetzt werden.

Nach der Freigabe im Ballungsraum Wien ist ein schrittweiser Ausbau des Nulltarifs sinnvoll. Sogar die staatliche e-control kommt in ihrem “Grünbuch Energieeffizienz” für das gesamte Bundesgebiet (!) zum Schluss: „Der öffentliche Verkehr sollte für jeden kostenlos sein.“

PKW-Verkehr steuern

Dennoch muss der PKW-Verkehr an sich auch gesteuert werden. Ein Mechanismus kann hier die Verknappung von Parkraum im innerstädtischen Bereich sein. Das bedeutet vor allem die Verbreiterung und Begrünung von FußgängerInnenwegen und den Ausbau von FußgängerInnenzonen (mit Fahrrad-Benützungsrecht).

Eine Gesellschaft entscheidet, wie viel öffentlichen Raum sie wofür zur Verfügung stellen möchte. Und hier scheinen uns Straßen mit guter Luft, breiten Gehsteigen, Radfahrmöglichkeiten, öffentlichem Verkehr, Grünflächen und Spielplätzen doch deutlich wertvoller als Straßen als Abstellflächen für große Metalltrümmer.

Auch über die Notwendigkeit von Garagen kann nachgedacht werden. Diese werden massiv durch Steuergelder subventioniert und ziehen gleichzeitig stark Verkehr an. Besonders absurd sind solche Garagen im Kern der Stadt: wohl kaum jemand ist dazu gezwungen, mit dem Auto bis in den 1. Bezirk hinein zu fahren. Hinzu kommt noch die Stellplatzverordnung, die Bauträger dazu zwingt, mit jedem Neubau Garagenplätze zu bauen. Sie sollte schleunigst abgeschafft werden.

Die Steuerung über die Verknappung von Parkraum hat einen zusätzlichen Charme: sie ist einkommensunabhängig. Die Parkplatzsuche ist mit der Protzkarre sogar schwerer als mit dem Kleinwagen. Gleiches gilt für die Verknappung von Straßenflächen zugunsten des öffentlichen Verkehrs (z.B. eine Autospur weniger zugunsten eines Gleiskörpers oder eines Radwegs). VW Polo und Porsche können so – gleichberechtigt – nebeneinander im Stau stehen, während die Straßenbahn an ihnen vorbeifährt.

Neue Modelle

Schließlich sollten aber auch alternative Modelle der Mobilität gefördert werden. Wie erwähnt gibt es Situationen, wo Autos eine angenehme Sache sind. Doch wenn ein Auto 23 Stunden am Tag steht, ist es recht logisch, dass hier eigentlich mehrere Menschen eines teilen könnten.

Die derzeitigen „Car-Sharing“- Modelle haben den Nachteil, dass sie privaten Profitinteressen folgen, also recht teuer sind. Ein weiteres Problem ist, dass die kurzfristige und regionale Verfügbarkeit bei den meisten Leihauto-BetreiberInnen als Knackpunkt nicht gelöst ist. Denn wenn ich zuerst eine halbe Stunde mit den Öffis fahren muss, um zum Auto zu kommen, wird die Sache ein wenig sinnlos.

Sinnvoll wäre also hier ein nicht-profitorientiertes System der öffentlichen Hand, das drastisch ausgebaut wird. Und wenn im öffentlichen Raum genügend Car-Sharing-Autos (in verschiedenen Größen und für verschiedene Bedürfnisse) verfügbar und diese beim Parken auch noch bevorzugt sind, ist das ein starker Anreiz zum Verzicht auf das eigene Auto.

Gleichzeitig sollte der Fahrrad-Verkehr deutlich bevorzugt werden. Der Modal-Split weist für Wien 5% Fahrrad-Anteil aus. Die dänische Hauptstadt Kopenhagen, die eine Vorreiterrolle einnimmt, kommt demgegenüber auf einen Fahrrad-Anteil von 36 Prozent.

Nun ist Kopenhagen recht flach, während es in Wien doch den einen oder anderen Hügel gibt – doch allein damit lässt sich der Unterschied nicht erklären. Es geht auch darum, wie Verkehr gedacht wird. Welchen Stellenwert das Fahrrad in stadtpolitischen Infrastrukturfragen bekommt und wie demnach die Fahrradrouten und Serviceangebote ausgebaut sind. Sinnvoll sind etwa Fahrrad-Durchzugsstraßen, die Verbreiterung von Radwegen sowie eigene Radspuren auf der Straße statt baulich getrennter Radwege (die viel gefährlicher sind, da es dort regelmäßig zu Unfällen durch FußgängerInnen oder den Rechts-Abbiegeverkehr kommt).

Schlussfolgerungen

Das Parkpickerl bringt natürlich bestimmte Veränderungen. Die innerstädtischen Fahrten nehmen ein wenig ab, ebenso das Einpendeln. Gerade für viele PendlerInnen bedeuten das aber Zusatzkosten: zusätzlich zum in ländlichen Gebieten oft notwendigen PKW muss nun die Monatskarte nach und in Wien bezahlt werden. Wiederum sind hier die problematischen Auswirkungen einer Massensteuer sichtbar. Doch gleichzeitig ist im Verlauf der letzten Jahre nicht erkennbar, dass über das Parkpickerl eine substantielle Veränderung des Konsumverhaltens, also des Autokaufs, stattgefunden hat.

Eine tatsächliche Veränderung muss viel tiefer gehen. Es geht um einen völligen Wandel der Verkehrspolitik. Unsere Städte sind heute für den Autoverkehr gebaut und angepasst und sind daher auch vom Auto dominiert. Die Stadt der Zukunft wird radikal anders aussehen müssen.

 Der Kapitalismus mit seinen kurzfristigen Profitinteressen wird zu so einer Umgestaltung kaum in der Lage sein – und wenn, dann über so lange Zeiträume, dass die bis dahin noch entstandenen Umweltfolgeschäden nie wieder gut zu machen sind. Wir hingegen wollen eine Stadt zum Leben – und dazu brauchen wir eine andere Gesellschaft!

 

Zum Weiterlesen:

Marxismus und Autofahren (September 2012)

Rot-Grüne Tarifreform verkauft die Ärmsten (Oktober 2011)

Und auf einmal ist die Fahrt drei Mal so teuer – Der CAT in Wien . (Juli 2011)

Fahrradfahren: zwischen Klimaschutz, Lifestyle und falschem Verzicht (April 2011)

ÖBB: Für besseren Verkehr für alle! (Dezember 2009)

US-Autoindustrie: Klassenkampf von oben (Januar/Jänner 2009)

Motorschaden – die kapitalistische Krise am Beispiel der Automobilindustrie (Februar 2005)

 

Themenschwerpunkt Klima * Katastrophe * Kapitalismus