In Paris findet gerade die größte Protestbewegung von Krankenpfleger_innen seit 30 Jahren statt. Der Leitartikel der Betriebsflugblätter unserer französischen Genoss_innen von L’Étincelle vom 25.5. berichtet darüber.
Nach dem erfolgreichen Streiktag vom 21. Mai wird das Pflegepersonal der Krankenhäuser nächsten Donnerstag wieder auf die Straβe gehen
Am vorigen Donnerstag haben mehr als 8 000 Angestellte aus den 37 Krankenhäusern des Pariser Öffentlichen Fürsorgewesens (AP-HP) in Paris demonstriert. Das ist die gröβte Demonstration des Krankenhauspersonals seit 27 Jahren (im Jahre 1988 initiierten die Krankenpflegerinnen zusammen mit dem Personal aus dem Gesundheitswesen eine breite Protestbewegung). Der Erfolg dieser Kundgebung hat allen Teilnehmern neuen Mut gemacht. Die Entscheidung des Direktors des Pariser Öffentlichen Fürsorgewesens, die Zahl der Ausgleichstage zu verringern (wenn mehr als 35 Stunden in der Woche gearbeitet wird, gibt es zusäzliche freie Tage, die sogennante RTT = Réduction du Temps de Travail), hat die Wut des Krankenhauspersonals explodieren lassen. Vor allem hat die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen diese Wut verursacht.
Weniger Pflegepersonal, mehr Kranke, eine gröβere Arbeitslast
Martin Hirsch behauptet, durch seine neue Reform des 35-Stunden- Gesetzes werde das Personal in den Pariser Krankenhäusern weniger arbeiten. Das ist ein Witz! Diese Reform soll die wöchentliche Arbeitszeit verringern: Dafür wird man uns Ruhetage klauen können.
Die Arbeitslast wäre dann gröβer: Schon jetzt ist der Personalmangel so groβ, dass es nicht in der Lage ist, rechtzeitig mit der Arbeit fertig zu werden.
Die Überstunden häufen sich an: Dabei werden sie nicht bezahlt und man kann sie auch nicht als Ruhetage verwenden
“Wie kann man in 7 Stunden schaffen, was man schon in 7 Stunden und 36 Minuten nicht schaffen kann?“ fragt also das streikende Personal mit Recht.
Martin Hirsch sagt, er handle im Interesse des Krankenhauspersonals: Wie soll man ihm glauben, wenn er sich mit dieser Reform zum klaren Ziel setzt, zwischen 20 und 25 Millionen Euro auf Kosten der Beschäftigten zu sparen?
Mit den 75 000 betroffenen Angestellten von Paris kämen die geklauten Ruhetage (RTT) mehreren tausend Arbeitsplätzen gleich. Übrigens: Martin Hirsch hat keine Bedenken, erpresserische Mittel zu benutzen: Entweder werden Ruhetage (RTT) abgeschafft oder 4 000 Arbeitsplätze abgebaut. Und der französische Krankenhausverband wartet auf die Umsetzung der Reform in den Pariser Krankenhäusern. Dann wird er sie auf allen öffentlichen Krankenhäusern Frankreichs zur Regel machen und dabei mehrere zehntausend Arbeitsplätze abbauen. Mit anderen Worten: Der Kampf des Pariser Krankenhauspersonals geht alle Beschäftigten der französischen Krankenhäuser an und sogar darüber hinaus.
Kampf gegen die Arbeiter: Die Regierung geht mit gutem Beispiel voran
Die Umsetzung des 35-Stunden-Gesetzes in den Krankenhäusern im Jahre 2002 hat nie neue Anstellungen zur Folge gehabt. Ganz im Gegenteil: Seitdem hat die Regierung immer wieder den Personalbestand verringert: Allein in den letzten drei Jahren wurden 4000 Arbeitsplätze in den Krankenhäusern des Pariser Öffentlichen Fürsorgewesens abgebaut. Betten werden weggeschafft, die Abteilungen werden umstrukturiert, während das Pflegepersonal regelmäβig von einer Abteilung in eine andere versetzt wird. Manchmal wird der Pfleger sogar aus dem Urlaub zurückgerufen, um die Lücken in der Belegschaft auszufüllen. Und das hat negative Folgen für uns alle, vor allem mit den endlosen Schlangen vor der Notaufnahme: Sie können manchmal verhängnisvoll sein.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt
So ist Martin Hirschs Ankündigung der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Schon in den ersten Tagen hat das Personal in mehreren Krankenhäusern Versammlungen veranstaltet und viele Angestellte haben daran teilgenommen. Sie haben sogar sofort vor Ort demonstriert. Der erfolgreiche Streiktag vom vergangenen Donnerstag hat die Entschlossenheit aller Streikenden verstärkt. Ein neuer Demonstrationstag ist für nächsten Donnerstag vorgesehen. Hoffentlich ist das erst der Anfang.
Um so mehr als die Idee eines Angriffs auf das 35-Stunden-Gesetz und die Ruhetage nicht allein vom Direktor der Pariser Krankenhäuser und vom Ministerium für Gesundheit kommt. Sie kommt direkt vom Unternehmerverband Medef, der seit Jahren „die Flexibilisierung“ des 35-Stunden-Gesetzes fordert; dabei schürt er erpresserisch die Angst vor dem Abbau von Arbeitsplätzen oder Schlieβungen in vielen Betrieben der Privatwirtschaft.
Dieses Mal geht die Regierung selbst in den Krankenhäusern mit gutem Beispiel voran. Deshalb haben alle Arbeitenden genug Gründe, in Wut zu kommen und Schulter an Schulter mit dem Personal der Krankenhäuser zu kämpfen.