Seit unter dem Motto „Fridays for Future“ (FFF) regelmäßig vor allem Jugendliche freitags auf die Straße gehen und mehr Klimaschutz fordern, haben alle Parteien das Thema für sich entdeckt.
Aus der September-Ausgabe unserer Zeitung „Aurora“:
Am 20. September will die Bundesregierung ihre Vorschläge zur Senkung von Treibhausgasen (THG) präsentieren. So gut wie sicher ist, dass das Ausstoßen von Kohlendioxid (CO2), neben Methan einem Hauptverursacher der Erderwärmung, teurer werden soll, ob in Form einer CO2-Steuer oder einer Ausweitung des CO2-Emissionshandels ist innerhalb von CDU und SPD noch umstritten. Aber jenseits der Details wird so getan, als ob die CO2-Bepreisung die endlich entdeckte Wunderwaffe gegen die Klimaerwärmung sei. WirtschaftslobbyistInnen und die von der Bundesregierung bestellten „Wirtschaftsweisen“ sind genauso dafür wie die Grünen und viele Umweltverbände.
Auch die FFF-Bewegung fordert offiziell eine CO2-Steuer von 180 € pro Tonne CO2. Und nun hat Mitte August eine Gruppe von „Scientists for Future“ ein ausführliches Papier vorgelegt, in dem diese Forderung begründet wird1. Wir von der RSO beteiligen uns an FFF, da dringend auf der Straße Druck gemacht werden muss gegen die allgegenwärtige Umweltzerstörung im Namen des Profits. Aber kann ein Preisschild auf CO2 diese kapitalistische Marktwirtschaft plötzlich umweltfreundlich werden lassen und damit wirklich das Klima retten?
Wie argumentieren die BefürworterInnen einer CO2-Steuer?
Die Argumentation ist recht einfach: CO2 in die Luft zu pusten ist heute für die Industrie wie VerbraucherInnen praktisch kostenlos, auch wenn es großen Schaden anrichtet. Wenn es aber teuer wäre, würden „die Leute“ endlich drauf achten und weniger CO2 verursachen. Die VerbraucherInnen würden ihr Konsumverhalten umstellen auf weniger CO2-intensive Produkte, die dann ja im Vergleich günstiger wären. Und die Industrie hätte einen Anreiz, Produktionsverfahren so zu optimieren, dass für ein gegebenes Produkt möglichst wenig CO2 anfällt, da sie damit Kosten einsparen können – was im Wettbewerb mit der Konkurrenz ja ständiges Ziel ist.
Doch wie viel bringt das tatsächlich fürs Klima, wie viel CO2 wird durch eine Steuer eingespart? Es gibt keinen Automatismus, der bei einem bestimmten Preis für CO2 eine bestimmte Einsparung erzielt. Auf Seiten der Industrie bleibt es den Konzernen überlassen, ob sie umweltfreundlichere Alternativen suchen, um Kosten zu sparen, oder ob sie zum Beispiel lieber in Werbekampagnen finanzieren, um ihre herkömmlichen, umweltschädlichen und dann etwas teureren Produkte trotzdem los zu werden. Sie werden – wie bisher auch – rechnen und ihre Entscheidung fällt nicht nach Umweltgesichtspunkten, sondern nach ihren Profitinteressen. Und auch mit einer CO2-Bepreisung wird es immer darum gehen, mehr Waren verkaufen zu müssen und damit Ressourcen für den Profit und nicht den Bedarf zu verbrauchen.
Auf Seite von uns VerbraucherInnen stellt sich die Frage, ob wir überhaupt auf CO2-freundliche Produkte umsteigen können. Wenn – wie auf dem Land oder auch in vielen Klein- und Mittelstädten – der ÖPNV schlecht ausgebaut ist, man aber (z.B. wegen hoher Mieten) einen weiten Arbeitsweg hat, kann man oft nicht aufs Auto verzichten. Viele Arbeitende kennen das Problem. Ein höherer Benzinpreis sorgt dann für weniger Geld im Portemonnaie, nicht aber für weniger CO2 in der Luft.
Am anderen Ende der Gesellschaft stehen die Reichen und Superreichen, die sich in ihrem Konsum nicht davon aufhalten lassen werden, dass einiges ein bisschen teurer wird. Wer heute schon im dicken SUV oder teuren Sportwagen die Luft verpestet, obwohl er*sie mit einem Kleinwagen ganz viel Geld sparen könnte, wird sein Verhalten nicht ändern, nur weil der Liter Sprit statt 1,50 € dann 2 € kostet.
Dabei sind die reichen Oberschichten überproportional am CO2-Ausstoß beteiligt: Laut einer Oxfam-Studie sind die reichsten 10 % der Bevölkerung in Deutschland für 25 % der THG verantwortlich. Und global verursachen die reichsten 10 % sogar 49 % des menschengemachten Klimawandels.2 Gerade die Reichen können aber einen CO2-Preisaufschlag aus der Portokasse bezahlen, nach dem Motto: „Umweltsünden muss man sich halt leisten können!“ Schon heute sind genug CO2-Dreckschleudern beliebte Statussymbole.
Das schwedische Beispiel
Es gibt daher gute Gründe skeptisch zu sein, wie viel eine CO2-Steuer für das Klima bringt. Nun gibt es aber auch schon konkrete Erfahrungen, die regelmäßig ins Feld geführt werden. Vor allem Schweden wird von den BefürworterInnen einer Steuer als Musterland vorgestellt. Schweden hat seit 1991 eine CO2-Steuer, die mittlerweile rund 140 € pro Tonne beträgt (allerdings auch mit vielen Ausnahmen). Das „Scientists for Future“-Papier zitiert zwei Studien, um die Wirksamkeit einer CO2-Steuer zu belegen. Beide Studien befassen sich mit Schweden. Die aktuellere der beiden behauptet, im schwedischen Verkehrssektor soll es durch die Steuer eine Verringerung der Emissionen um 11 % gegeben haben.3 Aber Schweden hat viele andere relativ klimafreundliche Maßnahmen ergriffen und es ist kaum möglich, die Auswirkung der Steuer alleine seriös abzuschätzen. Eine OECD-Studie von 2011 kommt indes dem Schluss, dass im Zeitraum 1991-2010, in dem die schwedische CO2-Steuer in ihrer Höhe vervierfacht wurde, sie insgesamt zu CO2-Einsparungen von nur 0,2-3,5 % geführt hat.4 Vielleicht besser als gar nichts, aber wirklich nicht der große Wurf, den wir dringend brauchen, um den Klimawandel aufzuhalten!
Wer wird bezahlen?
Wenn THG-Verminderung durch höhere Preise erfolgen soll, dann trifft das wie jede andere Verbrauchssteuer – beispielsweise die Mehrwertsteuer – überproportional diejenigen mit niedrigen Einkommen. Weil sich der französische Präsident Macron mit seiner Spritsteuererhöhung – Auslöserin der „Gelbwestenbewegung“ – eine so gelb-blutige Nase geholt hat, erklären nun hierzulande alle PolitikerInnen, dass die Steuerpläne „sozial gerecht“ ausgestaltet werden sollen. Ein prominentes Beispiel: Die Einnahmen der Steuer könnten als „Klimaprämie“ wieder an die Bevölkerung ausgeschüttet werden. Das würde bei einem Preis von 40 € pro Tonne (in dieser Höhe bewegt sich, was aktuell von den GutachterInnen der Regierung diskutiert wird) und dem derzeitigen Gesamt CO2-Ausstoß für jeden Menschen in Deutschland pro Jahr 400 € ergeben. Bei 180 € pro Tonne entsprechend mehr. In diesem Fall würde also kein Geld an den Staat fließen, sondern nur umverteilt – von denen mit höherem CO2-Verbrauch zu denen mit niedrigerem. Doch wenn die PolitikerInnen (die momentan alle im Wahlkampfmodus sind) von der Klimaprämie sprechen, dann sind eher nur bescheidene 100 € im Gespräch. Erfahrungsgemäß sollen von dem eingenommenen Geld ja auch noch Subventionsgelder für die Industrie übrig bleiben. Theoretisch könnte jemand, der ressourcenschonend lebt, am Ende des Jahres mehr in der Tasche haben. Doch schon ahnt man, dass zum Beispiel für Hartz-IV-EmpfängerInnen die Jobcenter die Klimaprämie – wie andere Einnahmen – von der Stütze abziehen könnten.
Wenn man sich anschaut, wie die verschiedenen Regierungen der letzten Jahrzehnte ihre „Reformen“ stets auf Kosten der breiten Bevölkerungsmehrheit durchgeführt haben, kann man sicher sein, dass auch eine CO2-Steuer kaum „sozial gerecht“ ausfallen wird. Allen grundsätzlichen Ideen zum Trotz, die bei FFF oder den „Scientists for Future“ diskutiert werden.
Und fast sicher ist, dass die wirklichen Verursacher der Klimazerstörung, die energieintensiven Konzerne und die Industrie nicht oder kaum zur Kasse gebeten werden. Im Gegenteil – für sie wird es großzügige „Ausnahmen“ geben, um ihre „Wettbewerbsfähigkeit“ nicht zu gefährden. Das kennt man schon von der EEG-Umlage, die nach dem „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ die Strompreise verteuert hat. Dass der Strompreis für die Einzelkunden so deutlich nach oben gegangen ist, liegt daran, dass „energieintensive“ Bereiche der Industrie davon ausgenommen wurden. Für die Hälfte des industriellen Stromverbrauchs wurde keine EEG-Umlage fällig. Damit wurden jährlich bis zu 4,8 Mrd. € den Großkonzernen erlassen.5
Die Regierung hat offenbar vor, bei der neuen CO2-Bepreisung genauso zu verfahren. Anders als viele Absichtserklärungen es erscheinen lassen, soll der CO2-Ausstoß nicht an der Quelle der Verschmutzung „bepreist“ werden, das wäre nämlich bei der Stromerzeugung und der Produktion, sondern ganz am anderen Ende, bei den VerbraucherInnen. In einem der vom Umweltministerium in Auftrag gegebenen Gutachten, das die Preisentwicklung und dadurch hervorgerufene CO2-Ausstoß-Senkungen beurteilt, heißt es explizit: „Für den Energieverbrauch bzw. Energieträgereinsatz in der Industrie wurden keine Einsparungen angenommen. Da die Ausnahmen fortbestehen sollen (…) wird also vereinfachend kein von CO2-Aufschlägen ausgehender Preisimpuls angenommen.“6
Mit solchen Regelungen werden die größten VerschmutzerInnen außen vor gelassen und weiter belohnt. Nur ein Beispiel: BASF. Allein das BASF-Werk Ludwigshafen benötigt pro Jahr 6 Terawattstunden (TWh) Strom, was gut ein Prozent des gesamten deutschen Stromverbrauchs ist und dem gesamten Bedarf Dänemarks entspricht.7 Die BASF-Kraftwerke in Ludwigshafen laufen allein mit fossilen Energieträgern. Dabei gehört BASF auch zu der weltweit zweitgrößte Konzern, der aus Erdöl Plastik herstellt und für die extrem umweltschädliche Plastikproduktion Lobbyarbeit leistet.
Der Klimawandel und der ständig weiter steigende CO2-Ausstoß8 sind ein Paradebeispiel für das Zitat von Albert Einstein: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Die auf private Einzelinteressen ausgelegte Marktwirtschaft, auf der der Kapitalismus beruht, ist nicht nur für die ständig wachsende weltweite Ungleichheit und für Armut und Elend verantwortlich, sondern auch für die rücksichtslose Ausbeutung unseres Planeten. Der Markt ist grundsätzlich blind für kollektive Bedürfnisse und für jede nicht zahlungskräftige Nachfrage. Ein Preis für CO2 dreht an einer kleinen Stellschraube, verändert aber nicht das Grundprinzip. Und das verlangt, dass jedes Unternehmen auf größtmöglichen Gewinn, damit auf Umsatzsteigerungen aus ist, was bedeutet möglichst viel zu produzieren und abzusetzen. Koste es – für die Arbeitenden, für die Natur und die Allgemeinheit – was es wolle.
Wenn die „Scientists for Future“ in ihrer Stellungnahme schreiben: „[CO2-]Reduktionen über den Preis zu erreichen, statt über direkte Regulierung, also anstatt per Ordnungsrecht bestimmte Produktionsweisen, wie etwa Kohlekraftwerke oder den Verbrennungsmotor, zu verbieten, ist effizienter“, dann gehen sie der allgegenwärtigen Propaganda auf den Leim und tragen zu ihrer Verbreitung bei, nach der „der Markt“ in der Lage ist, für wirtschaftliche Effizienz zu sorgen. Die Marktwirtschaft ist in der Tat hocheffizient, wenn es darum geht, die Einzelinteressen der den Markt dominierenden Großkapitale umzusetzen. Aber das hat nichts mit der Effizienz für die Interessen der Gesamtgesellschaft zu tun. Solcherart „wissenschaftliche“ Argumente beruhen darauf, dass sie nicht einen Millimeter über die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft hinausdenken. Und solange man dem Kapital, also den privaten Großkonzernen und ihren ManagerInnen und AktionärInnen die Verfügungsgewalt über wirtschaftliche Entscheidungen lässt, kann man tatsächlich nur versuchen mittels „Marktanreizen“ gegenzusteuern. Aber damit lässt man die Welt und die Menschheit vor die Hunde gehen.
Wir brauchen Lösungen jenseits des Marktes
Da wird dann schädlichem Verhalten (CO2-Ausstoß) ein Preis aufgeklebt, statt dafür zu sorgen, dass es nicht mehr vorkommt. Ein bisschen so, als würde man annehmen, man müsse nur hohe Bußgelder verhängen um allgemein Kriminalität zu verhindern. Die 180 € pro Tonne, die FFF fordert, entsprechen übrigens den – im Übrigen höchst unsicheren – Schätzungen des Bundesumweltamtes, welche Folgekosten die durch CO2 angerichteten Umweltschäden haben werden. Doch der Schaden entsteht trotzdem. Man kann sich einfach freikaufen. Und wenn die Einnahmen über eine Klimaprämie an die Bevölkerung zurückgezahlt werden – oder noch schlimmer, wenn das Geld für Subventionen an angeblich umweltfreundlichere Konzerne benutzt wird – steht es auch nicht mehr dafür zur Verfügung, die Folgekosten tatsächlich zu tragen. Sie werden dann den kommenden Generationen trotzdem aufgehalst.
Dabei gibt es schon heute genug Alternativen zum klimaschädlichen CO2, sie müssten nur umgesetzt werden. Viele WissenschaftlerInnen haben Pläne gemacht, wie die Welt CO2-neutral gestaltet werden könnte. Aber dafür müssten die Bedürfnisse von Mensch und Natur ins Zentrum einer neuen Wirtschaftweise gestellt werden – eine Wirtschaft, die von uns allen bewusst geplant wird, um ressourceneffizient unser Leben selbst in die Hand zu nehmen, den CO2-Verbrauch gezielt zu steuern und schnellstmöglich zu beenden. Das geht nur gegen die Privatinteressen der kapitalistischen Konzerne, durch eine demokratisch geplante, sozialistische Wirtschaft.9
Fazit
Eine CO2-Steuer kann höchst unterschiedlich ausgestaltet werden und welche Auswirkungen sie auf die Masse der unteren und mittleren Einkommen hat, wird man erst wissen, wenn konkretere Pläne vorliegen. Man kann davon ausgehen, dass die von der Bundesregierung vorgelegte CO2-Bepreisung einseitig zu Lasten der Bevölkerung gehen und die Konzerne wieder einmal begünstigen wird. Eine solche Maßnahme lehnen wir ab! Aber selbst eine bestmögliche theoretische CO2-Steuer, die vielen bei FFF vorschwebt und die untere Einkommen sogar belohnen könnte, wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein des vom Kapitalismus beschleunigten Klimawandels.
Für die Umweltbewegung ist es dringend notwendig, nicht – wie schon beim Emissionshandel oder der EEG-Umlage – erneut die Illusion einer „marktkonformen Lösung“ des Klimawandels unter einem „grünen Kapitalismus“ zur Perspektive zu machen und damit weitere Jahre zu verlieren. Wir müssen ein dringendes Umsteuern erzwingen, das zu Lasten der Konzerne geht und ihre kapitalistische Wirtschaftsordnung in Frage stellt. Das geht nur, indem Umweltbewegte und die Arbeiterklasse sich gegen die Konzerne zusammentun.
1. September 2019
1 Mattauch, L. / Creutzig, F. et al.: „Antworten auf zentrale Fragen zur Einführung von CO2-Preisen. Gestaltungsoptionen und ihre Auswirkungen für den schnellen Übergang in die klimafreundliche Gesellschaft“, Berlin, 19. 8. 2019.
2 https://www.oxfam.org/en/research/extreme-carbon-inequality
3 Andersson, J. J.: „Carbon taxes and CO2 emissions: Sweden as a case study“, 2019
4 Jamet, S.: „Enhancing the Cost-Effectiveness of Climate Change Mitigation Policies in Sweden“, OECD Economics Department Working Papers No. 841, 2011, S. 18.
5 https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/firmen-verlangen-4-8-milliarden-rabatt-auf-strompreis-a-1043715.html
6 Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS): „Lenkungs- und Verteilungswirkungen einer klimaschutzorientierten Reform der Energiesteuern“, Forschungsvorhaben „Künftige Finanzierung der Energieversorgung aus erneuerbaren Energien“, Auftraggeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), 2019, S. 8. Hervorhebung von uns.
7 https://www.basf.com/global/de/who-we-are/organization/locations/europe/german-sites/ludwigshafen/production/energy.html
8 https://www.pbl.nl/en/publications/trends-in-global-co2-and-total-greenhouse-gas-emissions-2018-report
9 Ausführlicher zu unseren Perspektiven: Vergleiche die Broschüre „Wäre das Klima eine Bank, wäre es schon gerettet“.