Es gibt heute wohl nur mehr wenige Orte in Deutschland ohne Handy-Empfang. Doch für die Teilnehmer_innen am marxistischen Sommercamp in Brandenburg war das fehlende Signal völlig irrelevant, schließlich konnten sie eine Woche voll Workshops, Ausflügen, Baden, Feiern und solidarischem Miteinander genießen.
Nach der erfolgreichen Premiere im Vorjahr organisierten die drei trotzkistischen Organisationen RSO, Sozialistische Arbeiterstimme (SAS) und La fraction L'Étincelle auch diesmal wieder ein gemeinsames Sommercamp. Über 100 Genoss_innen aus Frankreich, Deutschland, Österreich, den USA und England folgten dem Ruf in die wunderschöne Uckermark in der Brandenburger Seenlandschaft.
Seminar oder Urlaub? Oder beides?
Unsere gemeinsamen Camps sind als eine Mischung aus politischem Seminar und Urlaub konzipiert. Je nach Lust und Laune konnten einerseits täglich mehrere politische Vorträge und Workshops besucht, andererseits aber auch aus einem umfangreichen Freizeitprogramm ausgewählt werden.
Inhaltlich stand diesmal einiges aus dem Bereich Theorie und Kultur am Programm. So wurde etwa im Workshop „Die Gesellschaft im Individuum“ die Psychoanalyse mit der Psychologie der Kulturhistorischen Schule verglichen. In der Debatte zum Vortrag über die Philosophie des Existenzialismus ging es um die Frage, ob es Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung von Gesellschaften gebe. Im Bereich Kultur gab es unter anderem Referate zur Serie Breaking Bad, zu „Zombies, Vampiren und Kapitalismus“ und eine kritische Bilanz der „Arbeiter_innenkultur“ im Roten Wien.
Der Austausch über die Arbeitsschwerpunkte der einzelnen Organisationen durfte natürlich ebenfalls nicht zu kurz kommen. So trafen sich zum Beispiel Krankenhaus-Beschäftigte oder Bus- und Bahnfahrer_innen aus den verschiedenen Ländern zur gemeinsamen Diskussion. Auch die politische Arbeit unter jungen Menschen oder in Stadtteilinitiativen (wie Camp Kotti in Berlin) wurde kritisch reflektiert. Und nicht zuletzt gab es auch Debatten zu aktuellen politischen Krisen wie dem Konflikt in der Ukraine oder in Israel/Palästina. Das inhaltliche Programm umfasste aber nicht nur klassische Vorträge und Diskussionen, sondern auch praktische Workshops, etwa zu Graffiti, Boxen oder Improvisationstheater.
Wem das alles zu viel wurde, der_die konnte sich an den See zum Chillen zurückziehen oder die wunderschöne Landschaft auf Wanderungen oder Radtouren erkunden, die zumeist spontan organisiert wurden. Ein Highlight war sicherlich die Kanu-Tour, bei der sich dutzende Boote aufmachten, die Brandenburger Seenlandschaft zu erkunden. Für Sportbegeisterte gab es auch dieses Jahr wieder eine spezielle Herausforderung im Rahmen eines Kurzstrecken-Triathlons. Es muss ein verblüffendes Bild gewesen sein, als sich gut zwei Dutzend wackere Genoss_innen nach einem Massenstart in den See warfen und anschließend bei strömenden Regen über Landstraßen und Waldwege radelten und rannten.
Das größte Talent ist die Zusammenarbeit
Das Abendprogramm setzte auf mittlerweile fast schon traditionelle Highlights. Die diesmal unter dem Motto „Kommunismus und Popkultur“ stehende Quizshow umfasste Fragen zu Arbeitskämpfen bei den Simpsons, historische Produktionsweisen bei „Game of Thrones“ oder Lenin-Zitaten im Film „Big Lebowski“. Bei einer Jamsession beteiligten sich zeitweise fast 30 Genoss_innen mit Instrumenten, die von der Geige bis zum Löffel reichten. Außerdem wurde fast jeden Abend ein Film gezeigt. Und natürlich durfte auch diesmal wieder die beliebte Talentshow inklusive bitterböser Jury nicht fehlen. Hier zeigten Genoss_innen aller Altersgruppen nicht nur bisher teils unbekannte Talente, sondern auch einigen Sinn für Selbstironie. So wurden etwa die beliebten Glühbirnen-Witze („Wie viele Personen von XY braucht es, um eine Glühbirne zu wechseln?“) auf die teilnehmen Organisationen angewandt und pantomimisch nachgespielt.
Das größte Talent – und somit auch eine unser wichtigsten Stärken – zeigte sich aber nicht in dieser nicht ganz ernst gemeinten Show, sondern in der Solidarität und Zusammenarbeit aller Camp-Teilnehmer_innen. Es war wunderschön zu sehen, wie Genoss_innen, die seit den frühen 1960er Jahren aktiv sind, mit solchen, die seit 2013 aktiv sind und jenen, die es vielleicht einmal werden, zusammen und über Sprachgrenzen hinweg Spaß hatten. Während manche in der Linken Fragen des persönlichen Umgangs (leider) als weniger wichtige oder gar „unpolitische“ Angelegenheiten ansehen, stehen diese bei uns sehr weit oben. Und gemeinsam Spaß zu haben und eine gute Zeit zu verbringen ist genauso wichtig wie das Lesen von Texten oder Verteilen von Flugblättern.
Eine Stimmung von Wertschätzung und Solidarität, das ist es, was wir – trotz aller Meinungsverschiedenheiten – auch gegenüber anderen in der Linken und Arbeiter_innenbewegung ausstrahlen wollen. Und nicht zuletzt wollen wir von diesem Camp natürlich möglichst viel Motivation für unsere weitere politische Arbeit mitnehmen.