In Österreich sind vor kurzem mehrere Finanzskandale ans Tageslicht gekommen. Dabei wurde auf Länderebene mit Steuergeld am Finanzmarkt spekuliert, wobei, so wie es scheint, herbe Verluste entstanden sind. Ein „Spekulationsverbot“ soll solche Fälle in Zukunft verhindern. Das Problem ist jedoch wesentlich grundlegender und hängt eng mit den Staatsschulden insgesamt, sowie der Weltwirtschaft und ihrer Krise zusammen. Einige Überlegungen über Hintergründe und Zusammenhänge.
GlücksspielerInnen und BuchhalterInnen
Den Ausgang nahm alles mit Bekanntwerden eines Budgetloches des Landes Salzburgs, wie es zu Beginn hieß, von rund 300 Millionen Euro. Die Schuldige war schnell gefunden: eine Salzburger „Spitzenbeamtin“, die, so die Anschuldigungen, mit Vertuschungen und Unterschriftenfälschungen im Alleingang diese „Hochrisikogeschäfte“ abgeschlossen hat. Das Paradoxe dabei: angeblich um entstandene Verluste aus anderen „Investments“ auszugleichen. Zu Beginn haben die Medien das Ganze auf ungustiöse Weise psychologisiert: die Beamtin habe für ihren Job gelebt, sonst nicht viel gehabt und sich da wohl in irgendwas verrannt. So einfach ist das Ganze freilich nicht.
Kurz nach Bekanntwerden des Skandals hat sich das Beschuldigungskarussell weitergedreht: Hat der Finanzlandesrat nicht doch was gewusst? Ist nicht letztlich die Landeshauptfrau Salzburgs verantwortlich? Es kam zum Rücktritt des Finanzlandesrats und der Ausrufung von Neuwahlen im Land Salzburg. Danach entbrannte die nächste Diskussion: sind tatsächlich 300 Millionen Euro Verlust entstanden? Plötzlich war dann von bis zu einer Milliarde Euro Verlust die Rede, aber auch von einem Überschuss in Millionenhöhe. Das zeigt die massiven Schwierigkeiten den Dschungel an Finanzprodukten und –veranlagungen überhaupt erst mal zu überblicken – und verweist damit auch auf die Komplexität des modernen Finanzmarkts.
Kurz nach dem Skandal in Salzburg sind ähnliche Probleme des Landes Niederösterreich ans Tageslicht gekommen. Auch dabei ging es um die (verlustreiche) Veranlagung von Landefinanzen am Finanzmarkt. Das alles zeigt, dass es sich hier nur um die Spitze des Eisbergs handelt und der zentrale Punkt nicht die eine oder andere – verlust- oder gewinnbringende – Veranlagung ist. Die grundlegende Frage ist, warum staatliche Institutionen so etwas überhaupt machen.
Falsche politische Entscheidungen?
Die gängigen Erklärungen beinhalten eine Handvoll Argumente: die Unwissenheit oder der Leichtsinn der PolitikerInnen; die Überhand nehmende Komplexität der Finanzmärkte; Banken, die ihren KundInnen windige Geschäfte nahelegen; Durchsetzung und Dominanz der neoliberalen Wirtschaftstheorie… Wirklich überzeugen können diese Erklärungen aber nicht. Die Kritik orientiert sich oft an der Frage, wie es sein kann, dass der staatliche Souverän mit dem Steuergeld seiner BürgerInnen so leichtfertig umgeht? Dabei wird besonders das „Zocken“ auf den Finanzmärkten gebrandmarkt, so als ob dieses mit Glücksspiel gleichzusetzen wäre und aus der Spielsucht und Risikolust der Beteiligten entspringen würde. Doch was sind nun die Gründe für die „spekulativen Ausflüge“ in den Länderfinanzen?
Warum beteiligen sich Staaten überhaupt daran? Die Antwort ist relativ simpel: der Gang auf die Finanzmärkte sollte den Staaten dabei helfen, sich selber besser zu finanzieren. Und dass nach all den Heilsversprechungen von Dynamik und Wachstum der Finanzmärkte schlussendlich auch die Staaten versuchen ihre maroden Finanzen dort aufzubessern, kann nicht wirklich verwundern. Die Frage ist nun, warum das überhaupt notwendig geworden ist, warum also Engpässe an staatlichen Mitteln ein zentrales Thema waren und sind. Die Schuldenstände der Staaten sind ja nun nicht in der Krise vom Himmel gefallen; wenngleich die Krise natürlich ein wichtiger Katalysator war. Vielmehr muss es sich dabei, über die letzten Jahrzehnte hinweg, um das Vergrößern der Schere zwischen staatlichen Einnahmen und Ausgaben handeln. In den „falschen Entscheidungen“ von PolitikerInnen oder StaatsbeamtInnen den Hauptgrund zu sehen, greift jedoch zu kurz. Diese Entwicklungen haben nämlich wesentlich tiefere Ursachen.
Abschwung und Aufstieg
Ein zentrales Element für das Anhäufen der Staatsschulden und dem „Spekulieren“ mit Steuergeld auf den Finanzmärkten ist die Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft, genauer gesagt ihrer Dynamik, in den letzten Jahrzehnten. Diese hat, als Ergebnis der strukturellen Überakkumulation von Kapital, seit den 1970ern zunehmend abgenommen und ist einer Instabilität gewichen. Die Antwort der Herrschenden waren massive Reformen im ökonomischen Bereich und Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse. Um „Wachstumsimpulse“ zu schaffen, also um die Kapitalakkumulation auf höherer Ebene (= Profite) zu gewährleisten, wurde vor allem auf Flexibilisierungen, Deregulierungen und Privatisierungen gesetzt. Damit einher gingen eine Unzahl von steuerlichen Begünstigungen für Unternehmen und Vermögende (Schaffung von Steueroasen und Steuererleichterungen, Sinken von vermögensbezogenen Steuern…).Wenn also nach den Ursachen für die staatlichen Defizite gesucht wird, wird man hier fündig werden.
Zusammengefasst können wir sagen: die Staaten nehmen weniger Steuern ein, weil die Wirtschaft nur mittelmäßig läuft (was ein geringeres Steueraufkommen zur Folge hat) und weil sie deswegen – um wirtschaftliche „Anreize“ zu setzen – Kapital geringer belasten bzw. mehr Freiheiten garantieren. Letztlich war diese neoliberale Phase des Kapitalismus also eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Heute haben wir eine Situation, wo zum Beispiel die Bundesrepublik Deutschland rund 1795 Milliarden Euro Schulden hat. Auf der anderen Seite existieren in Deutschland aber private Geldvermögen von 4970 Milliarden Euro.
Im selben Zeitraum haben die Finanzmärkte immer mehr an Bedeutung und wirtschaftlichem Gewicht gewonnen. Diese Entwicklung ist wesentlich durch Flexibilisierungen und Deregulierungen seit den 1970ern begünstigt worden. Jede Erklärung davon bleibt aber oberflächlich, wenn nicht die mangelnde Dynamik der Weltwirtschaft selbst einbezogen wird. Denn wenn die Wirtschaft ohnehin gut gelaufen wäre, hätte es erst gar nicht so viel Anlass zur Ausdehnung der Finanztransaktionen und Verfeinerung der Finanzinstrumente gegeben. Die Finanzsphäre war also auf der einen Seite ein „Zufluchtsort“ fürs Kapital, dehnte aber auf der anderen Seite auch real die Möglichkeiten der Kapitalakkumulation aus (in dem neue Anlagesphären geschaffen und Umschlagszeiten verkürzt wurden).
Wachstum und Risiko
Auch wenn die ausgedehnten Finanzmärkte zu einer gewissen Dynamisierung der Ökonomie geführt haben, war diese Wirkung doch begrenzt. Denn die Profite auf den Finanzmärkten hängen eng mit der „Realwirtschaft“ zusammen. Vielfach sind es dort erwirtschaftete Profite die, entsprechend der Finanzierungsform (Aktien, Anleihen, Kredite…), zurückfließen (als Dividende, Zinsen…). Wie sollte es auch anders sein: es ist nur schwer vorstellbar, dass die „Finanzsphäre“, als eigenständiger Teil der Ökonomie existiert und eine entscheidende Rolle für den Zustand der Weltwirtschaft spielt – ohne was mit der Produktion zu tun zu haben. Umgekehrt bedeutet das: wie sollen die Finanzmärkte die Probleme der „Realwirtschaft“ lösen können?
Die Finanzmärkte konnten und können den Karren der lahmen Weltwirtschaft also nicht aus dem Morast ziehen. Trotz einzelner Wachstumsimpulse, die dadurch gesetzt wurden. Aber selbst die hatten ihren Preis: eine Erhöhung der Verstrickungen und damit auch eine Bündelung von Risiken. Der Beginn der aktuellen Wirtschaftskrise hat das deutlich gezeigt: nach dem Fall von Lehman Brothers bekamen plötzlich alle kalte Füße; weil niemand so genau wusste, wer wo mit was drinnen hängt bzw. wie weite Kreise dieser Zusammenbruch ziehen wird.
Spekulation und wirtschaftliche Dynamik
Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Dynamik und Finanzmärkten beinhaltet noch eine weitere wichtige Dimension: wie „spekulativ“ (oder risikoreich) Tätigkeiten am Finanzmarkt sind, hängt stark vom Zustand der Weltwirtschaft ab. Natürlich gibt es Geschäfte, die mehr Risiko bergen als andere; dieses Risiko wird durch höhere Profite bzw. Profitaussichten eingepreist. Und klarerweise existieren auch Geschäfte, die tatsächlich (fast) einen Wettcharakter haben. Allerdings sind Wetten ein Nullsummenspiel; eine Geldsumme wechselt den/die BesitzerIn, es wird dadurch aber kein zusätzlicher Wert oder Wachstum geschaffen. Alleine deswegen können die Finanzmärkte nicht vollständig von der sogenannten „Realwirtschaft“ entkoppelt sein. Woher sollten sonst die dort „entstandenen“ Profite in den letzten Jahrzehnten gekommen sein? Alles nur geschicktes Glücksspiel? Wohl kaum. Vor allem hätte es dann gleich viele VerliererInnen wie GewinnerInnen gegeben; ein Nullsummenspiel eben.
Vor dem Hintergrund dieser Zusammenhänge können wir folgende Faustregel aufstellen: Investments sind (bzw. werden) umso risikoreicher – bzw. „spekulativer“ – je unsicherer die wirtschaftliche Situation ist. Wir können sogar noch einen Schritt weiter gehen: letztlich ist jede Investition im Kapitalismus „spekulativ“ – es wird darauf „spekuliert“, dass das eingesetzte Kapital, mit einem darüber hinausgehenden Profit, später zurückfließt. Kapitalakkumulation eben, die Seele des Kapitalismus. Unter „normalen“ Bedingungen fließt das meiste Kapital dann auch zurück; in Krisenzeiten wird der Rückfluss brüchiger.
Staatsschulden und Krise
Hier schließt sich nun der Kreis zu den Staatsschulden: der lange Abschwung der Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten ist mit einem Verlust an Dynamik und einer Zunahme der Brüchigkeit des ökonomischen Kreislaufs einhergegangen. Diese Entwicklung und die sie begleitenden neoliberalen Reformen haben an der spezifischen Form des gegenwärtigen Kapitalismus entscheidenden Anteil – und damit auch an (der Form) der Krise. Dabei steht auf der einen Seite, dass trotz steigender Profite der KapitalistInnen die Situation wegen der strukturellen Überakkumulation tendenziell immer weiter an Instabilität gewinnt. Auf der anderen Seite stehen die Staaten, die nach Jahrzehnten sinkender Steuereinnahmen (wegen geringerer Besteuerung des Kapitals und geringem Wachstum) hohe Defizite aufweisen. Letztlich sind das aber nur zwei Seiten derselben Medaille.
Denn hier kommt der Clou: die Regierungen stopfen nun die Löcher, die Banken und Unternehmen in den Wirtschaftskreislauf gerissen haben. Die wahren Gründe dafür sind nun aber nicht die „falschen“ Entscheidungen des Kapitals, sondern die sinkende ökonomische Dynamik des langen Abschwungs. Es wird also wirklich paradox, wenn man sich vor Augen hält, dass die Staaten parallel dazu versuchen, ihre Budgets auf den Finanzmärkten aufzubessern. D.h. durch Veranlagungen in einem Umfeld, dass tendenziell instabiler und risikoreicher wird – im Umfeld einer krisenhaften Weltwirtschaft. Damit wird auch klar, wie beschränkt die Forderung ist, mit Steuergeldern nicht zu „spekulieren“, sondern „sichere“, vermeintlich „gute“ Investments zu tätigen.
Kasino Weltwirtschaft
Von entscheidenderer Bedeutung als diese Spielchen auf den Finanzmärkten sind jedoch die Krisenmaßnahmen der Staaten: Bankenrettungspakete, Euro-Anleihenkäufe und Konjunkturprogramme. Denn hier buttern staatliche Institutionen massenhaft Geld in die Stabilisierung der kapitalistischen Wirtschaft – mit der Hoffnung, dass diese wieder wachsen und sich stabilisieren werde. Das wäre auch eine Bedingung, damit das Geld wieder zurückfließt und nicht (neue) riesige Löcher in die staatlichen Budgets reißt. Denn wer soll die Löcher in den Staatsfinanzen stopfen? Die Finanzmärkte? Wohl kaum.
Staaten werden auch in Zukunft weiterhin massenhaft Steuergeld „verzocken“. Ob auf den Finanzmärkten, beim Versuch die eigenen Finanzen aufzubessern, oder indem sie versuchen die Gräben der kapitalistischen Krise zuzuschütten ist letztlich nicht entscheidend. Das zeigt vor allem Charakter und Tiefe der kapitalistischen Krise auf. Der schwarze Peter wurde am Ende der Kette den Staaten zugeschoben. Diese fahren nun mit hochexplosivem Gepäck in derselben Sackgasse, in der die Weltwirtschaft die letzten Jahrzehnte schon unterwegs war, weiter.
Politische Kräfteverhältnisse und Widersprüche
Das Entscheidende ist nun aber: das Alles ist kein Naturgesetz (so wie es uns die bürgerlichen IdeologInnen, die den neoliberalen Kapitalismus als alternativlos sehen, vorgaukeln wollen). Es ist vielmehr Ergebnis von politischen Kräfteverhältnissen. Diese haben sich in den letzten Jahrzehnten zugunsten des Kapitals verschoben, das heißt die Herrschenden konnten ihre Interessen besser gegen die Beherrschten durchsetzen. Doch selbst das hat den Kapitalismus nicht stabiler gemacht. Die neoliberale Offensive blieb auch fürs Kapital widersprüchlich: einerseits haben Angriffe, Flexibilisierungen und Deregulierungen gewisse Wachsimpulse gesetzt und Profite sprudeln lassen; andererseits sind gerade dadurch die systemischen Widersprüche verstärkt worden. Das Alles ist offensichtlich kein Rezept um nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum zu generieren, sondern viel eher Problembearbeitung von und für die Herrschenden.
Aber auch mit einer vermeintlich „besseren“ Wirtschaftspolitik wäre es um den Kapitalismus nicht besser bestellt. Denn ein wirtschaftliches System, dass auf dem Zwang zu permanentem Wachstum und Profitmaximierung beruht, produziert zwangsläufig Widersprüche, die auch dessen eigene Grundlagen und stabiles Funktionieren untergraben. Insofern werden auch beschränkte Re-Regulierungen der Finanzmärkte das Ruder nicht herumreißen.
Entscheidend werden die Kämpfe der ArbeiterInnenklasse gegen die Krisenpolitik der Herrschenden sein. Diese richten sich gerade dagegen, dass die Kosten der Krise, die die Staaten bereitwillig dem Kapital abgenommen haben, nun an die Lohnabhängigen weitergegeben werden. Dabei bieten sich gute Möglichkeiten dem aussichtslosen Herumdoktern des Reformismus der bürgerlichen ArbeiterInnenparteien und Gewerkschaften eine kämpferische und anti-kapitalistische Perspektive entgegenzusetzen und aus der krisenhaften Wachstumslogik des Kapitalismus auszubrechen.