Österreich ist nicht nur als streikarmes Land bekannt, es hat auch in den letzten Jahren kaum relevante Arbeitskämpfe gegeben. Obwohl der Metallbereich und seine Gewerkschaft weiterhin als die selbstbewussteste Berufsgruppe gelten, haben sich in den letzten Jahren betriebliche Auseinandersetzungen verstärkt in Richtung Gesundheitsbereich verschoben. ÄrztInnen bringen Leben in die starre Gewerkschaftslandschaft und neue Initiativen wie die CARE Revolution hinterfragen das System von StellvertreterInnenpolitik und Sozialpartnerschaft.
Teil 1: Situation des Gesundheitsbereichs und neue Kämpfe
Nachdem der Gesundheitsbereich in den 80er Jahren durch den Skandal von Lainz im Zentrum medialer Aufmerksamkeit stand und die Proteste der Pflege und der medizinisch-technischen Dienste (Die Pflegeproteste der 80er) beispielhaft für erfolgreichen demokratisch organisierten Basisprotest standen, wurde es in dem Bereich in den beiden folgenden Jahrzehnten relativ ruhig. Als Folge der Proteste in den 80ern wurden, durch den öffentlichen Druck und die kämpferischen Demonstrationen, Lohnerhöhungen und Personalaufstockungen erreicht und die neue Berufsgruppe der AbteilungshelferInnen eingeführt. Damit wurde der Bereich für eine Weile befriedigt.
Tatsächlich ist in den letzten Jahrzehnten der Bedarf nach medizinischer Versorgung und Pflege, allein aus demographischen Gründen, stark gestiegen. Gleichzeitig hat sich in der staatlichen Verwaltung eine Spar- und Effizienzlogik immer stärker durchgesetzt, auch im Gesundheitsbereich. Eine gebetsmühlenartig vorgeschobene angebliche Kostenexplosion dient(e) als Grundlage für Kürzungen auf dem Rücken von Beschäftigen und PatientInnen. In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtung hat sich so schleichend eine Situation der chronischen Unterbesetzung entwickelt, die den Bereich zu einem mit der höchsten Arbeitsbelastung gemacht hat. So sind Pflegekräfte besonders von Burn-Out bedroht und scheiden oft nach einigen Jahren wegen Überlastung wieder aus dem Beruf aus. Gleichzeitig gab es gerade in der Pflege unterdurchschnittliche Lohnerhöhungen. Nur durch Nacht-, Wochenend- und Feiertagszuschläge und die damit verbundenen familiär und gesundheitlich belastenden Dienste, kann ein existenzsicherndes Gehalt sichergestellt werden.
Neue Kämpfe
Seit einigen Jahren nehmen die Kämpfe im Gesundheitssystem (Arbeitskämpfe im österreichischen Gesundheitswesen) allerdings wieder zu und der Bereich gehört, was Auseinandersetzungen angeht, zu den dynamischsten und vielfältigsten. Ein Grund dafür ist, dass sich die Situationen in den einzelnen Bundesländern stark unterscheiden, unterschiedliche politische Koalitionen in den Landesregierungen existieren und damit verbunden, sich auch verschiedene Akteure in diversen Konstellationen gegenüberstehen. In der Steiermark gab es breite gesellschaftliche Proteste gegen Kürzungen im Sozial-, Gesundheits- und Kulturbereich (Plattform 25, http://www.plattform25.at/) durch die rot-schwarze Koalition, die mit der sogenannten Reformpartnerschaft ohne Rücksicht auf (Stimm-)Verluste, sozialen Kahlschlag betrieb. Auch die vom Betriebsrat getragene erfolgreiche Kampagne gegen die Privatisierung des LKH Graz West war von einer starken Beteiligung der Bevölkerung geprägt.
In Oberösterreich gab es bereits 2011 einen Streikbeschluss im AKH Linz, der allerdings nach Aufnahme von Verhandlungen mit dem Landeshauptmann von der Gewerkschaftsführung nicht in die Tat umgesetzt wurde. Mit den Streiks in den acht oberösterreichischen Ordensspitälern 2013 wurde das Jahrzehnte geltende Tabu vom Streik im Krankenhaus gebrochen. In Salzburg wurden durch große Demonstrationen und Sternmärsche während der Arbeitszeit Lohnerhöhungen erwirkt.
In Wien kündigte die Direktion des Krankenanstaltenverbundes (KAV) 2011 Einsparungen an. Als Reaktion darauf und um der Wut der Beschäftigten aufgrund der bestehenden Überlastungssituation gerecht zu werden, organisierte die Gewerkschaft die Kampagne „Zeit für Menschlichkeit“. Neben Unterschriftensammlungen fand auch eine Demonstration mit ca. 1500 TeilnehmerInnen beim Rathaus statt. Die angekündigten Einsparungen wurden zurück genommen, an der Unzufriedenheit und Überlastung verschiedener Berufsgruppen im Wiener Gesundheitsbereich hat sich allerdings nichts geändert. Auch im Rahmen des privaten Sozial- und Gesundheitsbereiches (BAGS) gibt es immer wieder Demonstrationen mit mehreren Tausend TeilnehmerInnen.
Protest der ÄrztInnen
Im Herbst 2014 wurde angekündigt, dass mit 1. Jänner 2015 die EU-Arbeitszeitrichtlinie für Krankenhäuser umgesetzt wird und die Wochenarbeitszeit auf maximal 48 Stunden reduziert wird. Die Regierung erstellte ein Modell (opt-out), in dem die Reduzierung Schrittweise bis 2017 von statten gehen soll und dem die betroffenen ÄrztInnen zustimmen müssen. Nachdem die Richtlinie seit 2003 bekannt war und seit dem keine Maßnahmen ergriffen wurden, drohte nun der Kollaps bei der Umsetzung.
In ganz Österreich formierten sich Initiativen der ÄrztInnen, die für eine Arbeitszeitreduzierung bei vollem Lohnausgleich, bzw. gegen Lohnverluste durch die neue Regelung kämpften. Dabei gab es Kampagnen und Demonstrationen in mehreren Bundesländern, die meistens gemeinsam mit den Ärztekammern organisiert wurden. Von den zuständigen Gewerkschaften, die teilweise schlechte Vereinbarungen mit den Regierungen abschlossen, fühlten sich viele ÄrztInnen nicht mehr vertreten.
Auf Initiative des Wiener Arztes Gernot Rainer wurde die neue ÄrztInnengewerkschaft „Asklepios “, nach dem Vorbild des deutschen Marburger Bundes, gegründet. Schnell schlossen sich über 1000 ÄrztInnen der Gewerkschaft an, der Großteil davon in Wien. Obwohl die neue Gewerkschaft rechtlich bis heute keine Kollektivvertragsfähigkeit zugesprochen bekommen hat, ist ihr Einfluss unbestreitbar. Auf einer Demonstration in Wien im April, an der über tausend ÄrztInnen teilgenommen haben, wurden die Stadträtin und der Gewerkschaftschef (beide nicht anwesend) ausgebuht, der Wiener Ärztekammerpräsident mit lauem Applaus und Gemurre begrüßt. Einzig der Präsident von Asklepios erhielt tosenden Applaus.
Am längsten dauerte die Auseinandersetzung um die Arbeitszeitreduzierung in Wien. Durch den Druck der ÄrztInnengewerkschaft, die auch die Ärztekammer zu weiteren Verhandlungen zwang, wurden schließlich Erhöhungen des Grundlohns und der Nachtdienstzuschläge erreicht, was im Durchschnitt etwa der Forderung nach 30 % Lohnerhöhung entsprach. Die neu gegründete Organisation Asklepios hat es geschafft durch den aufgebauten Druck dem Verhandlungsergebnis seinen Stempel aufzudrücken und Verbesserungen sogar noch dann zu erreichen, als die Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GdG) und die Ärztekammer schon einem Abschluss zugestimmt hatten und der Gemeinderat die neuen Gehaltsschemata beschossen hatte. Während die Ärztekammer sich damit zufrieden gab und ihre Kampagne gegen die Missstände in den Spitälern stoppte, betonten die Asklepios Vorsitzenden weiter gegen die chronische Unterbesetzung im medizinischen Bereich und für eine gute öffentliche PatientInnenversorgung kämpfen zu wollen.
Die Ärztekammer und auch etliche ÄrztInnen sind bekannt für ihre Standesborniertheit, in der Vergangenheit wurden öfters Verbesserungen für die ÄrztInnen zu Lasten anderer Berufsgruppen wie der Pflege gefordert. Im Entwurf des neuen Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes mischt zum Beispiel die Ärztekammer mit, während keine Interessenvertretung der Pflege eingebunden ist. Eine Gewerkschaft, die nur eine Berufsgruppe vertritt, ist strukturell stark gefährdet eine Standesvertretung zu werden. Gleichzeitig ist die stellvertretende Obfrau von Asklepios auch aktives Mitglied der neoliberalen und tendenziell gewerkschaftsfeindlichen Partei NEOS, was etwas paradox wirkt, aber ein Ausdruck der Krise der traditionellen Vertretungen ist und einer leistungsorientierten aber liberalen Einstellung vieler ÄrztInnen entspricht.
Bisher hat sich die neue ÄrztInnengewerkschaft verbal solidarisch mit den PflegerInnen gezeigt und auch die Zusammenarbeit gesucht. Auf der ersten gemeinsamen Demonstration von Pflege und ÄrztInnen im Oktober hat sich eine aktuell schwache Mobilisierungsfähigkeit von Asklepios gezeigt, nur wenige ÄrztInnen sind dem Aufruf gefolgt um gemeinsam für mehr Personal zu protestieren. Auf jeden Fall war der Kampf der ÄrztInnen und die Gründung einer eigenen Gewerkschaft auch für andere Berufsgruppen vorbildhaft, immerhin hat er gezeigt, dass es möglich ist seine Ziele kämpferisch zu erreichen und sich eine eigene Vertretung zu schaffen. Wenn Asklepios es schafft, die Kollektivvertragsfähigkeit zugesprochen zu bekommen, könnte dadurch perspektivisch weitere Bewegung in die starre österreichische Gewerkschaftslandschaft kommen.
CARE Revolutionen
In den Salzburger Landeskliniken, war auch die Pflege von der Arbeitszeitreduzierung und damit verbundenen Lohnverlusten betroffen und die Betriebsräte forderten 30 % mehr Lohn analog zu den ÄrztInnen. Ein engagierter Betriebsrat aus der Pflege hat auf YouTube und Facebook eine Kampagne zur Unterstützung der Forderungen gestartet. Solidarische Pflegekräfte sollten Fotos mit Schildern machen, um die sogenannte „CaREvolution “ zu unterstützen. Hunderte Fotos aus verschiedenen Krankenhäusern im Bundesland Salzburg wurden veröffentlicht, die Kampagne erhielt große mediale Aufmerksamkeit, auch über Salzburg hinaus. Schließlich wurden auch Arbeitstreffen abgehalten und die Forderungen mit Kundgebungen und Demonstrationen auf die Straße getragen. Obwohl die Kampagne durch einen schlechten Abschluss des Verhandlungsteams massiv geschwächt wurde, hat die CaREvolution weiterhin eine große Reichweite in der Pflege und diente als Inspiration für ähnliche Initiativen in anderen Bundesländern. So entstanden CaREvolution Treffen in Oberösterreich, der Steiermark und Kärnten, die allerdings keine große Dynamik entfalten konnten.
In Oberösterreich, wo es in den letzten Jahren etliche Kämpfe und auch Streiks in den Krankenhäusern gegeben hat, wurde von der Landesregierung angekündigt 25 Millionen Euro im Sozial- und Gesundheitsbereich einzusparen. Die in den vergangenen Kämpfen entstandenen Netzwerke kämpferischer BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen mobilisierten zu großen Demonstrationen und auch im Bereich der Behindertenbetreuung stand ein Streik zur Debatte. Zum ersten Mal haben in Oberösterreich vier Gewerkschaften gemeinsam für den Gesundheitsbereich verhandelt und 20 % Lohnerhöhung gefordert. Nachdem ein zwar überdurchschnittlicher, aber doch weit von dieser Forderung entfernter Abschluss erzielt wurde, haben die Beschäftigten auf zwei Stationen im AKH Linz begonnen sich mit Teilbetriebsversammlungen selbst zu organisieren (Die Kultur der Selbstorganisation ) und versucht den Kampf für 20 % Lohnerhöhung weiter zu führen. In einer Resolution wurden andere Stationen aufgefordert es ihnen nachzumachen und Druck auf die Gewerkschaft aufzubauen. Auch wenn diese Versuche noch nicht von Erfolg gekrönt waren, zeigen sich sowohl im gewerkschaftlichen Bereich als auch in der Belegschaft neue Ansätze von Organisierung und Risse im bürokratischen System des StellvertreterInnentums.
Teil 2 des Artikels beschäftigt sich mit den Aktivitäten in Wien und zeigt Perspektiven für den Gesundheitsbereich und eine solidarische Gesellschaft auf.