Dies ist die Vorderseite der Flugblätter, die wir gemeinsam mit der SAS in Berlin verteilen. Wir beziehen Stellung zu den sozialen Kämpfen in Bosnien und den Versuchen der EU die Bewegung niederzuschlagen.
Fast 20 Jahre nach Kriegsende im alten Jugoslawien führen Privatisierung, „freie“ Märkte und der starke Einfluss der EU nicht nur im heutigen Bosnien- Herzegowina zu Arbeitslosigkeit, Hunger und Armut.
Katastrophale Lage
Eine neue Entlassungswelle Anfang Februar war der Auslöser für Massendemonstrationen in der nordost-bosnischen Stadt Tuzla, die sich rasch über das ganze Land verbreitet haben. Es stehen schlagartig, durch die Ankündigung des Bankrotts von fünf großen Unternehmen, mehr als 10.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel und das bei einer Einwohnerzahl von 120.000!
Seit dem Ende des Jugoslawienkrieges 1995 sind auf Druck der Weltbank / der EU viele Betriebe privatisiert worden. Diese wurden meist unter Wert an ausländische Konzerne verkauft, welche diese bewusst bankrott gewirtschaftet haben, um zum einen „Schwarzgeld“ zu waschen und zum anderen die Gebäude mit Gewinn zu verkaufen. Dies natürlich alles ohne Rücksicht auf die Jobs, die dadurch verloren gegangen sind. Dadurch beträgt die Arbeitslosenquote in Bosnien heute mehr als 44 %, die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar bei 60 %! In vielen Betrieben wurde monatelang kein Gehalt gezahlt, in Tuzla beispielsweise ganze 50 Monate (!) lang nicht. Viele Menschen müssen monatlich mit einem Durchschnittslohn von 420 €, bei ähnlichen Lebenshaltungskosten wie in Westeuropa, leben. JedeR Fünfte lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Und gegen diese Lebensbedingungen gehen zurzeit alle zusammen, Arbeitende, Studenten, Rentner_innen und Arbeitslose, auf die Straße. Sie protestieren mit dem Slogan „50.000 auf den Straßen für ein besseres Mor-gen“ und fordern eine Zurücknahme der Privatisierungen, eine Begrenzung des Gehaltes der Politiker_innen und Arbeit und Sozialversicherung für alle! Hierbei wurden Regierungsgebäude besetzt und Straßen blockiert.
Anstatt auf die mehr als berechtigten Forderungen der Demonstranten einzugehen, antwortet die Regierung jedoch mit Gewalt. Allein in den ersten beiden Tagen der Proteste wurden mehr als 130 Menschen in Tuzla verletzt…
Gemeinsam kämpfen!
Die heutige Staatsstruktur wurde durch das Dayton-Abkommen 1995 besiegelt. Es beschloss u.a. die Aufteilung der neuen Staatsgrenzen, die politische Abhängigkeit zur UNO/EU und wie das Regierungssystem auszusehen hat, ohne die sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen. So leben in Bosnien beispielsweise mehrere Nationalitäten – Kroat_innen, Serb_innen und bosniakischen Muslim_innen – nebeneinander. Seit vielen Jahren herrscht hier ein blutiger Kampf zwischen ihnen, welcher von den Regierenden und der EU nur zu gerne genutzt wird, um die wahren Probleme zu vertuschen und sie hinter der Karte des Nationalismus und der Spaltung zu verstecken.
Doch dieses Mal bleiben die Proteste weder auf eine einzelne Bevölkerungsgruppe, noch auf Regionen beschränkt. Mittlerweile wird in 33 bosnischen Städten, wie Sarajevo, Zenica, Bihac oder Mostar gemeinsam gekämpft. Ein beeindruckendes Beispiel des gemeinsamen Kampfes ist Mostar, wo Kroat_innen und Serb_innen gemeinsam demonstriert haben, obwohl es hier seit dem Ende des Krieges immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen gekommen ist. In diesen Tagen werden statt nationalistischer Parolen Sprüche wie „Tod dem Nationalismus“ verbreitet. Viele Menschen haben in dieser Situation erkannt, wer ihr wahrer Gegner ist. So werden Parolen gegen Konzernbesitzer_innen und Politiker_innen gerufen, wie: „Genug von den Aasgeiern!“ oder „Diebe, Diebe!“.
Die Rolle der EU
Mit dem Abschluss des Dayton-Abkommens sicherte sich auch die EU ihre Position im Balkangebiet. So hat sich die EU einen Staat geschaffen, der macht was sie will, denn bis heute haben die ehemaligen jugoslawischen Staaten keine eigenständige politische Souveränität. Der 1995 von der EU eingesetzte „Friedensimplementierungsrat“ kann bosnische Institutionen aufheben, Repräsentanten des Landes entlassen oder selbstständig Gesetze einführen. Das führt nur zu deutlich vor Augen, dass die bosnische Regierung nicht mehr als eine Marionette der EU ist. Zudem hat sie jahrelang die Privatisierung und Arbeitslosigkeit vorangetrieben und somit die Konflikte verschärft. Auch sind immer noch NATO-Truppen im Balkangebiet stationiert, um den „Frieden“ zu sichern. Deswegen ist es auch kein Wunder, dass Valentin Inzko, der Vorsitzende des „Friedensrates“ überlegt, mit den Truppen jetzt einzurücken. Aber natürlich nicht, um den Frieden zu sichern, sondern um die sozialen Proteste niederzuwerfen!
Die sozialen Probleme sind für alle dieselben. Viele der Menschen in Bosnien haben erkannt, dass die sozialen Probleme, wie Hunger und Armut, für alle Teile der Bevölkerung dieselben sind. Ihr Elend wird durch Unternehmer_innen und korrupte Politiker_innen verursacht, die weder „nationale“ noch „ethnische“, sondern nur ihre eigenen Interessen verfolgen, indem sie privatisieren, korrumpieren und den anderen Bevölkerungs- gruppen die Schuld für die sozialen Probleme in die Schuhe schieben. Vielleicht sind die heutigen Proteste der Anfang einer Bewegung, die den Nationalismus, der die Menschen auf dem Balkan schon so oft in eine blutige Sackgasse geführt hat, überwindet und dagegen die Solidarität der Ausgebeuteten und Betrogenen setzt.