Mit dem Beginn des Jahres 1959 endete die brutale und repressive Diktatur des Generals Fulgencio Batista. Er war mittels Staatsstreich an die Macht gekommen und fand seine Unterstützung in der nationalen Bourgeoisie, die sich nicht gegen die wirtschaftliche und politische Unterdrückung durch die USA erheben wollte.
Nach der Vernichtung der schon vom Zersetzungsprozess angegriffenen Batista-Armee durch die Guerillatruppen der Bewegung des 26. Juli (in Zukunft hier auch B26J genannt) wurde auf Grund eines breiten Kompromisses eine patriotische Regierung von liberalen Bürgerlichen eingesetzt. Die politische Macht lag aber eindeutig in den Händen der Guerillabewegung unter dem Oberbefehl von Fidel Castro. Die B26J gab sich zunächst ganz „humanistisch“. Zwischen Kommunismus und Kapitalismus erblickten sie einen dritten Weg, den der olivgrünen Revolution. Ihre gemäßigte Aufgabe definierten sie selbst in der Herstellung der nationalen Unabhängigkeit und Souveränität sowie in der Durchführung schon lange aus-stehender Reformen. Der Kapitalismus konnte gar nicht angetastet werden, da es sich um eine national-demokratische Revolution handelte, so die Argumentation der Revolutionäre.
Doch die nach dem Muster einer Volksfront gebildete Koalition brach nach sieben Monaten wieder auseinander. Unter dem Druck der Massen von Bauern und Arbeitern musste die B26J mit dem Bürgertum brechen. Die Bourgeoisie sah sich durch das Reformprogramm, obwohl es alles andere als radikal konzipiert war, gefährdet und boykottierte die politischen Entscheidungen Castros und der B26J. Der rechte Flügel der B26J, der dem Bürgertum näher stand, brach mit der Bewegung unter dem Vorwand, die PSP (die Sozialistische Volkspartei, seit 1944 der Name der kubanischen KP) hätte zu viel Einfluss, worauf die B26J aufgrund der neuen Kräfteverhältnisse nun auch tatsächlich einen bürokratischen Linksschwenk vollzog, bei dem die stalinistischen PSP-Kader ihre Unterstützung anboten.
Der US-Imperialismus schien anfänglich geschlafen und abgewartet zu haben. Erst mit der Nationalisierung der amerikanischen Betriebe, die sich geweigert hatten, sowjetrussisches Öl zu raffinieren, wachte der imperialistische Riese auf und bereitete, nachdem er eine Wirtschaftsblockade verhängt hatte, eine bewaffnete Invasion vor.
Die einzige Überlebenschance für das kubanische Regime bestand nur mehr darin, sich der UdSSR an den Hals zu werfen. Sie stellte Waffen zur Verfügung und schloss mit Kuba wichtige wirtschaftliche Verträge ab, die die Zukunft des Landes ohne die USA als Haupthandelspartner fürs erste sicherten.
Auf die Bedrohung der nur knappe 150 Kilometer von der kubanischen Küste entfernten stärksten imperialistischen Macht sah sich Fidel Castro, der sich als bonapartistischer[1] Führer über die Klassen gestellt hatte, gezwungen, für den Machterhalt radikale Maßnahmen zu setzen. Nach der Verstaatlichung des Außen-handels, verkündete Castro, dass Kuba sozialistisch sei, was selbst dem stalinistischen Chruschtschow zu schnell ging. Aus der olivgrünen Revolution war – entgegen den Absichten der Agierenden – eine rote geworden; aus der Parole „Freiheit oder Tod“ wurde „Sozialismus oder Tod“.
Spanien und der Würgegriff des US-Imperialismus[2]
Christoph Kolumbus nahm im Namen der spanischen Krone 1492 Kuba (110.860 Quadratkilometer und heute ca. 11 Millionen Einwohner) in Besitz. Er dachte, es sei eine Indien vorgelagerte Insel und nannte sie zu Ehren der Thronfolgerin Juana. Mit dem Konquistador Diego Velázquez begann um 1511 die Ausrottung der Indios. Die gesamte Insel wurde innerhalb weniger Jahre vollkommen unterworfen und die wichtigsten Städte gegründet (darunter: Trinidad, La Habana und die frühere Hauptstadt Santiago de Cuba). Zur Besiedelung Kubas wurden ganze Landstriche mitsamt ihrer Bevölkerung an spanische Adelige und Geistliche über-geben. Die Kolonialherren versklavten die Indios und versuchten sich mittels Sklaven in Viehzucht, Landwirtschaft und in der Suche nach Gold, das sich zu ihrem eigenen Pech nicht in dem Ausmaß finden ließ, wie sie es sich erwartet hatten.
Im 18. Jahrhundert blühte der Handel der spanischen Kolonialherren am Rücken der Sklaven auf. Es wurde Tabak und Zuckerrohr nach Spanien exportiert. Nach einem kurzen Intermezzo einer englischen Besatzung erlaubte Spanien den Handel mit Nordamerika, was sich als gewinnbringender Absatzmarkt zeigte. Der Zuckerrohranbau und die Verarbeitung wurden ausgebaut, und eine dünne Oberschicht der Plantagenbesitzer konnte ihre Gewinne ins unermessliche steigern. Bis 1868 war Kuba wohl die reichste Kolonie der Welt. Nach gescheiterten Sklavenaufständen (1812 und 1844) wurde die Sklaverei aber erst 1886 abgeschafft.
Während des ersten Befreiungskrieges (1868-1878) wurden im Revolutions-manifest die Forderungen nach der Unabhängigkeit Kubas, der Sklavenbefreiung und der umfassenden Handelsfreiheit festgeschrieben. Gegen Ende entwickelten sich Vorformen des Guerilla-Kriegs, deren sich die Anführer Antonio Maceo und Máximo Gómez bedienten.
Der zweite Befreiungskrieg (1895-98) ist mit dem Entstehen einer revolutionären Keimzelle um Antonio Maceo verbunden. Die politisch-theoretische Unter-mauerung lieferte José Martí, der für die völlige Unabhängigkeit Kubas, also auch der von Nordamerika, eintrat und die Rückbesinnung auf die kubanischen Traditionen forderte. Die Aufständischen kämpften in allen Landesteilen, doch gelang es ihnen wegen der schlechten Versorgung und Bewaffnung nicht, den endgültigen Sieg herbeizuführen. Die Revolutionäre kontrollierten zwar das Landesinnere, die Spanier aber die Städte.
Die vielen misslungenen Versuche der USA, den Spaniern Kuba abzukaufen, liefen letztlich auf eine direkte militärische Intervention hinaus, die mit der Sicherung des Friedens und der Beendigung des unerklärten Krieges der Kubaner gegen die Spanier gerechtfertigt wurde. Die neuen Besitzer verkündeten 1898 das Ende der spanischen Kolonialzeit und brachten Kuba mit der US-Militärherrschaft die wirtschaftliche und die indirekte politische Abhängigkeit von den USA. Kuba wurde eine von den Vereinigten Staaten abhängige Halbkolonie.
Der Zugriff Spaniens war aber schon in den Jahrzehnten davor im raschen Schwinden begriffen gewesen – die ökonomische Schwäche des Mutterlandes Spanien unterhöhlte dessen koloniales System. Bereits 1850 hatte der kubanische Außenhandel mit den USA 1/3 des gesamten Außenhandels betragen, mehr als mit Spanien. Hinzu kommt, dass nach den Verwüstungen am Ende des ersten Befreiungskrieges (also nach 1878), die nordamerikanischen Geschäftsleute die kubanische Zuckerplantagen und -produktionsstätten zu Spottpreisen kaufen konnten.
Das Schicksal Kubas war überhaupt stark mit dem Auf und Ab der Zuckerrohr-produktion verbunden. Ab den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts überflügelte nun die Rübenzucker-Weltproduktion, die vor allem in Frankreich und Deutschland vorangetrieben wurde, die der Rohrzuckerproduktion, von der Kuba fast aus-schließlich lebte. Die Folge war, dass das einseitig auf die Rohrzuckerproduktion ausgerichtete Kuba in eine strukturelle Krise schlittern musste. Die Zuckerpreise sackten ab, und die rückständigen Produktionsformen („Ochsenantrieb und Ochsentransport“) mussten durch Maschinisierung und industrielle Produktion des Sektors ersetzt werden, um die Produktion ertragfähiger und profitabler zu machen. Die kubanischen (Zuckerrohr-) Mühlenbesitzer verfügten aber nicht über das erforderliche Kapital. Die nordamerikanischen Kapitalisten hingegen investierten im großen Stil in die Zuckerplantagen und hatten am Ende des 19. Jahrhunderts bereits 10 Prozent der gesamten kubanischen Zuckerproduktion in ihrem Besitz. Zusätzlich kauften sich US-amerikanische Großunternehmen (z.B. Bethlehem Steel und Rockefeller) in weitere Schlüsselbereiche der kubanischen Wirtschaft neben dem Zuckerrohr ein: Kapital floss in Minen (Eisenerz, Mangan, Nickel) und den Aufbau von Tabakplantagen.
Die Spanier verließen die Insel am 1. Jänner 1899. General Wood berief am 5. November 1900 eine verfassungsgebende Versammlung ein. Die Delegierten hatten die Aufgabe, eine Verfassung auszuarbeiten und einen Vertrag zu entwerfen, der die künftigen Beziehungen zwischen Kuba und den USA regeln sollte. Doch nach vier Monaten wurde durch die USA eine Verfassungsänderung erzwungen. Das Platt Amendment wurde eingeführt, das das Recht auf militärische Intervention[3] zur Wahrung nordamerikanischer Interessen beinhaltete sowie Flottenstützpunkte (Guantánamo) und wirtschaftliche Vorzugspositionen sicherte.[4]
Hatte der Ausverkauf Kubas durch US-Konzerne bereits vor der Lostrennung von Spanien begonnen, ging dieser Prozess nun beschleunigt weiter. Große amerikanische Gesellschaften (wie die United Fruit Company) kauften mit Beginn des 20. Jahrhunderts riesige Anbauflächen. Sie versuchten, Washington zum Abschluss eines Vertrages zu bewegen, der die Einfuhr von kubanischem Zucker in die USA zu einem weit niedrigeren Zoll erlaubte als die Einfuhr aus dem übrigen Ausland. Die US-Rübenzuckerfabrikanten opponierten gegen einen solchen Vertrag solange, bis der Zucker-Trust sich in die Rübenzuckerraffinerien einkaufte. Die Opposition erstarb nun schnell. Durch den vom Kongress gebilligten Vertrag von 1903 erhielten die Importe aus Kuba eine Zollerleichterung von 20 Prozent und die amerikanischen Exporte nach Kuba eine um 20 bis 40 Prozent. Die USA konnten nun daran gehen, sich in ihrem neuen Hinterhof behaglich einzurichten.
Vor dem Ersten Weltkrieg expandierte die US-Zuckerindustrie in Kuba immens. 14.400 Kilometer private Eisenbahnstrecken wurden gebaut, um die US-Plantagen mit den Mühlen zu verbinden, und die kubanische Regierung wurde veranlasst, weitere 7.680 Kilometer zu bauen, um den Zucker zu den nächstgelegenen Häfen transportieren zu können. Tausende Arbeitskräfte wurden aus Jamaika und Haiti importiert und in Baracken untergebracht. Die kleineren Pflanzer und Mühlen-besitzer gerieten in die Abhängigkeit der großen, zumeist nordamerikanischen Konzerne. Noch während des 1. Weltkriegs wurde der Zucker knapp, und der Preis stieg, nach Jahren des Rückgangs, wieder ein wenig an.
Nach Kriegsende war die Wirtschaft Europas am Boden, die in Europa konzentrierte Zuckerrübenproduktion in der Krise. Das US-Zuckerkontrollgesetz fiel, und der Zuckerpreis stieg enorm hoch (von 2,5 auf 22,5 Cents pro Pfund 1920). Dieser spektakuläre Boom ging in die Geschichte als der Tanz der Millionen ein, brachte wenigen einen nie dagewesenen Wohlstand und beließ dennoch die arbeitenden Massen in einem elenden Zustand. Noch im selben Jahr (1920) tanzten die Millionen nicht mehr. Der Preis fiel abrupt auf 3,75 Cents pro Pfund. Die Krisenzeit setzte ein, und die großen fraßen die kleinen Unternehmen. Die Mühlen-besitzer wurden von den Raffineriebesitzern verschlungen, der Banco Nacional und der Banco Español erging es mit einer Übernahme seitens der National City Bank ebenso. Als Gewinner gingen die US-Unternehmen hervor, die über 50 Prozent im Bereich der kubanischen Zuckerproduktion dazugewannen.
Die Monokultur des Zuckers verfestigte sich. Die Wirtschaft Kubas war nichts anderes als der Haus- und Hofzuckerlieferant der USA. Die US-Unternehmen rissen sich aber auch die Telefon- und Elektrizitätsversorgung unter den Nagel. Hier kontrollierten sie mit ihrer 90%-Beteiligung (!) sogar noch mehr als mit ihrer 50-Prozent-Beteiligung an den Eisenbahnbetrieben.
Mittels dieser wirtschaftlichen Vormachtstellung wurde die politische befestigt. Gestützt auf einen Teil der kapitalschwachen nationalen Bourgeoisie und des Groß-grundbesitzes wurde die Halbkolonie politisch verwaltet. Je nach gesellschaftlicher Situation ließ man die Puppen der Demokratisch-konstitutionellen Partei tanzen, die durch nichts außer Korruption, Stimmenkäufe und Privilegien für sich selbst auffielen. Oder aber man ließ von brutalen Diktatoren durchgreifen. Die Diktatur des Schlächters Gerardo Machado (1924-1933) wurde ermöglicht durch die Angst der Großgrundbesitzer und der reichen Bourgeoisie vor Unruhe und Aufständen. Denn die soziale Situation verschärfte sich sukzessive in den 20er Jahren.
Machado wurde von einem Studentenaufstand, der einen Generalstreik der Arbeiterorganisationen[5] auslöste und zu einer bewaffneten Landbesetzung der Zuckerrohrplantagen geriet, gestürzt. Er verließ mit keiner geringeren Unter-stützung als der des amerikanischen Sonderbotschafters Benjamin Sumner Welles das Land. Die Staatskasse Kubas befand sich in seinem Handgepäck.
Nach einer kurzlebigen provisorischen Regierung unter Ramón Grau[6], die anti-imperialistische und nationaldemokratische Reformen durchzusetzen versuchte, ohne einen vollständigen Bruch mit dem US-Imperialismus zu riskieren, brachte sich General Fulgencio Batista durch einen Militärputsch (1934) an die Macht. Offiziell wurde Kuba zwar zeitweise von einem Präsidenten regiert, doch die eigentliche Macht lag bis 1959 bei Batista, dem Oberbefehlshaber des Militärs. Am 1. Juli 1940 wurde die Verfassung angenommen, und aus den allgemeinen Wahlen war Fulgencio Batista als Präsident hervorgegangen. Als Führer der Sergeanten-revolte von 1933 war er populär geworden, ab 1934 faschistischer Diktator, 1940 bis 1944 Präsident, danach im freiwilligen Exil in Florida und ab 1952 wieder an der Spitze einer Diktatur. Bei breiten Schichten war er u.a. auch wegen seiner Herkunft aus der Schicht der Mulatten populär. Er sorgte für die Durchsetzung der nordamerikanischen Interessen und behauptete seine Macht, entsprechend den wechselnden Prioritäten der US-Außenpolitik.
Listenreich benutzte er die opportunistische politische Ausrichtung des organisatorisch schwachen kubanischen Stalinismus, der PSP[7], zu seinen Zwecken. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, als die sozialen Spannungen stiegen, holte er sie in die Regierung und band sie mit zwei Ministerposten in das Herrschafts-system ein. 1952 waren die Arbeiter der PSP gegenüber schon desillusioniert, die Gefahr einer sozialen Eruption beseitigt, die PSP konnte nun von der Regierungs-bank nicht nur in die Opposition, sondern auch gleich in die Illegalität geschickt werden.
Es war 1952 – vor dem neuerlichen Militärputsch Batistas -, als sich ein 25jähriger Rechtsanwalt für die Wahlen große Chancen ausgerechnet hatte, in den Kongress gewählt zu werden. Dr. Fidel Castro war Mitglied der Partido del Pueblo Cubano (Ortodoxo), einer 1948 gegründeten bürgerlich-nationalen Partei. Erzürnt über den Putsch Batistas, der die Wahlen nicht stattfinden ließ, ging er vor Gericht und beschuldigte Batista und seinen Clan, gegen sechs Artikel des Strafgesetz-buches verstoßen zu haben, womit sie zu insgesamt 108 Jahren Gefängnis verurteilt werden müssten. Wie nicht anders zu erwarten, wiesen die Richter Castros Forderungen zurück.
Castro organisierte mit seinen Mitstreitern in der Folge eine Guerillatruppe, die Batista zu stürzen gedachte. In einer Handstreichaktion versuchten 200 Mann und zwei Frauen gegen die Übermacht von 1000 Soldaten, 1953 die Moncadakaserne im Sturm zu nehmen, um dann die Unterstützung der Bevölkerung zu erhalten, einen Generalstreik auszulösen und Batista zu stürzen. Nach dem katastrophalen Misslingen dieses ersten Versuches sollte Castro aber nach drei Jahren Krieg 1959 an der Spitze der Rebellenarmee Batista endgültig stürzen und verjagen.
Anti-Batistischer Guerillakrieg und Griff nach der Macht
Es war die Nacht vom 31. Dezember 1958 zum 1. Jänner 1959, als der Diktator General Fulgencio Batista vor den herannahenden Rebellentruppen der Bewegung des 26. Juli (B26J) nach Santo Domingo, der Hauptstadt der Dominikanischen Republik, flüchtete. Sein Repressionsapparat hatte unheilbar an fortschreitender Verfaulung gelitten und er selbst an politischer Isolierung, da selbst das Bürgertum, aber auch der städtische Mittelstand gegen ihn opponierten. Die blutige und repressive Herrschaft, die am 1. Juni 1952 mit einem Staatsstreich begonnen hatte, fand ihr Ende. Und der Machtergreifung durch die Bewegung des 26. Juli stand nichts mehr im Wege – fast nichts mehr.
Ihren Namen gab sich die Bewegung als Erinnerung an den Angriff auf das Fort in Moncada (Santiago de Cuba) am 26. Juli 1953. Ziel war es, die Bevölkerung nach der Eroberung der Kaserne zur Unterstützung der Rebellen aufzurufen und so Batista zu stürzen. Als Focus gedacht, als Funke, der sich im trockenen Stroh entzünden sollte, blieb die Aktion in den Anfängen stecken; vom politischen Konzept her wurde der Angriff durch und durch substitutionalistisch ohne direkte Ein-beziehung der Massen geplant und durchgeführt, die als passive Zuschauer erst später die politische Bühne betreten sollten. Unter den wenigen überlebenden Rebellen befanden sich die Brüder Raul und Fidel Castro. Fidel Castro wurde verhaftet und hielt vor Gericht seine fünfstündige Verteidigungsrede[8], berühmt wurde sein „Die Geschichte wird mich freisprechen“. Das Gericht allerdings verurteilte ihn zu über 20 Jahren Haft.
Fidel Castro war am 13. August 1926 als Sohn eines Plantagenbesitzers geboren worden. Er wuchs in einem reichen, katholischen Elternhaus auf und genoss eine religiöse Erziehung. Nach der Schule (1945) inskribierte er auf der Universität Havanna Jus, wurde Präsident der unabhängigen Studentenschaft und wanderte wegen seiner politischen Aktivitäten einige Male ins Gefängnis. Seine politischen Vorbilder waren Präsidentschaftskandidat Chibás (Orthodoxo[9]) und José Martí[10].
Batista hatte Castro zwar gerade verurteilen lassen, stürzte aber in eine Regierungskrise und ließ nun, um ihr entgegenzuwirken, Amnestie walten. Castro erhielt seine Freiheit und zögerte nicht, seine Anhänger zu reorganisieren. In Mexiko bauten die exilierten Rebellen eine Guerillatruppe auf, von denen 82 Mann mit einer Yacht namens Granma aufbrachen und am 2. Dezember 1956 auf Kuba landeten. Die Kämpfe des städtischen Untergrunds der B26J in Santiago de Cuba, die als Unterstützung des Guerillakampfes gedacht waren, wurden schnell nieder-geschlagen, und so konnten die Soldaten die Besatzung der Granma dem-entsprechend empfangen. Es überlebte gerade ein Dutzend, das sich ins Gebirge der Sierra Maestra retten konnte.
Sie lieferten sich mit der Armee Gefechte, die neben deren Demoralisierung vor allem die Beschaffung von Waffen und Munition zum Ziel hatten. Aber dass es Batista nicht gelang, die Guerilla zu besiegen und zu vernichten, war nur ein Symptom für die Morschheit seines Regimes, denn die Unzufriedenheit stieg in der kubanischen Gesellschaft sukzessive an. Innerhalb eines Jahres bildeten sich drei Kampfherde heraus, die nicht mehr zu ersticken waren: die mittelständischen Schichten in Santiago, die Rebellion radikalisierter Jugendlicher in Havanna und der Bauernkrieg gegen die Diktatur in der Sierra Maestra.
Aus den Kontakten der B26J mit den Kräften der bürgerlich-demokratischen Opposition gegen Batista ging das Manifest der Sierra Maestra hervor, das einen offenkundigen politischen Kompromiss darstellte, der von einem Teil der B26J nicht akzeptiert wurde. Auf der Versammlung vom 1. November 1957 in Miami wurde ein Abkommen zwischen den Vertretern der sieben politischen Oppositions-gruppen unterzeichnet, darunter bereits diskreditiertes politisches Personal der liberalen und demokratischen Bourgeoisie. Vertreter der B26J war ein ehemaliger Präsident der kubanischen Nationalbank. Dieser Pakt wurde ebenfalls von einem Teil der B26J nicht akzeptiert, da eine prinzipielle Erklärung gegen jede Art von ausländischer Intervention unterdrückt worden war. Unter Druck aus den eigenen Reihen wurde Fidel Castro vom linken Flügel gezwungen, das Abkommen zurück-zuweisen und so die politische Unabhängigkeit gegenüber den zu einem vor-sichtigen und kontrollierten Wandel bereiten Kräften der kubanischen Bourgeoisie festzuschreiben. Diese Wende des linken Bourgeois – so nannte Ché Guevara seinen Kampfgefährten Fidel Castro – zu einem zwar politisch bürgerlichen, aber von den realen Kräften der kubanischen Bourgeoisie unabhängigeren Kurs wird später eine wesentliche Markierung am Weg der kubanischen Revolution sein.
Aufgrund der politischen Isolierung der Batista Diktatur beschließt die Nationale Leitung der B26J, einen Aufstand in Form eines Generalstreiks vorzubereiten. Nach der Einnahme des Radiosenders in Havanna wurde Fidels Aufruf zum Generalstreik übertragen.
Doch der Aprilstreik 1958 blutete die Bewegung aus. Laut Ché Guevaras Bemerkungen in seinem Kubanischen Tagebuch wurde der städtischen Leitung bei einer Sitzung der Nationalen Leitung am 3. Mai 1958 vorgeworfen, dass sie 1. die Rolle der Städte im allgemeinen Kampf überbewertet hätte, dass sie sich 2. sektiererisch hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der PSP (der kommunistischen Partei) verhalten habe und 3. die Milizorganisationen überbewertet hätte. Das Gewicht des ländlichen Widerstandes wurde gegenüber dem proletarischen Kampf der Städte gestärkt, oder anders gesagt – das Konzept setzte sich durch, mittels eines festgefügten Guerillakernes von der Peripherie aus die Zentren zu erobern. Die städtischen Massen wurden so zu einem dem militärischen Kampf unter-geordneten Faktor des revolutionären Prozesses. Natürlich, die Städte blieben ein wesentlicher Faktor des Kampfes gegen Batista, aber die Funktion der Guerilla wurde nun stärker bewertet als in den Perioden zuvor.
Die Leitung wurde ihrer Funktion enthoben, Castro erhielt den Oberbefehl über alle Kräfte, was auch die Koordinierung der Milizen des flachen Landes beinhaltete, die von diesem Zeitpunkt an den Guerillakolonnen untergeordnet wurden. Dies war der Beginn einer ideologischen Vereinheitlichung der castristischen Führungstruppe und „markierte die definitive Umwandlung des Rebellenheeres in die eigentliche politische Struktur der nationalen Bewegung, ein Ersatz für die Partei, zu der die B26J niemals geworden war.“ [11]
Die Position des städtischen Untergrunds war gewesen, den bewaffneten Kampf in allen Städten zu aktivieren, der in einen Generalstreik münden sollte, dessen Folge der Sturz Batistas wäre und der die Machtergreifung innerhalb kurzer Zeit ermöglichen würde. Da aber nun Castro den Oberbefehl übernommen hatte, war er gezwungen, selbst mit den Guerillakolonnen – und von diesen kontrolliert – die städtischen Massen zu mobilisieren, den Kampf in die Arbeitsstätten und die repressiven Hochburgen des Regimes zu tragen, der in einem Generalstreik münden sollte, den er selbst ausrufen wollte. Diesen letzten Teil sollte Castro im Jänner 1959 erledigen, als der militärische Sieg bereits errungen und die Regierung Batistas aufgelöst war.
Aber zunächst erhielten die Batista-Militärs nach der Niederschlagung des April-streiks noch einmal Oberwasser und setzten am 25. Mai 1958 zu einer Offensive an. Diese scheiterte, und Castro kündigte Ende August die Gegenoffensive an.
Schritt für Schritt bezwangen die Rebellentruppen die zerfallende Armee. Camagüey, Guantánamo, Holguin und Victoria de las Tunas wurden eingenommen, in Santa Clara die letzte wichtige Einheit der Batista-Armee aufgerieben. Havanna wurde in der Endoffensive erobert, noch bevor die Reste des Batista-Regimes eine Übergangsregierung bilden konnten. Der US-amerikanische Botschafter beeilte sich, noch einen Ausweg aus der Sackgasse der Batista-Diktatur zu finden, der an der B26J und an deren Exponenten Fidel Castro vorbeiführen sollte. Doch es gab keinen Weg mehr ohne Castro, der inzwischen die Unterstützung der Massen er-rungen hatte.
In Havanna strömte die Bevölkerung auf die Straßen, plünderte die Kasinos und Spielhöllen, während die Studenten in der Universität die Fahne der B26J hissten. Die städtischen Kader der B26J und die II. Front versuchten die 1000 Regierungs-soldaten aus den Kasernen zu vertreiben. Der Repressionsapparat zerfiel immer rascher, und die Basis Batistas zersetzte sich. Eine Fluchtbewegung setzte ein. Während Fidel Castro in Santiago de Cuba einzog, diese zur provisorischen Hauptstadt ernannte (um der Bildung einer Übergangsregierung in Havanna entgegenzuwirken) und einen politisch Liberalen, den Richter Manuel Urrutia, zum Präsidenten vereidigte, setzte sich der Marsch der Guerillakolonnen auf Havanna fort. In improvisierter Weise rief Castro über Radio Rebelde zu einem revolutionären Streik auf. Doch dieses Beispiel zeigt auch noch etwas anderes, nämlich wie sehr sich die Gewichte innerhalb der Kräfte des Widerstandes verschoben hatten: Batistas Sturz war nicht mehr eine Folge proletarischer Kampfformen wie Streiks und Fabriksbesetzungen, sondern Havanna wurde von der Peripherie aus erobert – militärische Kampfformen traten gegenüber den politischen in den Vordergrund, letztere wurden ersteren untergeordnet.
Die politische Verspätung, mit der sich die Rebellenarmee den institutionellen Problemen der Macht gestellt hatte, ließ das Bürgertum nicht ohne Grund große Hoffnungen entwickeln. Es setzte auf jenen breiten Konsens aller Gegner Batistas, für den die seit Monaten öffentlich angekündigte Wahl des ehemaligen Richters Urrutia zum Präsidenten als Symbol stand. In Havanna tauchten immer mehr Fahnen der B26J auf. Die Truppen und Kolonnen trafen nach und nach ein. Es gab keine Gefechte mehr. Erst am 8. Jänner 1959 zog Fidel Castro selbst in Havanna ein. Bis dahin hatte er seine politische Position im ganzen Land stabilisiert. Und er benötigte nur einen Tag, um seine Rolle in Havanna als Volksführer zu festigen.
Damit hatte die Endoffensive ihr Ziel erreicht: Die militärische und politische Vernichtung des Batistaregimes war errungen worden und die ökonomische Aus-schaltung des korrupten Batista-Clans wurde vorbereitet. Das letzte Manöver des alten Regimes, eine Übergangsregierung, wurde verhindert, die aus der gemäßigten Gefolgschaft Batistas und den Hauptkräften der Bourgeoisie, die ohne Ein-beziehung der B26J den weniger repressiven Status Quo erhalten wollten, bestanden hätte.
Aber hatte die Bewegung des 26. Juli wirklich die Macht ergriffen? Obwohl in der neuen Regierung das sogenannte gemäßigte Bürgertum vorherrschte? Der Premierminister Miró Cardona ein Kabinett hatte, in dem sich vielleicht nur das eine oder andere Mitglied der B26J fand? Die Verbündeten der B26J, die PSP und das (studentische) Direktorium, also der organisatorische Ausdruck der kämpferischen Studentenbewegung, überhaupt nicht vertreten waren?
Aber die B26J hatte das militärische Oberkommando und die regionale Befehls-gewalt ebenso unter ihrer Kontrolle wie das Polizeiministerium, das neu geschaffene Ministerium gegen Güterveruntreuung[12], das Erziehungs-, das Gesundheits-, das Arbeits- und das Kommunikationsministerium. Der Einfluss-bereich ging aber weit über die Ministerien hinaus. Eine Art Doppelherrschaft hatte sich entwickelt. Diese zerbrach erst, als der Druck der Massen und die internationalen Begleitumstände die ehemaligen Guerilleros derart nach links driften ließen, dass die liberale Bourgeoisie erkennen musste: Die Maßnahme waren auch gegen sie selbst gerichtet.
Die Klassengliederung der kubanischen Gesellschaft
Der Charakter der kubanischen Wirtschaft der 50er Jahre war kapitalistischer Natur. Die Bereiche der Substistenzwirtschaft, Überreste einer vorkapitalistischen Wirtschaftsform, waren nicht nur nicht dominant, sie waren bereits vor Jahrzehnten in Randbereiche der Ökonomie verdrängt worden. Kuba war fest in den Weltmarkt eingebunden und als vom Imperialismus unterdrücktes Land Teil der weltweiten Arbeitsteilung geworden.
Kuba war auf die Monokultur des Zuckers degradiert worden und wurde strukturell von den Vereinigten Staaten von Amerika in Abhängigkeit gehalten. Der Außenhandel mit den USA betrug in den 50er Jahren durchschnittlich 62 Prozent aller Exporte und 75 Prozent aller Importe. Wie schon zuvor dargestellt, war die Zuckerindustrie an die USA doppelt gebunden: Die großen (bzw. richtiger: die wirtschaftlich stärksten) Bereiche der kubanischen Wirtschaft befanden sich im Besitz der US-Unternehmen und produzierten für den US-Markt.
Diese totale Ausrichtung auf die Zuckerproduktion führte Kuba nicht nur in die permanente Krise, die in den 20er Jahren begonnen hatte. Die Monokultur des Zuckers bedingte auch eine Dynamik der Abhängigkeit. Denn von der Menge der Zuckerproduktion hing ab, wie viele Arbeiter wie lange beschäftigt wurden. Die Ausnutzung der Transportkapazitäten bei der Eisenbahn, die Aktivität in den Häfen, der Umsatz des Einzelhandels usw. wurden von der Zuckerproduktion bestimmt. Durch diese Ausrichtung war Kuba nicht einmal annähernd in der Lage, sich selbst zu ernähren. Nur 70 Prozent an den verbrauchten Lebensmitteln wurden in Kuba produziert. Reis, das Hauptnahrungsmittel, musste ebenso importiert werden wie Speck, Hülsenfrüchte, Weizen, Mehl und Konserven.[13]
Die kubanische Wirtschaft zentrierte sich ausschließlich um diese eine Ernte im Jahr, und die wurde auf ausländischen Märkten abgesetzt, die nicht immer in der Lage waren, alles, was produziert wurde, aufzunehmen. Auf mehr als der Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche wurde Zucker angebaut. Nach der Zählung von 1953 beschäftigte die Zuckerindustrie 474.053 Arbeiter oder 23 Prozent aller Arbeitskräfte. Zuckerindustrie ist aber eine reine Saisonindustrie. Drei bis vier Monate dauert die Zafra, die Erntezeit. Dann werden die Zuckerrohrstengel geschnitten, verladen und in die Mühlen gebracht. Die restliche Zeit wurde tiempo muerto, die tote Zeit, genannt.
Die Zuckerplantagen waren kapitalistische landwirtschaftliche Einheiten, die Waren für den Weltmarkt mit Hilfe eines ländlichen Proletariats erzeugen. Dieser Sektor des Proletariats, der größte in Kuba (nämlich die Land- und Zuckerarbeiter), war übers ganze Land verstreut. Es fehlte Kuba also – im Vergleich zu anderen vom Imperialismus abhängigen Ökonomien – trotz seiner relativen numerischen Stärke also ein konzentriertes Proletariat.
Die nationale Bourgeoisie war zu (kapital-) schwach, um eine eigenständige Rolle zu spielen und musste sich an die Großgrundbesitzer und das ausländische Kapital binden. Das wenige kubanische Kapital wurde für die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Kapital investiert. So konnte die nationale Bourgeoisie keine revolutionäre nationaldemokratische Bewegung anführen und gab sich auch gar keine Mühe, ihre historischen Aufgaben, also vor allem eine Agrarreform und bürgerlich-demokratische Reformen, aber auch antiimperialistische Maßnahmen durchzuführen. Egal, welche bürgerliche Regierungsform bestand (eine Diktatur oder eine demokratische, wenn auch bloß auf dem Papier) – die ökonomische und politische Unterordnung unter die USA als ein notwendiges, unvermeidliches und natürlich sehr profitables Faktum wurde akzeptiert. Die Opposition gegen Batista basiert auf der verschlechterten wirtschaftlichen Situation, was auch den städtischen Mittelstand zu opponieren veranlasste, da er der Deklassierung und Verarmung ins Angesicht blickte.
Arbeiterbewegung und Kommunistische Partei
1925 wurde kurz nach der Confederación nacional Obrera de Cuba (CNOC), die aus einer dominierenden anarchosyndikalistischen Strömung sowie einer sozial-demokratischen und einer kommunistischen Minderheit bestand, auch die Kommunistische Partei gegründet. Die CNOC spielte einerseits mittels ihrer Gewerkschaftszentrale eine bedeutende Rolle in den Arbeiterstreiks, hatte aber gleichzeitig mit den unternehmerhörigen Gewerkschaftern und korrupten Führern in den eigenen Reihen zu kämpfen.
Drei Personen prägten die Kommunistische Partei besonders: Baliño, Grobart und Mella[14]. Der Kongress verabschiedete noch im selben Jahr 1925 ein Programm, das keine klare Perspektive aufzuweisen hatte. Der entscheidende Entschluss war der Beitritt zur Kommunistischen Internationale. Der Kongress fand im Untergrund statt, das ZK bestand aus neuen Mitgliedern, von denen die Mehrheit Arbeiter waren. Die junge Partei war der Repression des Diktators Gerardo Machado brutal ausgesetzt. Die Leichen bekannter Mitglieder und der Führer der Partei trieben im Wasser des Hafens von Havanna, ermordet von den Gardisten Machados.
Die 30er Jahre stellen für die Kommunistische Partei Kubas die Zeit der Repressionen, aber auch die Zeit wichtiger Versäumnisse dar. Während die wirtschaftliche Depression den 1925 mit US-amerikanischer Unterstützung zur Macht gelangten Diktator Gerardo Machado vor eine lange Welle von verschiedenen Kämpfen stellte, verschlief die KP die proletarischen Unruhen, vor allem den Generalstreik von 1933[15], und war unfähig, die städtischen Arbeiter zu mobilisieren. In der Folge wurde die kubanische Arbeiterbewegung um einige Jahre zurückgeworfen.
Mit 1935 beginnt die Periode der kubanischen KP, die ihren Übergang ins Lager des Reformismus am besten dokumentiert. Die Krise, die nach 1933 die Gesellschaft erschütterte, überlebte die KP gut und konnte sogar über die Gewerkschaften breite Sektoren des ländlichen und industriellen Proletariats an sich ziehen. Mit dem VII. Weltkongress der Komintern (1935) begann aber die Volksfrontpolitik[16]. Die kubanische KP passte sich den Direktiven der Komintern an und wurde ein Anhängsel der sowjetischen Außenpolitik. Sie folgte auch in der kubanischen Innenpolitik den von der Stalin-Führung motivierten rechten und linken Wendungen der Komintern. In einer Klassenanalyse auszumachen, wo sich nun im schwachen nationalen Bürgertum diejenigen Teile der Bourgeoisie befinden, die sich dem Würgegriff des Imperialismus entziehen und daher für eine antiimperialistische Einheitsfront in Frage kommen könnten, wurde unter diesen Prämissen ein Ding der Unmöglichkeit. Die KP legte stattdessen eine unbegrenzte Bereitschaft zur Kollaboration mit dem Klassengegner an den Tag.
Roosevelt ließ im Sinne der Politik des New Deal deutlich werden, dass es (nach den Repressionsmaßnahmen im Jahre 1935 durch Gerardo Machado) nun an der Zeit sei, eine Politik der Entspannung zu entwickeln. Durch Zugeständnisse an die Arbeiterschaft sollte diese ins System integriert werden, um sozialen Unruhen die Spitze zu nehmen. Ziel war es, wenn der Expansionszyklus der Zuckermonokultur wieder begann, die Löhne zu heben und so eine bescheidene Steigerung des Konsums zu ermöglichen. Sogar Gewerkschaftsfreiheit wurde eingeführt, sicher auch, um den proletarischen Kämpfen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nur oberflächlich mag paradox erscheinen, dass der Imperialismus, allen voran Roosevelt, auch in Kuba die Organisationsfreiheit für die Gewerkschaften auf seine Fahnen heftete: Neben der Notwendigkeit, den sozialen Kämpfen gegenzusteuern (so wurde 1938 auch die KP legalisiert), waren im Abwehrkampf gegen das dominierende imperialistische Kapital nur zu oft gerade die mit dem Rücken zur Wand stehenden einheimischen Kapitalien gezwungen, die Ausbeutung zu erhöhen und zu besonders unmenschlichen Arbeitsbedingungen Zuflucht zu nehmen. Rechte für die Arbeitenden als Mittel im Konkurrenzkampf der Kapitalgruppen unter-einander – eine scheinbar paradoxe Situation, die wir auch aus dem England des 19. Jahrhunderts kennen und in denen das stärkere Kapital es sich leisten kann, als Freund der Arbeiter aufzutreten.
Im Jahre 1939 wurde eine Gewerkschaftszentrale gebildet: Die Confederacíon de Trabajadores Cubanos (CTC). Bei den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung erhielten die Kommunisten 97.000 Stimmen und damit 6 Abgeordneten-plätze. Die KP war bei diesen Wahlen bereits als Unión Revolutionaria Comunista, als Revolutionär-Kommunistische Union, angetreten. Die neue Partei war 1939 aus der Fusion der KP mit der Revolutionären Union entstanden. Unter Batista trat Kuba an der Seite der USA in den Zweiten Weltkrieg ein (Dezember 1941) und nahm auch mit der UdSSR diplomatische Beziehungen auf.
In der Folge trat die KP 1942 mit Juan Marinello und Carlos Rafael Rodriguez als Minister ohne Portefeuille der batistischen Regierung bei. 1944 wurde aber Grau San Martin mit seiner Partei Partido Revolucionario Cubano Auténtico gewählt und löste Batista an der Regierung ab. Die ökonomischen Forderungen waren auf den Widerstand der Batista-Regierung gestoßen. Und Grau San Martin punktete mit einer nationalistischen Ausrichtung.
Im September 1944 fand endlich der 2. Kongress der kubanischen KP statt. Die Unión Revolutionaria Comunista gab sich den neuen Namen Partido Socialista Popular (PSP, Sozialistische Volkspartei), was sicherlich im Zusammenhang mit der Politik der Antihitler-Koalition auf internationaler Ebene, mit der Friedlichen Koexistenz zwischen den beiden Systemen des Stalinismus und des Imperialismus, zu sehen ist. Blas Roca, der Parteisekretär, zog eine positive Bilanz der nationalen Politik und der breiten Bündnisse. Er erklärte seine Bereitschaft, den neuen Präsidenten Grau San Martín genauso zu unterstützen wie Batista. Fulgenco Batista wurde auch noch seitens der PSP brieflich für die fortschrittlichen Maßnahmen und die demokratischen Erfolge gedankt.
1952 wurde mit dem Putsch des Fulgencio Batista die PSP in den Untergrund gejagt. Auf der anderen Seite wollte die KP/PSP mit Fidel Castro und der 1953 gegründeten B26J nichts zu tun haben, da diese nichts anderes als eine Ansammlung von kleinbürgerlichen Abenteurern sei. Obwohl die PSP, nachdem sie illegalisiert wurde, zu den Kräften, die gegen Batista kämpften, gehörte, wurden sie zu den Verhandlungen über die Schaffung einer breiten Anti-Batista-Koalition 1957 nicht eingeladen.
Der Umschwung ihrer Haltung gegenüber der B26J erfolgte nach dem Scheitern der Großoffensive Batistas im Hochsommer 1958. Die PSP musste die Verankerung der Bewegung anerkennen, ZK-Mitglieder nahmen Kontakt mit der Guerilla auf. Aber zu einem verbindlichen Abkommen kam es erst nach dem Sturz von Batista auf der Grundlage von Castros nationalreformistischem Programm.
Der kubanische Stalinismus hatte also Ende der 50er Jahre wenig vorzuweisen: Trotz seiner Anbiederungen an diverse bürgerliche „Revolutionäre“ war es ihm nicht gelungen, sich als verlässlicher Bündnispartner seiner bürgerlichen Freunde zu profilieren – im Gegenteil: Die Bereitschaft zur Klassenkollaboration blieb unbedankt, verhinderte aber ein tieferes Eindringen in die Bewegung des städtischen und ländlichen Proletariats, sodass schließlich die PSP sich an Castros klein-bürgerliche Guerilla anhängen musste, um nicht völlig von den realen Kräften der gesellschaftlichen Bewegung in die Marginalisierung gedrängt zu werden. Das Heft hatte die Gruppe um Fidel Castro in der Hand, nicht der langjährige General-sekretär der KP und der PSP von 1934 bis 1962, Blas Roca.
Ein dritter Weg?
Schon in den ersten Wochen der Machtübernahme wurde an der Stabilisierung der provisorisch eingesetzten Regierung gearbeitet; am 7. Jänner 1959 sprach Washington die Anerkennung der neuen Regierung aus. Die Guerilla-Bewegung bemühte sich, ihre Machtstellung zu festigen, deshalb hatte sie sich die Kontrolle über die Posten im Militärapparat gesichert. Sie stellte zwar keine Massen-organisation dar, doch bekam sie das Vertrauen der Arbeiterklasse, die über keine eigene Organisation, der sie ihr Vertrauen in größerem Ausmaß hätte geben können, verfügte, und auch keine Alternative war in Sicht.
Bereits im Februar 1959 löste Castro Miró Cardona als Ministerpräsidenten ab und verkündete mit lauter Stimme, dass die Wahlen zwei Jahre auf sich warten lassen müssten. Am 6. März umschmeichelte Castro die kubanischen Bankiers und erbat sich eine Zusammenarbeit. Seiner Vorstellung nach sollte die Revolution weder kapitalistisch noch kommunistisch, sondern humanistisch sein. Und er nannte sie die olivgrüne Revolution.
Castro reiste dann in die USA, wo er die Unternehmer und die politisch verantwortlichen Personen, wie Vizepräsident Nixon, aufsuchte, um ihnen die Vertrauenswürdigkeit der neuen kubanischen Regierung zu versichern. Seine Haltung gegenüber den USA war eine eher moderate; er hatte keine Absichten einer sozialen Transformation der Gesellschaft, bestand aber auf dem „unverzichtbaren Recht Kubas auf seine nationale Souveränität“. Während dieser Reise begannen Bauern mit Landbesetzungen. Und 6.000 Arbeiter der kubanischen Elektrizitätsgesellschaft traten in den Streik für eine 20-prozentige Gehalts-erhöhung.
Mit dem eigens geschaffenen Ministerium gegen Güterveruntreuung, das unter dem recht harmlosen Namen Behörde zur Rückgewinnung unterschlagenen Eigentums nichts anderes als die notwendige Enteignung des Besitzes von Batista, seiner Freunde und seiner Mitarbeiter vollzog, machte sich die Regierung nicht gerade bei den US-Unternehmern beliebt, die bereits die Einschränkung ihrer Profite fürchteten. Dennoch blieb eine direkte imperialistische Einmischung mit militärischen Mitteln noch aus.
Der Volksaufstand drängte die B26J zu immer populäreren Maßnahmen, die die Bourgeoisie zu der Waffe des Wirtschaftsboykotts greifen ließ. Die Pachten wurden um 30 bis 50 Prozent gesenkt, daraufhin wurden Investitionen unterlassen (bzw. Unterlassungen angekündigt). Die Arbeiter wurden ebenso rasch gefeuert, wie die Eigentümer die Flucht nach Miami antraten. Als an die 2.000 Firmen nationalisiert wurden und ein 500-Millionen-Dollar-Transfer in den Staatssektor erfolgte, erreichte Castros Popularität einen Höhepunkt.
Die Führer der B26J verfolgten aber noch keine sozialistischen Ziele. Natürlich stiegen sie mit diesen Maßnahmen der einheimischen Bourgeoisie und dem Imperialismus auf die Zehen. Doch es ging ja keine Reform so weit, dass die Betroffenen um die Gesellschaftsordnung als solcher fürchten hätten müssen, die Reformen hatten zu diesem Zeitpunkt nicht die Stufe etwas konsequenterer nationaldemokratischer Reformen überschritten. Und seitens des Imperialismus hatte man in Castro das Vertrauen gesetzt, dass er zu einer Wiederbelebung der Wirtschaft und zum gleichzeitigen Stillhalten der Aufständischen beitragen werde. Die Weltbank-Kommission hatte ja 1950/51 einen Bericht vorgelegt, der folgendes beinhaltete:
„Kuba würde nur dann anhaltende Fortschritte machen, wenn die Abhängigkeit Kubas vom Zucker durch Steigerung anderer, zusätzlicher wirtschaftlicher Aktivitäten verringert würde; Ausdehnung der existierenden und Aufbau neuer Industrien zur Erzeugung von Zuckerbei-produkten oder solchen, die Zucker als Rohmaterial verwenden; energische Förderung von Exporten anderer Erzeugnisse als Zucker, um das Gewicht dieses einen Produkts im Export des Landes zu verringern. Dies wird das Nationaleinkommen und die Beschäftigungs-lage gleichzeitig erhöhen bzw. verbessern und stabilisieren (Export von Bodenschätzen, Verarbeitung von Nahrungsmitteln); Fortschritte bei der Produktion einer großen Zahl von Nahrungsmitteln, Rohmaterialien und Verbrauchsgütern für den inländischen Konsum, die heute importiert werden müssen.“ [17]
Am 17. Mai 1959 musste Castro den Gesetzesentwurf für die Agrarreform zur Unterzeichnung vorlegen. Denn der linke Flügel der Bewegung (v.a. Che Guevara) drängte danach und hatte bereits radikale Vorschläge bei Versammlungen gemacht, und die liberalen Regierungsmitglieder stellten sich ja auch die Aufgabe, eine Agrarreform durchzuführen, die aber weniger als gemäßigt zu sein hätte. Da Castro selbst die Verbindungen zwischen Regierung und B26J nicht aufs Spiel setzten wollte, musste er den anderen zuvorkommen und machte wieder einen Spagat zwischen linkem Flügel und rechtem, also den liberalen Regierungsmitgliedern.
Schon in den ersten Sätzen des Entwurfs finden sich klare Übereinstimmungen mit dem Bericht von 1950/51 der Weltbank-Kommission: Ziel war Wachstum und Vielfältigkeit der Wirtschaft Kubas, und das sollte mit der „effektivsten Ausnutzung der natürlichen Ressourcen des Landes durch die Bürger“ erreicht werden sowie mit der „Abschaffung der Abhängigkeit von der Ein-Frucht-Wirtschaft“. Es wird sogar hervorgehoben, dass man sich bei dem Gesetzesentwurf an Expertengutachten gehalten habe, und zwar vor allem an die der Vereinigten Staaten.
Da die Reform den Großgrundbesitz nicht im Geringsten angriff, kann die Agrar-reform nur als gemäßigt[18] bezeichnet werden, sie ging nicht über die national-demokratischen Aufgaben der Revolution hinaus. Der Stachel traf aber die großen Zuckerrohrplantagen. Die Reform sah folgendes vor: Alle Haziendas, deren Fläche die 400-Hektar-Marke überschritten, wurden konfisziert. Aber nicht ohne Gegenleistung – Gutscheine für diese Enteignung sollten ausgegeben werden, welche mit einer 29jährigen Laufzeit und einem 4,5-prozentigen Jahreszins aus-gestellt wurden. Ein Schachzug Castros, dessen Klugheit neidlos anerkannt werden muss, bestand aber nun darin, dass er die Bestimmung des Wertes der Ländereien von den Steuererklärungen, in denen die Besitzer selbst den Wert ihrer Besitzungen angegeben hatten, abhängig machte. Sie hatten natürlich den Wert ihrer Ländereien sehr niedrig angegeben, damit sie keine oder kaum Steuern zahlen mussten. Umso wilder und entrüsteter protestierten sie, da sie für ihr ach so wertloses Land nun die Quittung bekamen![19] Nichtsdestotrotz wurden diese Ländereien verstaatlicht und parzelliert oder landwirtschaftlichen Kooperativen übertragen.
Landwirtschaftsminister Sori Marín hatte einen noch viel gemäßigteren Entwurf ausgearbeitet, in dem die Großgrundbesitzer überhaupt nicht angegriffen wurden. Der Bonaparte Fidel Castro versuchte zwischen den Rechten aus der Guerilla und denen der Koalitionsregierung auf der einen Seite und den Linken der B26J auf der anderen Seite zu vermitteln. Doch keine von beiden war zufrieden. Die bürgerlichen Regierungsmitglieder und ihr Anhang fanden die Reform zu radikal, die Linke zu gemäßigt. Die Koalition war damit am Ende. Die nationale Bourgeoisie war aber zu schwach, als dass sie sich gegen den imperialistischen Partner aufzubegehren getraute. Sie zog es vor, sich aus der Regierung zurückzuziehen, und betrachtete von der Oppositionsbank aus oder als Oppositionelle auf den Regierungsbänken das Auseinanderbrechen der Anti-Batista-Koalition.
Die Spannungen nahmen durch die Proteste und Gegenmaßnahmen der Großbesitzer, der Besitzer der Zuckermühlen und der Viehzüchter aus Camagüey (im Zentrum der Insel) zu. Daraufhin wurden auch ihre Besitzungen unter staatliche Verwaltung gebracht. Darunter befanden sich auch amerikanische Ranches. Nun protestierten die liberalen Noch-Regierungsmitglieder und beschimpften Castro wegen seiner schwachen Abgrenzung gegenüber den Kommunisten. In den USA selbst wurde die antikommunistische Propagandamaschinerie gegen Castro in Bewegung gesetzt. Und in der UdSSR behauptet Chruschtschow, dass Castro zwar kein Kommunist sei, aber ihn die Amerikaner bald dazu gemacht haben würden.
Bruch mit der Bourgeoisie
Am 11. Juni 1959 kommt es zum endgültigen Bruch und zum Kabinettswechsel. Die bürgerlichen Mitglieder verlassen die Regierung, die Rechten der B26J kehren Castro den Rücken, und der linke Flügel zieht unerfahren, aber mit schwingenden Fahnen in die Regierungsräume ein.
Nach einem gröberen Zusammenstoß zwischen den Rechten und den Linken der Revolution stellt sich Fidel Castro gegen den Präsidenten. Er wirft Urrutia vor, er habe das Spiel der Konservativen gespielt, sich ein hohes Gehalt genehmigt und habe antikommunistische Anwandlungen, die ihn zum Deserteur der Revolution machten, da er sich den USA zuwenden werde und eine konterrevolutionäre Kampagne entfachen wolle. Um den schon bestehenden Druck zu verschärfen, kündigt Castro seinen Rücktritt als Premierminister an. Es kommt deshalb zu zahlreichen Protestreaktionen im kubanischen Volk, zu einem Generalstreik und einem Marsch der Bauern auf Havanna. Nicht Castro, sondern Urrutia tritt zurück, der neue Präsident Dorticós[20] nimmt – wie sollte es auch anders sein – den Rücktritt Castros nicht an.
Zur Durchführung der Agrarreform wird das Nationale Institut der Landreform (INRA) eingesetzt. Sie soll Kooperativen aufbauen und das Land in landwirtschaftliche Entwicklungsgebiete aufteilen. Neben diesen Aufgaben hatte die INRA auch andere zu bewältigen, so z.B. die ländliche Gesundheitspflege, den Wohnungsbau und die Erziehung zu organisieren und gleichzeitig Gerätestationen aufzubauen.
Das INRA hatte sich zu einem Kristallisationspunkt des radikalen Flügels der B26J entwickelt, da dieses die Landbesetzungen der Besitzungen der geflüchteten Batista-Anhänger anleitete und sich erlaubte, durch die Unterstützung der Bauern und Plantagenarbeiter die Reformen auf kämpferische Weise durchzuführen. 40 Prozent der besten Böden gehörten US-amerikanischen Gesellschaften (z.B. der United Fruit Company). Im Gegenzug verbündeten sich die städtische Bourgeoisie, die Zuckerplantagenbesitzer und die US-amerikanischen Gesellschaften gegen die Reform und damit gegen das INRA. All das zeigt nur eines, dass die Politik der Volksfront, nämlich eine klassenübergreifende Einheit herzustellen zwischen den antagonistischen Klassen der Gesellschaft, um die vordringlichen nationalen Auf-gaben gemeinsam zu lösen, nur dann aufrechtzuerhalten ist, wenn das Proletariat und die ländlichen Schichten der unterdrückten und landarmen Bauern auf die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen verzichten. Anders gesagt: Nur dann, wenn das Proletariat und die Bauernschaft auf die Klassenposition der Bourgeoisie übergeht, ist eine Volksfront aufrechtzuerhalten. Genau darin, das revolutionäre Potential der Unterdrückten zu zügeln und in für die Bourgeoisie ungefährliche Bahnen zu lenken, liegt auch der tiefere politische Sinn der Volksfront.
Im Juni spitzte sich die Situation zu, und im Juli 1959 kippte die Doppelherrschaft zwischen Bourgeoisie und B26J auf die Seite der Rebellen. Die Volksfront-Regierung platzte. Am 18. Oktober wird Raúl Castro zum Minister der Streitkräfte ernannt. Der Oberbefehlshaber der Armee in Camagüey trat drei Tage später mit 14 seiner Offiziere zurück und beschuldigte Fidel Castro öffentlich, in die Fänge der Kommunisten geraten zu sein. Camilo Cienfuegos, einer der Führer der B26J, wortgewaltig an der linken Seite Castros stehend, nahm den Oberbefehlshaber und seine Herren Offiziere fest, womit das verbale Hickhack ein Ende hatte.
Innerhalb der nun regierenden B26J kommt es auf Grund des vorgesehenen Gerichtsverfahrens gegen Matos wegen konterrevolutionärem Verhalten zu einem Konflikt. Die gemäßigten Minister müssen den Hut nehmen. Das gesamte nichtlinke Spektrum der B26J wird zurückgedrängt, und die Kader der PSP werden eingeladen, an der Regierung teilzunehmen. Im November 1959 übernimmt Ché Guevara den Vorsitz der Nationalbank. Der Arbeitsminister wird ermächtigt, in die Unternehmen zu intervenieren und diese zu kontrollieren. Damit war de facto der privatwirtschaftliche Sektor der kubanischen Ökonomie gleichgeschaltet.
Das Jahr der Befreiung, 1959, war aber zugleich das Jahr eines wirtschaftlichen Aufschwungs. Durch die Reformen (im Agrarsektor, in der Wohnungspolitik, Mietsenkungen, Lohnanhebung etc.) und die Nationalisierungen der US-Betriebe erhöhte sich die Massenkaufkraft immens. Die Arbeitslosigkeit konnte im ersten Jahr der Revolution um 36 Prozent gesenkt werden. Was die Industrialisierung betrifft, so stellte sich die Aufgabe anders als bei der Agrarreform. Die Industrie musste zuerst einmal aufgebaut werden. Weder gab es eine Vielzahl von Fabriken und Maschinen noch gab es – was logisch daraus folgt – technisch versiertes Personal. So musste zuerst daran gegangen werden, die Basis für eine darauf folgende Industrialisierung zu schaffen.
Die landwirtschaftliche Produktion wurde bei fast allen Produkten innerhalb kurzer Zeit zwischen fünf und 60 Prozent erhöht. Das Gesamtvolumen der Produktion wuchs um ein Drittel an. Der Anstieg der Massenkaufkraft hatte aber auch zur Folge, dass die Nachfrage nach tierischen Produkten schneller stieg als das ebenfalls zunehmende Angebot. Die Regierung reagierte mit dem geflügellosen Mittwoch und dem fleischlosen Freitag auf den relativen Mangel.
Durch die Agrarreform hatten drei US-Gesellschaften mehr als eine Million Morgen Land verloren. Die USA hatten schon im Juni protestiert und forderten eine unverzügliche, angemessene und wirksame Entschädigung. Am 14. Oktober 1960 protestierten sie wieder, und schon bald darauf flogen die kubanischen exilierten Castro-Gegner Angriffe. Castro beschwerte sich zunächst über die Unfähigkeit der US-Behörden, solche Angriffe zu unterbinden, doch er wusste im selben Moment, dass nun die Stunde der Wahrheit gekommen war: Der imperialistische Riese war erwacht und würde nun nicht länger zögern, seine Vormachtstellung zurückzuerobern.
Die verzögerte imperialistische Antwort
Zwischen Anfang und Mitte des Jahres 1959 waren die Amerikaner in einem ratlosen Abwarten verblieben. Nach einem Zusammentreffen mit Castro leitete Nixon an das Außenministerium ein Memorandum weiter, in dem er vor Castro warnte und von dem er behauptete, er müsse unter Druck der Kommunisten stehen oder aber, was die Kommunisten angehe, naiv sein. Nixon rief zum Sturz von Castro auf. Im Auge hatte er dabei aber keine direkte US-Intervention, sondern eine Aktion von Exilkubanern. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte wirtschaftlicher Druck auf Castro ausgeübt und im Land systematisch Unzufriedenheit geschürt werden.
Bereits im März 1959 hatte CIA-Chef Allen Dulles (einer der paranoidesten Antikommunisten, die die Geschichte kennt) den Verdacht geäußert, dass sich das Castro-Regime auf dem Weg zu einer Diktatur befinde, da die Kommunisten offen und legal in Kuba agierten. Verschiedene Maßnahmen waren zwar schon erörtert worden (Aufhebung der Garantie, die Hälfte der kubanischen Zuckerernte zu über dem Weltmarktniveau liegendem Preis abzunehmen, Aufbau einer Anti-Castro-Truppe in Kuba, eine Wirtschaftsblockade, um die innere Lage zu verschlechtern, damit sich die Kubaner selbst gegen Castro erheben…). Doch keine dieser Maßnahmen wurde tatsächlich realisiert, der Grund dürfte gewesen sein, dass den USA zu Beginn nur die anrüchigsten Batista-Anhänger dienen konnten.[21] Doch die US-Regierung trat von nun an massiver und aggressiver auf. Am 16. Januar 1960 kam eine durchaus ernstzunehmende Drohung aus dem Weißen Haus durch Eisenhower und seinen Vizepräsidenten Richard Nixon. Wegen der „unzulänglichen Entschädigung“ der US-amerikanischen Plantagenbesitzer wollte man die Quote des Zuckerrohrkaufs senken. Im Juni weigerten sich die US-Raffinerien, das aus der Sowjetunion kommende Öl zu raffinieren. Diese Tochtergesellschaften amerikanischer Ölfirmen wurden daraufhin von der kubanischen Regierung nationalisiert und unter die Kontrolle von Interventoren[22] gestellt. Im Juli 1960 stellte Washington die Einfuhr von kubanischem Zucker ein. Die Reaktion der kubanischen Regierung war, den Ministerpräsidenten zu ermächtigen, die Guthaben und den Lagerbestand des US-Kapitals zu enteignen. Die UdSSR bot Hilfe an, indem sie versprach, jährlich eine Million Tonnen Zucker zu kaufen. Wenig später folgten die Nationalisierungen von Versorgungsbetrieben, der Telefongesellschaft, der Ölraffinerien und am 6. August 1960 von 36 der größten Zuckerfabriken.
Die antiimperialistische Wendung der olivgrünen Revolution, die durch die Konfrontation zwischen Kuba und den USA veranlasst wurde, führte die in Panik geratene Bourgeoisie dazu, zu flüchten und ihre Unternehmen zurückzulassen. Die ehemaligen Guerillakämpfer versuchten mit den Arbeitern daraufhin, die Produktion zu reaktivieren.
Am 18. September 1960 reiste Castro nach New York zur Vollversammlung der Vereinten Nationen (UNO), wo er mit Chruschtschow zusammentraf. Kuba musste sich auf eine US-Invasion vorbereiten und benötigte Waffen und militärische Hilfe von der UdSSR. Man versuchte mit allen Mitteln, die UdSSR zu überzeugen, dass die Menge der Waffen erhöht und der Transport beschleunigt werden müsse.
Am 13. Oktober 1960 wird über Kuba ein US-Wirtschaftsembargo verhängt. Dies veranlasst das kubanische Regime, weitere 386 Banken, Plantagen und industrielle Betriebe zu verstaatlichen und eine städtische Sozialreform zu verabschieden, nach der die Miete der Wohnungen eingefroren wurde. Der Industrialisierungsabteilung wurde der konfiszierte Besitz übertragen.
Auf Grund dieser Maßnahmen kann man sagen, dass im Oktober 1960 der kapitalistischen Produktionsweise der Todesstoß gegeben wurde. Der gesamte Bankensektor und 400 Firmen wurden nationalisiert und in den Besitz des Staates gebracht. Die städtische Reform nationalisierte alle Behausungen, setzte die Miete auf Null herunter und machte die Mieter zu Dauerbewohnern. Die restlichen US-amerikanischen Gesellschaften (Nicaro-Nickel, Coca-Cola, Remington-Rand, General Electric etc.) wurden ebenfalls nationalisiert. Das Staatseigentum betrug nun 80 Prozent der industriellen Kapazität des Landes.
Aufgrund der Chronologie der Ereignisse wird aber klar, dass das neue Regime nur aufgrund der objektiven Situation, und hier vor allem durch die Bedrohung seitens der USA und die Obstruktionspolitik der heimischen Bourgeoisie, die sich der Unterstützung durch die USA sicher wähnte, über seine ursprünglich sehr begrenzten Ziele hinausgetrieben wurde. Es war dies eine jener Situationen, in denen auch kleinbürgerliche Formationen unter dem normativen Druck des Faktischen zu Maßnahmen, an die sie anfänglich nicht einmal im Traum gedacht hatten, Zuflucht nehmen mussten. Nicht Fidel Castros Ideen entsprang die neue Wendung der kubanischen Politik; die USA hatten Kuba keine andere Wahl gelassen, wollte es nicht vor dem Imperialismus in die Knie gehen, und jene kommunistische Bedrohung vor der eigenen Haustür, vor der sie gewarnt hatten, provoziert.
Ché Guevara reiste am 7. November 1960 nach Moskau, um dort ein weiteres Handelsabkommen zu unterzeichnen, wonach von sowjetischer Seite her technische Hilfe und entsprechende Lieferungen zur Durchführung verschiedener Projekte, vor allem in der Schwerindustrie und im Energiebereich, wie der Bau einer Erdölraffinerie, erfolgen sollte. Daneben verhandelte er natürlich auch wegen militärischer Unterstützung und einer Raketenlieferung. Nach der mehrwöchigen Reise kam Che Guevara mit der Nachricht nach Kuba zurück, dass Chruschtschow die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen verbessern wollte. Deshalb solle sich Kuba ruhig verhalten.
Die Situation in Kuba war jetzt äußerst angespannt. Der Kalte Krieg und das Konzept der friedlichen Koexistenz setzten Kuba unter schweren Druck. Dazu kam, dass es keine Garantie dafür gab, dass die Waffen aus der UdSSR rechtzeitig ankamen und sich die Kubaner mit den Waffen vertraut machen konnten. Zu dieser Zeit, also am 16. April 1961, verkündete Castro auf Kuba die Sozialistische Revolution.
Ausschlaggebend dafür waren zweifellos ein Entgegenkommen gegenüber der UdSSR und der Wunsch, deren Waffenlieferungen auch rechtzeitig sicherzustellen. Der zweite Aspekt besteht darin, dass es auch darum ging, die Arbeiter und Bauern für die Abwehr der Invasion zu stärken. Im Ganzen darf man aber nicht vergessen, dass einerseits die schon vollzogenen Maßnahmen (Nationalisierungen etc.) eine Eigendynamik angenommen hatten und andererseits die PSP als ideologischer Fortsatz des neuen Verbündeten eine immer größere Rolle spielte und die Linke der B26J sehr stark geworden war.
Chruschtschow soll diese Message von Castro verstanden, aber dennoch gesagt haben, dass er Schwierigkeiten hätte, „den Zeitpunkt dieser Erklärung hinsichtlich der sozialistischen Revolution zu verstehen.“ Das Problem für Chruschtschow war, dass im Sinne der stalinistischen Etappentheorie erst nach der Vollendung der „demokratischen und antiimperialistischen Etappe“ – während der es darum gehe, die privaten Unternehmungen zu fördern, ihren Gewinn und ihr Wachstum zu garantieren – die sozialistische Revolution beginnen könne.
Castro selbst unternahm weiterhin alles Mögliche, um seinen guten Willen zu zeigen. Am 2. Dezember 1961 verkündete er, dass er Marxist-Leninist sei. Er schickte seinen Sohn zum Studium des sogenannten Marxismus-Leninismus nach Moskau und interpretierte die kubanische Revolution im Sinne dieser Theorie, also im Sinne des versteinerten stalinistischen Etappendenkens.
An der Brust der UdSSR
Die Enteignung des US-amerikanischen Kapitals in Kuba stellte eine Bedrohung der US-Vormachtstellung dar. Dabei ging es nicht einmal so sehr um die Vormachtstellung in Kuba, sondern vor allem auch darum, dass die Amerikaner über die Vorgänge in ganz Lateinamerika die Kontrolle verlieren könnten.
Zum Zeitpunkt der Machtübernahme Castros war für die UdSSR noch nicht klar, ob sie sich überhaupt in Lateinamerika in einem Umfang engagieren sollte, der den Rahmen der traditionell bescheidenen Unterstützung sprengen würde. Das Interesse der UdSSR war also gering, die kubanische KP stand abseits von den Ereignissen. Doch in einer hoffnungslosen Situation, wie sie für das kubanische bonapartistische Regime herrschte, war die UdSSR die einzige Macht, die der USA auf Dauer gewachsen war.
Seit Ende des Jahres 1959 wurde in der B26J darüber diskutiert, wie man dem Imperialismus, seinen Aggressionen und der wirtschaftlichen Isolation entgehen könne. Der linke Flügel (u.a. Guevara, Raúl Castro) warf immer wieder die Frage der Möglichkeit einer sowjetischen Hilfe auf, da diese die einzige Macht war, die dem US-Imperialismus die Stirn bieten könne und weil sie in den Augen der B26J der unerbittliche Feind des Imperialismus war. Fidel Castro bestand darauf, dass die Gespräche mit der UdSSR nicht ausschließlich über die PSP-Kader laufen sollten. Er schickte eine Gesandtschaft in die real existierenden sozialistischen Länder. Diese hatte die Aufgabe, die Handelsmöglichkeiten auszuloten und wenn möglich auch Verträge vorzubereiten. Der Erfolg blieb aber vorerst aus.
Die KPdSU stellte später ihrerseits den Kontakt zur B26J her. Wahrscheinlich lief der Kontakt über Che Guevara, den Präsidenten der Nationalbank. Es wurde beschlossen, dass man Anastas Mikojan, ein Mitglied des Politbüros der KPdSU, nach Kuba einladen werde, wenn er sich in Mexiko aufhalte. Tatsächlich besuchte Mikojan im Februar 1960 Havanna und teilte mit, dass die UdSSR unter bestimmten Bedingungen bereit sei, Kuba zu unterstützen. Gleichzeitig unterzeichnete er am 13.2.1960 das erste umfangreiche Handels- und Zahlungsabkommen.
Kuba verpflichtete sich, eine Million Tonnen Zucker jährlich an die Sowjetunion zu liefern, die diese nur für den inländischen Verbrauch verwenden werde. Die UdSSR verpflichtete sich ihrerseits, 20 Prozent der gesamten Zuckerlieferungen in US-Dollar zu begleichen und 80 Prozent in Form sowjetischer Warenlieferung (in erster Linie Erdöl und dessen Folgeprodukte, weiters Getreide, chemische Produkte, Maschinen- und Betriebseinrichtungen). Bei den einzelnen Handels-vereinbarungen sollten die herrschenden Weltmarktpreise gelten. Die Struktur des Warenaustauschs sollte jährlich neu festgelegt werden.
Im zweiten Teil des Handels- und Zahlungsabkommens gewährte die UdSSR Kuba einen Kredit in der Höhe von 100 Millionen US-Dollar zu 2,5% Zinsen. Die Rückzahlung sollte durch Zucker- und sonstige Warenlieferungen erfolgen. Zusätzlich wurde vereinbart, die geflüchteten Fachleute durch sowjetische Techniker zu ersetzen und deren Know-how für den Aufbau neuer Anlagen zur Verfügung zu stellen. Am 8. Mai 1960 wurden auch die diplomatischen Beziehungen wieder hergestellt, die im Jahre 1953 von Batista abgebrochen worden waren.
Als sich die US-Ölgesellschaften (Standard Oil und Texaco) in Kuba weigerten, das im Rahmen des Handelsabkommens vom Februar 1960 gelieferte sowjetische Erdöls zu raffinieren, verkündete Chruschtschow im Mai 1960, dass die Sowjetunion bereit sei, die von den USA gestrichenen 700.000 Tonnen Zucker zu übernehmen. Im Falle einer amerikanischen Aggression würde die UdSSR Kuba Beistand leisten, wenn es sein müsse, sogar mit Raketen.
Und am 20. Juli kaufte die UdSSR auch tatsächlich die 700.000 Tonnen Rest-bestände aus der Zuckerrohrernte, die die USA zu kaufen sich weigerten. Damit begann die Welle der Nationalisierungen, über die weiter oben schon gesprochen wurde. Die Unterstützung der UdSSR wurde real, und die Wende in Richtung Antiimperialismus bekam eine reale Basis. Die imperialistische Faust im Nacken, warf sich Kuba der UdSSR an die Brust.
Die US-Raffineriebesitzer verließen ihre Firmensitze in Kuba, als die russischen Tanker zu den Anlagen fuhren. Die Firmen wurden Tage darauf verstaatlicht. Bei der Wiederinbetriebnahme sollten die Kubaner Schwierigkeiten bekommen. Die US-Amerikaner weigerten sich natürlich auch, Ersatzteile zu liefern. So wurde zunächst versucht, als die UdSSR mit ihrer Technologie nicht helfen konnte, über Umwege die kubanische Herkunft der Bestellung zu verschleiern. Doch die US-Firmen, durch die Auslandsaufklärung der Geheimdienste unterstützt, schickten dann zwar Ersatzteile, aber aus anderem, nämlich instabilerem Material. Die Maschinen funktionierten kurz, waren aber, sobald die Ersatzteile brachen, noch kaputter als vorher, womit die Sabotage gelungen war. Die Technologie der UdSSR konnte der amerikanischen noch nicht das Wasser reichen, dafür garantierten sie aber dem wirtschaftlich unterentwickelten Kuba durch Hilfe-stellungen, einen großen Entwicklungssprung zu vollziehen.
Aber nicht die UdSSR allein wurde neuer Handelspartner. Der gesamte sozialistische Bereich wurde als Partner geworben. In Prag erhielt Kuba einen Kredit von 20 Millionen Dollar, der kurze Zeit später auf 40 Millionen aufgestockt wurde, um die Transportindustrie (Bau von Fahrzeugen, Traktoren, Motorrädern und Lastwagenmotoren) anzukurbeln. Die UdSSR wurde zum Abnehmer des Zuckers, und dafür erhielt Kuba Erdöl und Materialien für die Industrie. Außerdem müssten die Waffenlieferung erhöht werden, da eine US-Invasion abzusehen war. In China wurde ein Abkommen geschlossen, das Kuba einen zinsenlosen Kredit über 70 Millionen Dollar garantierte. China verpflichtete sich ebenfalls, Zucker zu kaufen. Kuba, so bestätigten die chinesischen Verhandlungspartner, stehe an der Spitze des antiimperialistischen Kampfes, wofür es von allen sozialistischen Ländern Unter-stützung erhalten werde. Mit Korea und Rumänien wurde ebenfalls ein Abkommen unterzeichnet, andere Länder, wie etwa die DDR, nahmen anfangs mehr Rücksicht auf ihre eigene Rübenzuckerproduktion.
Insgesamt liefen die Verhandlungen für Kuba sehr gut. Der Trumpf, den Kuba in der Hand hielt, war dabei natürlich nicht das Zuckerrohr – rein ökonomisch war für die Sowjetunion Kuba ein Verlustposten, schon allein die teilweise Verrechnung auf Dollarbasis war für die chronisch devisenarmen sozialistischen Länder ein harter Brocken. Was Kuba interessant machte, war seine geostrategische Lage, unmittelbar vor der US-amerikanischen Küste gelegen, und die symbolische Bedeutung, die die kubanische Revolution inzwischen erreicht hatte. Hier, auf ihrem eigenen Feld, in der unmittelbarsten Einfluss- und Interessensphäre der USA, einen Posten aufrechterhalten und dessen revolutionäre Strahlkraft auf Lateinamerika wirken zu lassen, das von den USA als ihr Hinterhof betrachtet wurde, in dem sie nach Belieben schalten und walten könnten – das war hundertmal wichtiger als jede Tonne Zucker, die aus Kuba den Weg auf andere Kontinente fand.
So konnte Kuba vier Millionen Tonnen Zucker zu einem Preis, der über dem des Weltmarktes lag, verkaufen. Die Versorgung mit Erdöl war gesichert. Die Hilfe für den Aufbau der Industrie war zumindest für den Bergbau und die Nickelerzeugung garantiert.
Mit der antiimperialistischen Wende der kubanischen Revolution und der Verkündung der Sozialistischen Revolution (wenn sie auch eher als Schutz vor der US-Invasion gedacht war) wurden die Beziehungen zwischen Kuba und der UdSSR enger, aber auch vielschichtiger. Zu diesem Zeitpunkt stand das kubanische Regime zum einen vor der Gefahr einer weiteren (militärischen) Konfrontation. Zweitens suchte Kuba Anschluss an den Sozialistischen Block, drittens musste das Überleben der Revolution gesichert werden, und viertens galt es, die ökonomischen Probleme zu überwinden.
Invasion in der Schweinebucht, Kuba-Krise und „Friedliche Koexistenz“
Im Mai 1960 wurde in Guatemala mit Unterstützung des amtierenden Präsidenten Miguel Fuentes von der CIA begonnen, Exilkubaner für eine Invasion militärisch auszubilden. Auch 16 B-26-Bomber standen zur Verfügung. Ein Bündnis von Geheimdienst, Big Business und der Mafia, deren Spielkasinos unter castristischer Regierung geschlossen wurden, war entstanden.
Im März 1961 kamen die Vorbereitungen unter Druck. Der guatemaltekische Präsident erklärte, die Exilkubaner würden eine Last für sein Land. Da die US-Regierung auch unter Kennedy eine US-amerikanische Beteiligung verheimlichen wollte, durften die Invasoren in spe nicht die Vereinigten Staaten betreten. Politisch wurde der ehemalige Ministerpräsident Miró Cardona als Präsident eines Kubanischen Revolutionsrats – einer provisorischen Regierung – vorbereitet. Der US-Geheimdienst hegte großen Optimismus, CIA-Agenten kauften Aktien der nationalisierten US-Zuckergesellschaften zu niedrigem Kurs auf, in Erwartung, ihr Wert werde nach dem Sturz Castros rapide steigen.
Kennedy äußerte sich am 12. April 1961 nach seiner Zustimmung zu einer Invasion ausweichend; es werde keine Invasion von Seiten der Vereinigten Staaten geben, denn der Krieg fände zwischen Kubanern statt. Castro gab die Parole Patria o muerte (Vaterland oder Tod) aus.
Nachdem 1.400 Männer nach Nicaragua, in die neue Basis für die geplante Invasion, verlegt worden waren, begann am 14. April 1961 die Aktion. Der nicaraguanische Diktator Luis Somóza soll die Invasoren mit der Bitte verabschiedet haben, sie mögen ihm ein paar Haare aus Castros Bart mitbringen. Etwa zeitgleich hatte Kennedy die Bombardierung von Havanna, die am 15. April statt-fand, befohlen. Zusätzlich hatte er den Einsatz von sechs Düsenjägern des Flugzeugträgers Essex, um den CIA-Bombern am nächsten Morgen Feuerschutz zu geben, angeordnet. Auf Grund der schlechten Planung kamen die Marine-Jets um eine Stunde zu spät. Vier B-26-Bomber gingen verloren.
Am 17. April ging die Invasionsstreitmacht an Land. Die kubanische Miliz war schnell zur Stelle und hatte am Morgen des 18. April die Invasoren am Strand der Schweinebucht eingekesselt. In der UNO-Versammlung spottete der sowjetische Delegierte über das fortgesetzte Leugnen einer US-Beteiligung mit der Frage, ob diese Leute vielleicht aus dem Weltraum gekommen seien. Am 19. April war alles vorbei, und die USA kauften später die überlebenden Invasoren, die in Gefangenschaft geraten waren, frei.
Die Schweinebucht-Invasion konnte noch zurückgeschlagen und als Sieg gegen den Imperialismus bezeichnet werden. Doch die Probleme wurden dadurch nicht geringer. Um der weiteren Gefahr einer militärischen Invasion vorzubeugen, wünschte Castro schleunigst Maßnahmen. Von der CIA initiierte Attentate nahmen zu. Die konventionelle Kriegführung bedeutete einen Nachteil für Kuba, da der Nachschub mit Waffen aus der UdSSR schon allein wegen der geographischen Distanz oft mit großer Verspätung eintraf.
Am 30. Mai 1961 berichtete Castro einem engen Kreis seiner Mitstreiter über die Möglichkeit, Sowjetraketen in Kuba aufstellen zu lassen. Die 1957 aufgestellten US-Raketen vor der Nase der UdSSR, also in der Türkei und in Italien, dürften einen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidung des Kreml, Raketen auf Kuba, an der Hintertür der USA, zu stationieren, gehabt haben. Jedenfalls reisten Che Guevara und Rául Castro im Juni 1962 nach Moskau, um die Modalitäten zu besprechen. Chruschtschow weigerte sich aber, das Abkommen zu unterzeichnen, und überhaupt wollte er nicht, dass der Transport öffentlich gemacht würde. Es hätte der friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus widersprochen.
Ende Juli 1962 trafen aber doch die ersten Geräte für die Raketenbasen in Kuba ein. Es handelte sich zunächst um Flugabwehrraketen und um MiG 21-Düsenjäger, womit Kuba seinen Luftraum schützen konnte. 24 Rampen für Mittelstrecken-raketen und 16 weitere Raketenstationen waren vorgesehen.
Anfang September 1962 trafen die Frachter Omsk und Potawa in Kuba ein. Sie trugen Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 1.800 Kilometern, Il-28-Düsenbomber – und Atombomben. Potentielle Ziele der Raketen waren Washington, St. Louis, Dallas und alle Städte und Stützpunkte des Strategischen Luftkommandos (SAC) sowie die US-Basen. Vorgesehen waren auch Raketen, die die gesamten USA abdecken würden. Als Kubakontingent waren 22.000 Sowjet-soldaten geplant.
Am 29. August 1962 stellten U2-Aufklärer den Bau an den Flugabwehrraketen-basen fest. Und am 2. September 1962 verkündete Kennedy, dass es zwar keine Beweise gebe, für ihn aber klar sei, dass auf Kuba Offensivkapazität unter sowjetischer Leitung aufgebaut werde. Präsident Kennedy behauptete, die USA hätten bloß defensive Raketen, die der Erhaltung des Friedens dienten. Die auf Kuba seien aber offensiv, die Sicherheit der USA daher in Gefahr.
So begann also die Raketenkrise Mitte Oktober, als die U2-Piloten Fotoaufnahmen über den Bau von Mittelstreckenraketenstellungen vorlegen konnten. Die USA überlegten einen sofortigen Angriff auf Kuba, um vor allem die Raketen-basen zu zerstören. Chruschtschow erklärte in einem Interview, „wenn russisches Blut in Kuba fließt, dann wird auch amerikanisches in Deutschland fließen“.
Es setzte sich jedoch der Vorschlag des US-Verteidigungsministers McNamara durch, wonach eine Seeblockade weitere Materiallieferungen verhindern sollte. Mit Chruschtschow sollte geheim verhandelt werden, denn die Außenpolitik der UdSSR stünde mit ihrem Bekenntnis zur friedlichen Koexistenz in Widerspruch zu einer Eskalation rund um Kuba. Der UNO-Botschafter schlug – was Kennedy niemals machen wollte – vor, die USA könnten die Raketen in Italien und der Türkei abziehen, außerdem würden sie ihren Stützpunkt in Guantanamo aufgeben, wenn die Russen die Raketen in Kuba abzögen.
Durch eine Rede Kennedys gelangte die Krise an die US-Öffentlichkeit und darüber hinaus. Er kündigte an, wenn nötig, nicht vor einem Atomkrieg zurückzuschrecken, und forderte den sofortigen Abzug der Offensiv-Raketen. Er schob den Schwarzen Peter der russischen Seite zu. Denn sie könne mit ihren Offensiv-Raketen einen Verteidigungserstschlag der USA provozieren. Die Kuba–Raketen-krise löste in der Folge Angst und Schrecken, Börsenstürze und Hamsterkäufe aus.
Sowjetische U-Boote näherten sich der Karibischen See. Kennedy verlegte die Marinesperre von 800 auf 500 Seemeilen vor Kuba, damit der russischen Spitze Zeit zum Überlegen gegeben werde. Die Amerikaner begannen eine kriegerische Show ihrer Stärke abzuziehen. Den Streitkräften des Warschauer Paktes wurde erhöhte Gefechtsbereitschaft verordnet.
Am 24. Oktober trat die Seeblockade in Kraft, während sich russische Schiffe stetig auf Kuba zubewegten. Neben den beiden der Sperre am nächsten stehenden Frachtern Gagarin und Komiles wurde ein sowjetisches U-Boot in Stellung gebracht. Der Nervenkrieg endete damit, dass die russischen Schiffe schließlich abdrehten. Die Entspannung wurde von Seiten des Kremls erwirkt. Warum? Bleiben wir in der militärischen Logik, so ergeben sich folgende Antworten:
Sowjetische Raketen standen bereits feuerbereit in Kuba. Dadurch konnten die USA Kuba nicht angreifen, wollten sie Zerstörungen im eigenen Land verhindern. Über das ausgelöste Offensiv-Defensiv-Spiel versuchte Chruschtschow den Schwarzen Peter zurück zu Kennedy zu spielen. Damit konnte im Sinne der Friedlichen Koexistenz das Prestige der UdSSR als friedliebendes Land auf-gebessert und ein Pakt zur Verhinderung einer US-Invasion auf Kuba geschlossen werden.
Die tiefere Ursache des Nachgebens der UdSSR aber war, dass die Sowjet-bürokratie ihr Doppelspiel nicht durchhalten konnte. Die Sowjetunion hatte kein reales Interesse an einem militärischen Konflikt mit den USA, sondern betrachtete die Stationierung von Raketen auf Kuba nur als Tauschobjekt, mit dem Gegen-leistungen in für die Sicherheit der UdSSR sensiblen Bereichen erzwungen werden sollten. Eine entschlossene Antwort des Imperialismus musste also verhindert werden, nötigenfalls durch Nachgeben in einem geopolitischen Bereich, der ohnehin nicht zu den traditionellen Einfluss Zonen der UdSSR gehörte. Den USA sollten Zugeständnisse abgerungen werden, die UdSSR wollte aber nicht gegen die imperialistische Weltmacht Nr. 1 offensiv vorgehen oder diese gar besiegen.
Die USA erkannten das strategische Dilemma der UdSSR und beharrten auf dem Abbau der schon in Kuba stationierten Raketen, ließen aber den sowjetischen Tanker Bukarest (von dem sie annehmen konnten, dass keine größeren Waffen an Bord waren) und das DDR-Passagierschiff Völkerfreundschaft unkontrolliert die Sperre passieren. Der Kreml zog schließlich die Sowjetwaffen ab, gegen das Zugeständnis der USA, eine Intervention zu unterlassen und die Seeblockade aufzuheben. Die heiße Phase des Kuba-Konflikts war damit beendet – Kuba konnte in das Kräftespiel der Friedlichen Koexistenz eingebunden werden – als Vorposten des Sozialistischen Lagers in Amerika, aber seiner militärischen Offensiv-kapazitäten beraubt.
Neuerliche Überlegungen in den USA, eine Kuba-Invasion zu starten, wurden nicht in die Tat umgesetzt. Die USA begnügten sich damit, militärische Präsenz zu zeigen und Kuba nachhaltig politisch und ökonomisch zu isolieren. Stärke wurde auch in Kuba selbst demonstriert – bekannt wurde die Panne, als ein U2-Aufklärer über Kuba abgeschossen wurde. Die wichtigste Schlussfolgerung der USA aus der Kuba-Krise war, dass die Friedliche Koexistenz ganz offenbar ein geeignetes Mittel war, um Konflikte – und seien sie auch vor der eigenen Haustür – mit Hilfe der UdSSR bereinigen zu helfen. Die Außenpolitik des sozialistischen Lagers blieb für den Imperialismus berechenbar, es bestand also keine unabdingbare Notwendigkeit, einen Vorposten der Sowjetunion auf amerikanischem Boden mit militärischer Gewalt zu zerstören.
Die UdSSR war ihrerseits aber nun umso mehr bereit, in Kuba den sozialistischen Aufbau des Landes zu unterstützen, und half mit, ein System zu errichten, das dieselben Deformationen wie die UdSSR selbst aufwies. Damit sich die Bürokratie aber am Leben erhalten kann, braucht sie nichtkapitalistische Eigentums-verhältnisse, die von einem Staatsapparat bürgerlichen Charakters aus dirigiert werden.
Die Ironie der Geschichte liegt vielleicht gerade darin, dass Castro den CIA-Attentaten entging, Kennedys Ermordung jedoch noch immer in geheimnisvollem Dunkel liegt. Mit dem Tod Kennedys fiel auch sein letzter Plan, aus Castro einen lateinamerikanischen Tito zu machen. Ganz im Gegenteil dazu entwickelte sich Castro zu einem Muster-Stalinisten, der jede Wendung der sowjetischen Außen-politik mitzumachen bereit war (u.a. unterstützte und verteidigte das kubanische Regime die sowjetische Invasion in der Tschechoslowakei 1968). Eine gewisse Eigenständigkeit in der Außenpolitik, eine größere Sensibilität gegenüber Befreiungsbewegungen in imperialisierten Ländern, steht damit durchaus nicht im Widerspruch, war im Gegenteil zweifellos sogar von der sowjetischen Bürokratie erwünscht.
Der kubanische Trotzkismus[23]
Die trotzkistische Bewegung Lateinamerikas wurde vom Internationalen Sekretariat der IV. Internationale organisiert. So auch die kubanische Sektion, die Revolutionäre Arbeiterpartei, Partido Obrero Revolucionario (POR), die 1960, nach anderen Angaben schon 1959 wiederbegründet wurde.
Sandalio Junco, Mitglied der Kommunistischen Partei und später von den Stalinisten ermordet, war nach der Rückkehr aus der Sowjetunion 1934 zum eigentlichen Gründer der POR geworden.[24] Die Organisation arbeitete bis nach dem Zweiten Weltkrieg, unter der Repression der Regierung löste sie sich 1947 auf. Die Mehrheit der Gruppe dürfte sich für die Shachtman–Tendenz (also gegen die Politik der Verteidigung der Sowjetunion) entschieden haben.
Während des Guerillakampfes um die Macht (1956-1959) existierte keine organisierte trotzkistische Gruppe, einzelne Kader aber hatten sich der Guerilla angeschlossen. Antonio Torres hatte 1958 schon den Gedanken entwickelt, dass sich in der Bewegung des 26. Juli eine dialektische Widersprüchlichkeit entwickle, die darin bestehe, dass eine kleinbürgerliche Tendenz, die für die Humanisierung des Kapitalismus eintritt, mit objektiv bolschewistischen Kadern zusammenarbeite, die eine sozialistische Lösung anstrebe. Die Trotzkisten, die der B26J beigetreten waren, spielten in der Abteilung Accion y Sabotaje eine bedeutende Rolle, wo sie u.a. auf Genossen trafen, die im Jahre 1949 oder 1953 aus der KP ausgeschlossen worden waren, da sie gegen die Unterstützung Batistas durch die KP votiert hatten.
Der Konflikt mit den Stalinisten setzte sehr rasch ein. Die kubanischen Trotzkisten wurden beschuldigt, Spione des Imperialismus zu sein und für die Eroberung der US-Marinebasis in Guantanamo einzutreten, was den militärischen Konflikt ausgelöst und gerechtfertigt hätte. Damit hätten sie die Kubaner dem US-Imperialismus aushändigen wollen.
Die realen Differenzen zwischen Trotzkismus und Stalinismus lagen aber natürlich auf einer anderen Ebene, in der Frage des Charakters der Revolution. Um nicht zu degenerieren und überleben zu können, so die trotzkistische Argumentation, müsse die Revolution zu einer proletarischen Revolution weiter-getrieben und ihre nationaldemokratischen Beschränkungen überwunden werden. Die PSP behauptete im Gegenzug, dass die Revolution nicht mehr als bürgerlich-demokratisch sei, und die Forderung nach einer Umwandlung in eine sozialistische Gesellschaft hieße den US-Imperialismus herauszufordern und damit die kubanische Revolution zu gefährden, wenn nicht sogar auszuliefern.
Trotz aller Repression war es den Trotzkisten aber in Kuba noch längere Zeit möglich, (halb-) legal aufzutreten, so etwa auf einem Jugendkongress von Havanna, an dem Delegationen aus Argentinien, Uruguay, Mexiko, Peru und außerdem die US-Sektion, die SWP, teilnahmen und auf dem immerhin mehrere Tausend Exemplare ihres Manifestsverteilt werden konnten. [25]
Unter den wütenden Störversuchen der Stalinisten, die die Trotzkisten als Yankee-Spione diffamierten, konnten die Hauptpunkte des Manifests verteidigt werden. Die Störungen zeigten eines: dass ein wunder Punkt getroffen worden war – wir wollen hier deshalb einige wichtige Punkte daraus zitieren:
Entschädigungslose Enteignung unter Arbeiterkontrolle, Planwirtschaft, Agrar-reform und Agrarrevolution, Auflösung der Organe des bürgerlichen Staates und Ersetzung durch eine Arbeiter- und Bauernregierung auf der Grundlage von frei gewählten und jederzeit abberufbaren Arbeiter- und Bauernräten, Aufstellung bewaffneter Arbeiter- und Bauernmilizen, Zulassung mehrerer Arbeiterparteien sowie Anerkennung der Volksrepublik China durch Kuba, da dies bislang nicht geschehen war.
Die POR begann 1960 eine Zeitung herauszugeben, die Voz Proletaria (Proletarische Stimme). Die Stalinisten bekämpften sie, und je mehr Einfluss diese über den Staat gewannen, desto erfolgreicher konnten sie gegen die Trotzkisten vorgehen. 1961 wurde die Zeitung verboten. Die Mitglieder waren allesamt Milizionäre und machten freiwillige Arbeit am Sonntag, nahmen an der Alphabetisierungskampagne teil, an der Kaffee-Ernte, an der Zuckerrohr-Ernte und an den Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR). Nach dem Verteilen von Flugzetteln auf dem Kongress der Zuckerrohrgenossenschaften starteten die Verhaftungen am 18. August 1962. Die Mitglieder der kleinen trotzkistischen Gruppe Kubas wurden vom Arbeitsplatz entfernt, bedroht und verhaftet, bis die Repression 1965 ihren Höhepunkt erreichte.
Schluss
Im Gegensatz zum Jahr der Befreiung (1959) erwiesen sich die darauffolgenden Jahre als ökonomische Krisenzeiten. Nicht allein die geschilderte atomare Krise und das Wirtschaftsembargo, das die USA über Kuba verhängte, hatte daran schuld. Die Kapazitäten, die im ersten Jahr freigesetzt wurden, waren in den folgenden aufgebraucht. Der Push der Revolution verflüchtigte sich. Euphorie und Motivation gingen zu Bruch. Das Rad der Bürokratisierung, das jede Selbst-organisation erstickte, hatte sich zu drehen begonnen. Der kubanische Stalinismus etablierte sich über die Einheitspartei und über den Bonapartismus Castros. Durch die antiimperialistische Wende, die ja in keiner Weise durch die selbständig organisierte Arbeiterklasse erkämpft worden, sondern der außenpolitischen Bedrohung der Macht Castros geschuldet war, wurde die national-demokratische zu einer stalinistisch-bürokratischen Revolution, einer Revolution von oben, die sich, wenn nötig, der Massen bediente, die aber sonst ruhig gehalten wurden. Der Staatsapparat wurde nicht zerschlagen, sondern nur von B26J– und PSP-Leuten kontrolliert und in ihrem Sinne den neuen Gegebenheiten bürokratisch angepasst.
Um einer drohenden Vormacht der PSP-Kader im Staatsapparat zu begegnen, musste von Castro das schwierige Vorhaben umgesetzt werden, zwar die PSP an die Kandare zu nehmen, aber die UdSSR nicht zu vergrämen. Castro gewann den innerbürokratischen Machtkampf vor allem gegen Escalante, einen alten PSP-Kader, und die sowjetische Bürokratie setzte weiter auf Castro.
Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten sollten mit denselben Methoden der bürokratischen Kontrolle gelöst werden, die auch aus der UdSSR bekannt waren. Castro wollte planmäßig, wie es sich eben für gute stalinistische Bürokraten gehört, einem Rekord entgegenarbeiten. Die Zuckerproduktionsrate sollte stetig erhöht werden, um den Arbeitern eine Perspektive zu liefern und sie in das System zu integrieren, ohne ihnen politische Zugeständnisse machen zu müssen. Die Monokultur des Zuckerrohranbaus hätte überwunden werden müssen, blieb aber für Kuba die wichtigste Einnahmequelle. Der Versuch der Industrialisierung gelang nur zum Teil.
Aber da eine genuine Arbeiterrevolution in Kuba fehlte, konnte die Überwindung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse auch nur auf eine bürokratische Art und Weise von statten gehen. Auch in Kuba zeigte sich, dass Nationalisierung und Verstaatlichung noch lange nicht notwendigerweise auch Vergesellschaftung bedeutet. Es wurde zwar eine Form der nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse installiert, mit der Verstaatlichung der Produktionsmittel eine geplante Wirtschaft errichtet und die Verstaatlichung des Außenhandels vollzogen, aber die dazu-gehörige Kontrolle über den Staat und die Betriebe durch die Arbeiterklasse musste unterbleiben.
Das Proletariat war nicht in der Form von Räten organisiert, aber dennoch hatte sich seit der Machtergreifung der Antibatistas eine halb-spontane Bewegung der Arbeiterklasse entwickelt. Die B26J-Führer bedienten sich ihrer und der Bauern des Öfteren, um ihre Verankerung in den Massen zu demonstrieren und ihre Macht zur Schau zu stellen. Sie unternahmen aber nichts, damit sich die Arbeiterklasse selbständig organisieren konnte.
Trotzdem konnte sich Kuba seit der Revolution aus der Unterentwicklung mit großen Schritten emporheben. Und was an Leistungen auf sozialpolitischem Gebiet, im Bereich der medizinischen Versorgung und im Erziehungswesen vollbracht wurde, darf hier auch nicht vergessen werden. Bei all dem aber bleibt eines wichtig: Die heutigen Schwierigkeiten des kubanischen degenerierten Arbeiterstaates, der Versuch Castros, durch möglichst weitgehende Zugeständnisse an den Kapitalismus seine eigene Herrschaft zu retten, liegen nicht nur darin, dass mit der UdSSR der Haupthandelspartner weggebrochen und heute die Isolierung spürbarer denn je ist. Die spezielle Periode, von Castro ausgerufen, mit der die Unterhöhlung des Arbeiterstaates euphemistisch umschrieben wird, ist auch ein Produkt der bürokratischen Herrschaft in Kuba selbst.
Natürlich, Kuba hätte niemals die Kraft, alleine und isoliert, wie es heute ist, das Steuer herumzureißen und den Sozialismus auf einer Insel aufzubauen; der Sozialismus in einem Land war und ist immer eine Sackgasse. Aber die kubanische Bürokratie hat nicht nur zu allen Verbrechen des Stalinismus geschwiegen, mehr noch, sie hat – vielleicht nicht jedes einzelne, aber in ihrer Gesamtheit – diese gutgeheißen und auch selber praktiziert. Die kubanische Bürokratie ist damit auch ein gutes Stück mitverantwortlich für die Diskreditierung des Sozialismus in den Augen Hunderttausender, ja Millionen, die nach einer Alternative zu der vom Kapitalismus heraufbeschworenen Misere suchen.
Was bleibt, ist der gelungene Versuch, sich von der imperialistischen Um-klammerung zu befreien und über Jahrzehnte der imperialistischen Bedrohung standgehalten zu haben. Was aber auch bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Revolution nicht immer den geraden Weg gegangen ist und wahrscheinlich auch in Zukunft nicht immer gehen wird. Kuba war das Beispiel, dass unter besonderen Bedingungen auch kleinbürgerliche Formationen einen Arbeiterstaat, genauer gesagt einen bürokratisch-degenerierten Arbeiterstaat, errichten können. Und die olivgrüne Revolution war das erste Beispiel eines solchen historischen Vorgangs in Amerika.
Aus Marxismus Nr. 13, Artikel von Leo Fels
[1] Gemeint ist mit Bonapartismus jene bürgerliche Klassenherrschaft, die, in Analogie zu Napoleon III, als scheinbar über den Klassen schwebende unabhängige Instanz, zwischen den widerstreitenden Interessen pendelnd und zwischen diesen scheinbar vermittelnd, die Geschäfte der herrschenden Klasse besorgt. In Analogie dazu der Begriff Trotzkis vom Sowjet-bonapartismus als nachkapitalistischer Herrschaftsform in einem degenerierten Arbeiterstaat.
[2] in diesem Kapitel stützt sich der Autor hauptsächlich auf: Hubermann/Sweezy, Kuba, Anatomie einer Revolution. – Frankfurt/Main 1968. In der Folge wird auch nicht weiter darauf hingewiesen.
[3] 1906, 1912 und 1917 griffen die amerikanischen Truppen ein. Ab 1920 schickten sie politische und finanzielle Berater, die die kubanische Regierung, ohne direkte Interventionstruppen zu Hilfe zu nehmen, zu kontrollieren hatten.
[4] „Artikel III: Die kubanische Regierung erklärt sich bereit, den Vereinigten Staaten das Recht auf Intervention zuzugestehen, und zwar in folgenden Fällen: zur Erhaltung der kubanischen Unabhängigkeit, zur Aufrechterhaltung einer Regierung, die in der Lage ist, Leben, Eigentum und persönliche Freiheit zu schützen, und um jene Verpflichtungen einzulösen, welche die Vereinigten Staaten im Vertrag von Paris eingegangen sind und die nun von der kubanischen Regierung erfüllt werden sollen.
Artikel VII: Um die Vereinigten Staaten instand zu setzen, die Unabhängigkeit Kubas zu erhalten und das kubanische Volk zu beschützen – sowie zu ihrer eigenen Sicherheit -, wird die kubanische Regierung den Vereinigten Staaten Land verpachten oder verkaufen zur Errichtung von Nachschub- und Flottenbasen; dies zu bestimmten Bedingungen, die mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten auszuhandeln sind.“ (Hubermann/Sweezy, a.a.O. S. 28/29)
[5] In den Provinzen Las Villas, Oriente und Camagüey entzündete sich die Revolte der Arbeiter der großen Zuckerfabriken (centrales). 36 Fabriken wurden besetzt, die Verwalter eingesperrt und Arbeiterräte gebildet. Die Machtstrukturen, die ihre Wurzeln in der Zuckerindustrie hatten, schlitterten in die Krise. Ansätze von Organen der Doppelherrschaft wurden ge-schaffen, das bedeutete z.B. die Aneignung der Transportverbindungen, über eigene Komitees wurde die Verteilung von Lebensmittel, Waffen etc. organisiert. Die Arbeiter im Kaffee- und Tabaksektor ließen sich anstecken. Das städtische Proletariat rührte sich aber nicht. Die Kommunistische Partei unternahm, nachdem sie die Parole der Arbeiter- und Bauern-regierung, unterstützt von den Soldaten und Matrosen, ausgegeben hatte, nichts, um die politische Führung zu einigen und das Proletariat von Havanna zu mobilisieren. So wurde die Bewegung ihrer offensiven Stoßkraft beraubt, und Lohnerhöhungen und die Herabsetzung der Normen ließen die Bewegung zum Stillstand kommen, vor der noch im Mai 1933 der Diktator Machado in die Knie gegangen war. Unter den Schlägen der Repression des zum Chef des Heeres aufgestiegenen Unteroffiziers Batista ging die Bewegung völlig unter.
[6] Dr. Ramón Grau San Martin wird Präsident und führt in dieser kurzen Zeit wichtige Reformen durch. Doch die USA unter Roosevelt wollten Grau sehr zum Unterschied von seinem Nachfolger Batista nicht anerkennen.
[7] Hier soll nicht näher auf die PSP eingegangen werden, da ihr später noch ein eigenes Kapitel gewidmet wird.
[8] Seine Reden haben seither an Länge eher noch zugenommen.
[9] Chibas Ribas Eduardo (1907-1951), 1927 Mitbegründer des Direktoriums der Universitäts-studenten, gründete 1947 die kleinbürgerliche Partei des kubanischen Volkes (Orthodoxe), aus deren linkem Flügel die Bewegung des 26. Juli hervorging.
[10] Marti y Pérez José, geboren 1853, Dichter, Publizist und revolutionärer Demokrat, als Führer des Unabhängigkeitskriegs von 1895 im Kampf gefallen. Als einer der wichtigen Dichter und Revolutionäre Lateinamerikas der Volksheld Kubas.
[11] Roberto Massari: Che Guevara. Politik und Utopie. Das politische und philosophische Denken Ernesto Che Guevaras. – Frankfurt/Main 1987
[12] Ministerium mit der Funktion, das unterschlagene Eigentum zurückzugewinnen; d.h.: Enteignung des Besitzes von Batista, dem seiner Freunde, dem seiner Mitarbeiter…
[13] So mussten Rohprodukte exportiert werden, da sie im Inland nicht entsprechend genutzt werden konnten, und die bearbeiteten Produkte wurden wieder importiert (z.B. wurden 11.000 Tonnen Tomaten exportiert und als Tomatensaft, Ketchup, Tomatenmark in einer Menge von 9.000 Tonnen (!) wieder eingeführt).
[14] Julio Antonio Mella wird geformt von der mexikanischen Revolution von 1910 und von der russischen Oktoberrevolution. Nach dem Ersten Weltkrieg begannen die alten Forderungen nach nationaler Unabhängigkeit mit dem Prozeß der sozialen Radikalisierung zusammen-zufließen. In der Reformbewegung von 1918 auf den lateinamerikanischen Universitäten politisch aktiv – Mella wurde zum Begründer der kubanischen Studentenbewegung -, legte er auf dem nationalen Kongress der kubanischen Studenten von 1923 seine „Deklaration der Rechte und der Pflichten des Studenten“ vor, welche einstimmig angenommen wurde. Er beantragte, unter anderem die Isolierung der Sowjetunion, die Monroe-Doktrin, den Panamerikanismus und das Platt Amendment zu verurteilen. Er setzte sich mit dem Werk José Martís auseinander, und er versuchte, eine Synthese des internationalen revolutionären Denkens mit Elementen der kubanischen Tradition herzustellen. Dabei ging er davon aus, den Kampf um die nationale Unabhängigkeit mit dem allgemeinen Klassenkampf des Proletariats verbinden zu können. Er attackierte die peruanische APRA wegen ihres Opportunismus und ihrer reformistischen Abgleitflächen und stellte dem die Position Lenins entgegen, die ein vorüber-gehendes Bündnis der Parteien der Kommunistischen Internationale mit der bürgerlichen Demokratie befürwortete, unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit der Arbeiterbewegung, selbst in den elementarsten Fragen. Nach Ansicht Roberto Massaris habe Mella zwar nicht direkt gegen die stalinisierte Komintern polemisiert, doch gebe es Hinweise, dass er nur nicht mehr die Zeit dazu fand. Es bestehe auch Unklarheit darüber, ob er sich von der Kommunistischen Partei Kubas und dann von der Mexikos entfernte. Gesichert aber ist, dass er in der letzten Phase seines Lebens – er starb bereits 1929 nur 26jährig – außerhalb beider Organisationen stand. Massari meint, dass er der Stalinschen Direktive vom Block der vier Klassen durch seine klare Sicht des Imperialismus und der nationalen Bourgeoisie entgegen-gestanden wäre. Er wurde von den Gardisten Gerardo Machado ermordet.
[15] der Generalstreik von August 1933 bildete den Auftakt für den Sturz Machados am 12.8.1933
[16] Die Volksfrontpolitik wurde nach dem Bankrott der Politik der Dritten Periode mit ihrer Theorie des Sozialfaschismus (Bezeichnung für die Sozialdemokratie, mit der kein Bündnis eingegangen werden durfte und die als Zwillingsbruder des Faschismus firmierte) eingeführt, um mit der nationalen Bourgeoisie eine Nationale Front gegen den Faschismus, der die Sowjetunion zu bedrohen begann, bilden zu können. Hinter diesem doppeldeutigen Begriff steckt die eindeutige Aufforderung zur substantiellen Kollaboration. In den (neo-) kolonialen Ländern blieb die Strategie noch unklarer, da in aller Regel die Bedingungen für eine klassen-übergreifende Front gegen den Faschismus fehlten: Zum einen war die Bourgeoisie nicht immer und überall bereit, ihren Part als Juniorpartner des imperialistischen Kapitals durch anti-imperialistische Forderungen aufs Spiel zu setzen. Und zum anderen konnte sich in kolonialen oder neokolonialen Ländern der Faschismus mangels einer kleinbürgerlichen Massenbewegung kaum jemals konsolidieren. Bewunderer des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus mußten daher zu den Formen einer offenen Militärdiktatur greifen. Alles in allem neigte die Volksfrontperiode aber gerade auch aus diesen Gründen dazu, den Begriff Faschismus inflationär zu gebrauchen und nicht klassenanalytisch abzusichern.
[17] Zitiert aus Hubermann/Sweezy, Kuba. Anatomie einer Revolution, Frankfurt am Main, 1968, S.128
[18] Die bürgerlichen Landreformen seit der Französischen Revolution bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkriegs fanden ihr Ziel darin, die großen Ländereien (der feudalen Großgrund-besitzer) in kleine bäuerliche Einheiten aufzuteilen und damit auch auf dem Land der kapitalistischen Ökonomie zum Durchbruch zu verhelfen. Karl Marx stand diesem Ziel für die Mehrzahl der europäischen Länder aus zwei Gründen sehr skeptisch gegenüber: Zum ersten seien die kleinbäuerlichen Anbaumethoden unrentabel, und zweitens stelle die Klein-bauernschaft eine reaktionäre Klasse dar. Nach der Russischen Revolution galt es auch die Agrarfrage zu lösen. Während die Stalinisten zuerst das Land auf die Kleinbauern verteilten und dann, nach der Ultralinkswende, ein System der Zwangskollektivierung gewaltsam einführten, ging die Linke Opposition zwar von der Überlegenheit kollektiver Landwirtschaften aus, wies aber eine gewaltsame Überführung bäuerlichen Eigentums in Kollektiveigentum zurück. Die Bauernschaft müsse mit Herz und Verstand für die Überlegenheit der gemeinsamen Bewirtschaftung gewonnen und nicht mit dem Knüttel dazu gezwungen werden. Diese Vorschläge wurden aber nicht realisiert, da die Linksopposition in der Minderheit gegenüber den stalinistischen Positionen blieb. Doch die Stalinisten lernten nichts aus dem Desaster der Zwangskollektivierung. Wie in der Revolutionstheorie bauten sie nun für die kolonialen und halbkolonialen Länder eine Etappentheorie ein, der zufolge zuerst das Land unter den Bauern verteilt werden müsse, erst später könne daraus eine mehr oder weniger schnelle Entwicklung hin zu höheren Formen des kollektiven Eigentums und der kollektiven Bearbeitung des Bodens entstehen. Unter den nun fast einheitlichen Anschauungen der Landreform gab es nur noch solche Differenzierungen, die die nötige Gewaltanwendung und die Geschwindigkeit der Etappen anbelangte.
[19] Eine solche Maßnahme wäre auch in Ländern wie Österreich durchaus nicht uninteressant: Die Einheitswerte in der Landwirtschaft, nach denen Landbesitzer Steuern bezahlen, entsprechen auch nicht annähernd dem tatsächlichen Verkehrswert der Liegenschaften, von den kleinen sonstigen steuermindernden Vorteilen, die Selbständige in unserer Gesellschaft lukrieren können, einmal ganz abgesehen!
[20] Der Jurist Dorticós Torrado Osvaldo kommt aus den Reihen der PSP und wurde Anfang 1959 Minister für Revolutionäre Gesetzgebung.
[21] Die US-Regierung unter Eisenhower hatte Batista 1958 endgültig fallen lassen. Sie stellte im März desselben Jahres die Waffenlieferung ein. Die US-Regierung erwartete sich eine bürgerlich-gemäßigte Regierung der Anti-Batistas, die ja auch durch die Guerilla-Truppen der B26J nicht wirklich gefährdet schien. Das Abkommen von Miami im November 1957 sah keinen Stachel gegen den US-Imperialismus vor. Die erste kubanische Regierung entsprach auch vollends den Wünschen der US-Regierung. Diese wollte dann aber anfangs, als den USA die Kontrolle über Kuba entglitten, die Rückgewinnung Kubas in ihre Einfluss Sphäre nicht durch eine offene Intervention erzwingen, sondern über die Geheimdienste.
[22] Es handelte sich also nicht um eine genuine Arbeiterselbstverwaltung, sondern um einen vom neuen Besitzer, dem Staat, eingesetzten Chefverwalter, genauso wie nach der stalinistischen Konterrevolution in der UdSSR.
[23] Die Informationen über den Trotzkismus in Kuba wurde den Artikeln der Zeitschrift Inprekorr 105 und 106 entnommen und durch Artikel aus Workers Power (LRCI) ergänzt.
[24] Workers Power geht anders als Inprekorr davon aus, dass sich die Oposicion Comunista de Cuba 1932 als Opposition zur kubanischen KP gegründet hätte. Während der Klassenkämpfe 1932-33 mit einer Mitgliedschaft von 500 aktiven Leuten, wurden sie aber nach den Nieder-lagen der kubanischen Arbeiterbewegung dezimiert. Sie gründete sich 1959 als Partido Obrero Revolucionaria (POR) wieder. Parteiführer war der 1962 aus den Reihen der Haupt-strömungen des Trotzkismus ausgeschiedene Juan Posadas, der ab damals seine eigene, v.a. in Lateinamerika positionierte posadistische Vierte Internationale aufzubauen versuchte.
[25] Es ist hier nicht der Ort, um auf die spezifischen Schwächen des lateinamerikanischen und im besonderen auf die des kubanischen Trotzkismus einzugehen. Wir wollen nur auf die Frage der besonderen Bedingungen der Entstehung eines Arbeiterstaates in Kuba verweisen und auf die unserer Einschätzung nach unabdingbare Konsequenz aus der Entwicklung, dass in Kuba ein degenerierter Arbeiterstaat entstanden war, dessen Bürokratie in einer politischen Revolution gestürzt und durch Arbeiterräte ersetzt werden müsse. Auch das Verhältnis zu Che Guevara müsste einer gesonderten Kritik unterzogen werden. Che Guevara hatte gegenüber der POR eine ambivalente Haltung – und umgekehrt. Einerseits bewahrte Guevara einige Genossen vor längeren Haftstrafen, ja sogar vor der Vollstreckung des Todesurteils, andererseits verzichteten die Trotzkisten über weite Strecken auf eine politische Analyse seiner kleinbürgerlichen Guerilla-Strategie. Bekannt ist jene Geschichte, die sich immer wieder hervorragend dazu eignete, um die Geschichte um einen weiteren unbewussten Trotzkisten zu bereichern: Als August 1960 die POR-Trotzkisten Che um eine Audienz im Ministerium baten, die gewährt und auf 15 Minuten angesetzt war, wurde diese nach abgelaufener Zeit von Che Guevara selbst auf ca. zwei Stunden verlängert. Während dieser Unterredung überbrachte Angel Fanjul die Grüße der Internationale und übermittelte die bedingungslose Solidarität der Vierten Internationale. U.a. aber berichteten sie, dass sie ihre Partei aufbauen wollten. Ché Guevarra entgegnete, dass man die Bildung einer einzigen Partei der Revolution anstrebe und die anderen Parteien nicht mehr tolerieren werde.