Dass Geheimdienste massenhaft Daten speichern, E-Mails mitlesen und problemlos auch ausgeschaltete Handys abhören können, wurde vor zehn Jahren von vielen noch als Verschwörungstheorie belächelt. Mittlerweile haben Enthüllungen wie jene von Edward Snowden oder populäre Fernsehserien wie „Homeland“ dazu beigetragen, dass weite Teile der Bevölkerung davon ausgehen, der „gläserne Mensch“ sei längst Realität. Wozu dient die flächendeckende Überwachung und kann sie tatsächlich Terroranschläge verhindern?
NSA: Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast
Seitdem der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden mit geheimen Informationen an die Öffentlichkeit gegangen ist, kommen wöchentlich neue Details zu den gewaltigen Überwachungsprogrammen der USA und anderer Staaten ans Tageslicht. Wie so oft bei solchen Enthüllungen, ist es dabei nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. Grob gesagt, bewegen sich die Vorwürfe gegen den US-amerikanischen Geheimdienst NSA (National Security Agency) auf drei Ebenen:
Erstens, dass Millionen Menschen weltweit überwacht werden, indem die NSA sogenannte Metadaten speichert. Dabei handelt es sich nicht um Inhalte, sondern um Verbindungen, d.h. wer war wann online und auf welchen Seiten, wer hat wann mit wem wie lange telefoniert usw. Allein in Deutschland sollen täglich rund 20 Millionen Telefonverbindungen und zehn Millionen Datensätze aus Internetverbindungen erfasst werden. Später deckte die New York Times mit Bezug auf einen ehemaligen FBI-Mitarbeiter zusätzlich auf, dass die USA ihren gesamten Briefverkehr überwachen und abfotografieren lassen.
Zweitens, so heißt es in den Berichten des Guardian und der Washington Post, denen die Quellen von Snowden zugespielt wurden, hätte die NSA über das Programm „PRISM“ direkten Zugriff auf die Daten von neun der größten Internetkonzerne, darunter Facebook, Yahoo, Google, AOL oder Microsoft (mit Skype) – und somit auch auf private Inhalte, die von UserInnen gepostet werden.
Drittens geht es um die gezielte Überwachung und Bespitzelung Einzelner. So wurde aus den Dokumenten von Snowden ersichtlich, dass die NSA VertreterInnen der EU ausspioniert, ihre Computernetzwerke infiltriert und die EU-Verwaltungsgebäude in Brüssel sowie ihre diplomatischen Vertretungen in Washington und New York verwanzt hat. Pseudo-Empörtes Geheule unter EU-PolitikerInnen war die absehbare Folge.
In einem Interview mit dem Guardian meinte Snowden, die NSA könnte praktisch alles abfangen und mitlesen. „Wenn ich in Ihre E-Mails oder in das Telefon Ihrer Frau hineinsehen wollte, müsste ich nur die abgefangenen Daten aufrufen. Ich kann Ihre E-Mails, Passwörter, Gesprächsdaten und Kreditkarteninformationen bekommen“ so der „Whistleblower“.
Von kleinen und großen Brüdern
Die Enthüllungen wurden zu großen Teilen von höchsten Regierungsstellen bis hin zu Barack „Big Brother“ Obama bestätigt und inhaltlich verteidigt. In Europa waren die Reaktionen unterschiedlich. Während sich die Stellungnahmen österreichischer, deutscher oder französischer SpitzenpolitikerInnen hauptsächlich im Niveau ihrer Heuchelei und gespielten Empörung unterschieden, ging der Tenor unter „ExpertInnen“ eher in Richtung eines oberschlauen „haben wir eh schon immer gewusst“.
Rund zwei Wochen nach den ersten Enthüllungen über PRISM veröffentlichte der Guardian weitere Informationen. So zapft der britische Geheimdienst mit dem Programm „Tempora“ transatlantische Datenkabeln an und fängt so erhebliche Teile des Internetverkehrs ab. Und auch Frankreich hat sein eigenes „PRISM“, wie die Zeitung Le Monde kürzlich berichtete.
Auf den ersten Blick scheint es absurd, dass sich, wie in den letzten Wochen häufig erwähnt, US-amerikanische und europäische Geheimdienste gegenseitig unterstützen und Informationen zuspielen, gleichzeitig aber auch stets danach trachten, den jeweils anderen auszuhorchen. Doch im Prinzip ist das nur der Ausdruck der widersprüchlichen Dynamiken im kapitalistischen Weltsystem. Einerseits haben die USA, Deutschland, Frankreich etc. gemeinsame Interessen was sich beispielsweise in den jüngst aufgenommenen Verhandlungen über eine transatlantische Freihandelszone zeigt. Andererseits will aber auch jeder Staat (sowie die EU als Staatenbund) seine eigenen KapitalistInnen besonders protegieren. (Ein Beispiel dafür wäre die ablehnende Haltung Frankreich gegen den Angriff auf den Irak 2003, hinter dem wirtschaftliche Interessen der US-Ölkonzerne standen. Frankreich hingegen erfreute sich guter Beziehungen mit der Regierung Saddam Husseins, es war einer der Hauptwaffenlieferanten des Irak, französische Unternehmen, vor allem der Ölkonzern TotalFina-Elf, machten große Geschäfte mit dem Irak.)
Letztendlich kann davon ausgegangen werden, dass jeder Staat im Rahmen seiner Ressourcen versucht, möglichst viele Informationen zu sammeln und zu überwachen. Das trifft natürlich auch auf kleine Länder wie Österreich zu. Darum auch der lächerliche Eiertanz rund um die Asylgesuche von Edward Snowden, der darin gipfelte, dass die Maschine des bolivianischen Präsidenten Evo Morales in Wien zwischenlanden musste, weil die USA ihren derzeitigen Staatsfeind Nr. 1 an Bord vermuteten. Zwar empören sich europäische SpitzenpolitikerInnen von Angela Merkel abwärts über die Bespitzelung, wie sie Snowdens Enthüllungen ans Tageslicht gebracht haben, Asyl gewähren wollen sie ihm aber nicht. Einerseits, weil sie eben selbst überwachen und bespitzeln was geht und andererseits, weil sie die Beziehungen zum wichtigen Wirtschaftspartner USA nicht trüben wollen. Geht es um Aufdecker und „Verräter“, so sind die inner-imperialistischen Gemeinsamkeiten allemal wichtiger als die ebenso vorhandenen Gegensätze und Rivalitäten. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Schützt Überwachung vor Terror?
In Ländern wie den USA oder Großbritannien, die in den letzten Jahren von Anschlägen auf ZivilistInnen betroffen waren, gibt es in der Bevölkerung eine diffuse „Terror“-Angst, die von den Herrschenden gezielt geschürt wird. Zwar ist es um ein vielfaches wahrscheinlicher, durch Autounfälle, Krankheiten oder in ihrem männlichen Stolz verletzte Ehemänner ums Leben zu kommen, ganz zu schweigen von den gesundheitsschädigenden Langzeitfolgen der kapitalistischen Produktionsweise, dennoch, niemand möchte gern von religiösen Fanatikern in die Luft gesprengt werden.
Aber abgesehen davon, dass die meisten Sprengstoffanschläge auf ZivilistInnen ja nicht in den USA oder Europa, sondern in Ländern wie dem vom Imperialismus „demokratisieren“ Irak stattfinden: Konnten die wenigen Anschläge der letzten Jahre, wie etwa jener auf den Boston Marathon, durch die umfassenden Überwachung verhindert werden? Die Geheimdienste antworten mit ja. Angeblich wurden dutzende Anschläge dadurch vereitelt. Beweise dafür gibt es natürlich keine, sonst würde ja die Geheimhaltung verletzt. Die Katze beißt sich in den Schwanz.
Im Gegenteil, oft ist die Rolle der Geheimdienste bei Anschlägen durchaus fragwürdig. Zum Beispiel darf angenommen werden, dass Teile des deutschen Verfassungsschutzes Beihilfe zu den rassistischen Morden der 2011 bekannt gewordenen Nazi-Organisation NSU geleistet haben.In den 70er Jahren organisierten CIA und italienische Geheimdienste mehrere Anschläge in Italien, um sie der Linken in die Schuhe zu schieben und diese damit zu schwächen. (siehe dazu: Strategie der Spannung)
Die USA, die Foltergefängnisse wie Guantanamo betreiben und bei Drohnenanschlägen massenhaft ZivilistInnen töten sowie ihre Verbündeten (Großbritannien, Frankreich, Deutschland…) ähneln jenen, die sie vorgeben zu bekämpfen mehr als ihnen lieb ist. Imperialismus und Islamismus sind keine Gegensätze. „Westliche“ Regierungen und ihre Geheimdienste waren bei der Etablierung des saudischen Regimes (welches Frauen das Autofahren verbietet und Homosexuelle ermordet) und der Taliban ebenso wie bei der Durchsetzung des iranischen Islamismus und beim Aufstieg der Hamas in Palästina beteiligt. (siehe dazu: „Der Westen und der Islamismus “ )
Überwachen und Strafen
Während wohl kaum davon auszugehen ist, dass sich Al-Qaida-Zellen gegenseitig Anleitungen zum Bombenbau über das Internet zusenden, bedeutet der unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung errichtete Überwachungsapparat der kapitalistischen Staaten eine große Gefahr für tatsächliche GegnerInnen von Krieg und Unterdrückung. Eine Gefahr für jene, die die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher als „der Feind im Inneren“ bezeichnet hat: Linke Organisationen, GewerkschafterInnen, Öko-AktivistInnen, kritische Intellektuelle und KünstlerInnen, ArbeiterInnen im Streik, all jene, die Widerstand gegen die Zumutungen des kapitalistischen Systems leisten. Erst letztes Jahr forderte der konservative spanische Innenminister ein Gesetz, welches die Anstiftung zur Störung der öffentlichen Ordnung durch Medien oder soziale Netzwerke mit zwei Jahren Gefängnis bestrafen sollte. Mit solchen Einschüchterungsversuchen sowie der technischen Möglichkeit lückenloser Überwachung soll Widerstand gegen Sozialabbau oder Privatisierungen unterdrückt werden.
Während ihr verrottetes System immer menschenverachtende Züge annimmt, fällt den Herrschenden nichts anderes ein, als Überwachung, Repression und Lügen. Verhindern können sie den Widerstand dadurch nicht. Um es mit den Worten der US-amerikanischen Punk-Band „Anti-Flag“ zu sagen: „You can kill the protestor, but you can't kill the protest“.
Zum Weiterlesen:
Staat und Nazi-Terror in Deutschland (November 2011)
Sie sind unter uns: Über Spitzel in der Linken (Januar 2011)
Zum Schauprozess gegen die 13 TierrechtlerInnen (Januar 2011)
Der Westen und der Islamismus: Eine heilige Allianz in Afghanistan und anderswo (Oktober 2011)
Strategie der Spannung (November 2011)