Viele Maßnahmen der Bundesregierung um die Verbreitung von Covid-19 einzudämmen scheinen aktuell sinnvoll und ohne wirkliche Alternative. Gleichzeitig dienen diese als Katalysator für die autoritäre Wende und den Ausbau polizeistaatlicher Befugnisse. Das Wettrennen für die Zeit nach der Pandemie ist eröffnet. Es heißt vorne mit dabei zu sein: bei der Eindämmung des Virus und dem Wiederhochfahren der Wirtschaft – und auch beim Ausbau zentralisierter Staatsmacht.
Von PolitikerInnen und Medien wird täglich folgende Erzählung bedient: der Erfolg in der Bekämpfung der Verbreitung des Coronavirus in Österreich beruht auf dem entschlossenen, raschen und umfassenden Durchgreifen der Bundesregierung. Und auch darauf, dass sich die meisten BürgerInnen an die Regeln halten – und die, die es nicht tun, müssen „zur Ordnung gerufen werden“, wie Innenminister Nehammer verlautbarte.
“Alle gegen alle”
Daran schließt sich eine Individualisierung der Schuldfrage an. Es wird dann vor allem darüber diskutiert, wer sich im Park oder beim Einkaufen falsch verhält. Völlig gewollt gerät dabei aus dem Blickfeld, dass die WHO die nationalen Regierungen bereits nach dem Auftreten der ersten Fälle vor einer globalen Ausbreitung gewarnt hat. Zahlreiche Regierungen beteuerten noch vor kurzem „Alles im Griff“ zu haben. In Vergessenheit geraten soll auch, dass die ProfiteurInnen des Wintertourismus Einschränkungen und ein früheres Saisonende verhindern wollten (zB in Ischgl). Unter den Teppich gekehrt wird dabei auch, welche nicht systemrelevanten Unternehmen und Baustellen viel zu lange weitergelaufen sind, noch immer am Arbeiten sind oder bald wieder anlaufen.
Stattdessen wird man von der Staatsmacht dazu angehalten, das Verhalten der Mitmenschen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dabei bekommt nicht nur die ungreifbare Bedrohung durch das Virus ein konkretes Gesicht („der Nachbar ist schuld“). Ebenso wird Eigenverantwortung durch ein stumpfes „Sich an die Regeln halten“ ersetzt. Zum Problem werden jene Mitmenschen stilisiert, die das nicht in vollem Gehorsam tun – egal, wie wenig gefährdend ihr Verhalten möglicherweise tatsächlich ist. Hier wird unter Anleitung von ganz oben bewusst an der Akzeptanz und Internalisierung autoritärer Herrschaft gezimmert. Dazu gehört auch die Erzählung, dass wer nichts getan hat, sich auch nicht zu fürchten braucht.
Überwachen und Strafen
Teil dieses Puzzles ist die beständige Inszenierung der Polizei als Partner und Freund der Bevölkerung sowie verlässliche und notwendige Hüterin der Ordnung. Die Polizeipräsenz soll in den nächsten Wochen weiter erhöht werden. Wir sollen uns also schon mal dran gewöhnen, dass die Polizei omnipräsent ist und jederzeit auftauchen kann. Auch wenn wir in Zukunft wieder mal im Freundeskreis in der Wiese zusammensitzen. Oder am Weg auf eine Demo sind.
Dafür um klarzumachen, wer am längeren Ast sitzt und über Autorität verfügt, ist die Willkür in der Durchsetzung der Abstandregeln und Einschränkung durch die Polizei ein wichtiges Mittel. Mit den Verschärfungen und der Dauer der Maßnahmen häufen sich auch Berichte über willkürliche und rassistisch motivierte Strafen. Diese sind kein Fehler in einem sonst fairen System, sondern wichtiger Bestandteil von dem was staatliche Zwangsgewalt ausmacht. Das sollen Menschen auch spüren können.
In den autoritären Kanon reiht sich auch die Debatte um die „Stop Corona“-App ein. Teile der ÖVP haben eine verpflichtende Benutzung (oder ersatzweise eine Standortkontrolle über Schlüsselanhänger) gefordert. Auch wenn es jetzt bei der Freiwilligkeit bleiben soll, ist damit ein wichtiges Ziel erreicht: plötzlich ist es scheinbar legitim geworden digitale Komplettüberwachung zu fordern. Ein entscheidender Vorstoß ist gesetzt und in Zukunft kann sich die Debatte dann darauf beschränken, wann die Situation solche Eingriffe notwendig macht und rechtfertigt. In diesen Ausbau von Überwachung und Datenkontrolle reiht sich auch der geplante Zugriff auf PatientInnendaten ein, um im Zuge von Corona Risikogruppen ausmachen zu können.
Autoritäres Management von Bevölkerung und Staat
Die tatsächliche Ausnahmesituation, die wir mit Corona erleben, wird als Testlabor für künftige Ausnahmezustände jeglicher Art und die Ausweitung staatlicher Befugnisse benutzt. Was heute im Kampf gegen Covid-19 umgesetzt wird, wird uns in Zukunft in allerlei anderen Situationen wieder begegnen. Hier setzt auch die Inszenierung der Bundesregierung als „Krisenmanager“ an. Der Umgang mit Corona fügt sich bestens in den „neuen Stil“ von Kurz und Konsorten ein: statt Parteipolitik wird hier vielmehr Management – entlang „objektiver Notwendigkeiten“ – betrieben.
Das gelungene Corona-Krisenmanagement wird als Basis dafür dienen auch bei künftigen „Bedrohungen“ (Rezession, flüchtende Menschen, Proteste…) in den Krisenmodus zu wechseln. Um mit diesen Herausforderungen fertig werden zu können, wird die Regierung wie selbstverständlich weitreichende Befugnisse und allerlei Daten der Bevölkerung fordern. Allgemein soll klar gemacht werden, dass für Krisen nur autoritäre top-down Lösungen geben kann.
Hier schließt sich der Kreis zu Ungarn unter Viktor Orban. Dieser hat, was den Umfang autoritärer Maßnahmen betrifft, in der EU wiedermal die Nase vorne. Bis jetzt ist er – wie so viele andere PolitikerInnen auch! – mit seinen autoritären Vorstößen immer davongekommen. Und auch diesmal haben die EU und Regierungschefs anderer Staaten wenig als gekünstelte und zahnlose Aufregung zu bieten. Solche Situationen haben Regierungen schon bisher genutzt, um im Schatten solcher ultra-autoritären Vorstöße in ihren eigenen Ländern Überwachung und Polizeistaat auszubauen.
In Ungarn gelten die Ermächtigungsgesetze bis zur Beendigung des Ausnahmezustands – der nur von Orban selbst erklärt werden kann. Die demokratischere Variante davon sieht folgendermaßen aus: die Bundesregierung bereitet schrittweise eine Lockerung der Maßnahmen vor, behält dabei aber die Zügel fest in der Hand – jederzeit bereit, die „Notbremse“ zu ziehen. Wie schon bei den Maßnahmen gegen Covid-19 scheint auch dieser Weg sinnvoll und ohne wirkliche Alternativen. Aber auch das ändert nichts an der Tatsache, dass die „Notbremse“ unter alleiniger Kontrolle der Regierung ist und in Zukunft in allerlei Fällen gezogen werden wird.
Solidarität von unten gegen Durchgriff von oben
Vor uns liegt eine längere Zeit, in der der Handel und wohl auch Produktionsbetriebe wieder hochfahren dürfen, während die physischen Beschränkungen des Soziallebens wahrscheinlich weitgehend aufrecht bleiben werden. Vor uns liegt eine längere Zeit, in der die Regierung alles auf eine noch stärkere Legitimierung von autoritärer, zentralisierter Staatsmacht setzen wird.
Umso wichtiger ist es, sich im Klaren zu bleiben, dass der Mensch kein Wolf ist und uns der Staat nicht vor uns selbst schützen muss. Auch in Zeiten von Corona ist ein solidarischer Umgang miteinander möglich und notwendig.
Unsere Aufgabe ist klarzumachen, wie sehr die Situation mit Corona genutzt wird, um autoritäre Herrschaft auszubauen und abzusichern und dass die Krisen, denen wir uns gegenübersehen (Klima, Wirtschaft, Flucht…), nicht von autoritären Krisenmanagern gelöst werden können und werden. Wir brauchen vielmehr breite, radikale und demokratische Basiskämpfe von Beschäftigten und Betroffenen. Gerade gegen solche wappnen sich Kurz und Konsorten schon jetzt im Schatten von Covid-19.