VIRALER KAPITALISMUS – Pandemien, Natur und Kapitalismus – Teil II

VIREN, PANDEMIEN UND KAPITALISTISCHE NATURVERHÄLTNISSE

Teil I ist der Frage nachgegangen, in welcher spezifischen Art sich der Kapitalismus auf die natürliche Umwelt bezieht. Die Naturverhältnisse im Kapitalismus sind dabei von der privaten Verfügung über Produktionsmittel und der Dynamik der Kapitalakkumulation (Profitmaximierung und beständiges Wachstum) geprägt. Die natürliche Umwelt wird zu einer von mehreren zu kontrollierenden und zu beherrschenden Ressourcen, deren Komplexität auf einfache Kosten-Nutzen Abwägungen reduziert wird. Mehr und mehr dominieren industrielle Landwirtschaft, Massentierhaltung, massiver Bodenverbrauch etc. den gesellschaftlichen Bezug auf Natur.

Die gleichen Faktoren spielen eine wichtige Rolle im Entstehen von Krankheiten und Pandemien, denn sie schaffen Situationen, die die Übertragung gefährlicher Erreger von Tieren auf den Menschen massiv begünstigen. Genauso wenig wie die Klimakrise sind Pandemien einfach nur „Naturereignisse“ – vielmehr geht es um die Frage, wie das gesellschaftliche Verhältnis zu Natur gestaltet ist. So begünstigen etwa steigende Abholzung und abnehmende Biodiversität ganz unmittelbar die Übertragung von Krankheitserregern, die in der natürlichen Umwelt vorkommen, auf den Menschen, sowohl weil die Kontaktflächen zwischen „Wildnis“ und Menschen größer werden, als auch auf Grund steigender Dysbalancen in Ökosystemen.

Im Folgenden sollen die Zusammenhänge zwischen kapitalistischen Naturverhältnissen und Pandemien beleuchtet werden. Zunächst wird es um den Prozess der Übertragung von Viren von Tieren auf den Menschen gehen. Danach liegt der Blick auf historischen und neueren Pandemien, bevor am Ende Schlussfolgerungen gezogen werden.

Zoonose: von Tier auf Mensch

Viren sind keine „Killer“, die irgendeine Form von Vernichtungsstrategie im Schilde führen. Es sind vielmehr unbewusste infektiöse organische Strukturen, die sich unter für sie günstigen Bedingungen verbreiten. Um überleben und sich vermehren zu können brauchen Viren einen Wirt. Zwei zentrale Eigenschaften von Viren sind ihre Übertragbarkeit (wie leicht werden neue Wirte infiziert?) und ihre Letalität (Tödlichkeit, wie schnell tötet ein Virus seinen Wirt?). Viren verfügen über unterschiedliche Kombinationen dieser Eigenschaften, durch Mutation können sie sich verändern und gefährlicher (aber auch weniger gefährlich) werden. Hohe Letalität alleine macht aus einem Virus noch keine breite Bedrohung – ist die Übertragbarkeit niedrig oder sind nicht genügend neue Wirte in unmittelbarer Nähe vorhanden, stirbt der Virus mit dem Wirt, ohne sich zu verbreiten.

Wie andere Krankheitserreger auch sind Viren Teil von Ökosystemen der natürlichen Umwelt. Ob Viren Krankheiten auslösen und wenn ja welche, hängt vom befallenen Wirtstier (Art, Gesundheitszustand, Lebensumstände…) sowie den Eigenschaften des Virus ab. Viele ursprüngliche Wirtstiere, die Träger von Viren sind, erkranken gar nicht bzw. zeigen sie oft keine Symptome. Ein Beispiel dafür sind Fledertiere, die Träger und Reservoir vielfältiger Viren sind. Das liegt zum einen an ihrer schieren Anzahl: Fledertiere machen geschätzt rund ein Fünftel aller weltweit lebenden Säugetiere aus. Eine Rolle dürfte auch ihre spezifische Biologie spielen: während des Fliegens steigt die Körpertemperatur aufgrund der Anstrengung kurzfristig und schlagartig an, was sie gegenüber Krankheiten und Fieber weniger anfällig machen dürfte.

Eine Ausbreitung von Viren auf andere Arten ist erst möglich, wenn die Artenbarriere, die eine Form von natürlichem Verbreitungsschutz darstellt, erfolgreich übersprungen wird. Um sich vermehren zu können, müssen Viren in einzelne Zellen eindringen, wozu sie eine Art „Schlüssel“ benötigen – dieser ist je nach Tierart allerdings unterschiedlich. Um die Artenbarriere erfolgreich zu überspringen braucht es ein mutiertes Virus, das mit dem passenden Schlüssel zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Die weitere Verbreitung hängt von einer Reihe von Faktoren ab: Wie letal ist das Virus? Hat es rechtzeitig weitere neue Wirte derselben Art zur Verfügung? Entscheidend ist auch das Vorhandensein und die Funktionsfähigkeit von natürlichen Schranken (gutes Immunsystem, Gen-Diversität und Immunität der Wirtspopulation).

Ökosysteme und Medizin

Für die Verbreitung von Viren und die Auswirkungen, die sie mit sich bringen, ist also das ökologische Umfeld und deren Beschaffenheit von entscheidender Bedeutung – die unten angeführten Beispiele werden das nur zu deutlich zeigen. In anderen Bereichen der natürlichen Umwelt ist es nicht anders: dass sich der Borkenkäfer zu einer „Schädlingsplage“ und Bedrohung für das Ökosystem Wald entwickeln hat können, liegt nicht am Käfer selbst, sondern der Umwelt, in der er sich bewegt. Die Ursachen für Borkenkäferbefall liegen in den auf forstwirtschaftliche Nutzung zugeschnittenen Monokulturen, dem globalen Temperaturanstieg und steigender Trockenheit. Ökosysteme, die aus der Balance geraten, werden für Krankheiten und Schädlinge anfällig. Wenn es um die Bedrohung von Menschen durch Krankheiten geht, ist die Ausgestaltung der Naturverhältnisse also die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite der Medaille ist die medizinische Versorgung. Dabei spielen der Entwicklungsstand der Medizin (Impfungen, Medikamente, Hygiene, Ausrüstung…) sowie Zustand und Finanzierung des Gesundheitssystems (Anzahl von ÄrztInnen und Krankenhausbetten, Grad der Privatisierung, Einsparungen…) eine Rolle. Grundlegend wichtig für den Gesundheitszustand einer Bevölkerung sind die Lebens-, Arbeits- und Wohnbedingungen. Unter kapitalistischen Verhältnissen, in denen Medizin von privaten Pharmakonzernen dominiert wird, geht Reparatur allerdings vor Vorbeugung und Markterfolg vor Bedürfnisse. Der Fortschritt der Medizin ist bei weitem nicht der einzige und alles entscheidende Aspekt. Zum einen wird von Pharmafirmen nicht nach objektiven Notwendigkeiten, sondern auf Marktanalysen aufbauend geforscht – es geht darum Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln, die Profite bringen. Entsprechend kommen diese auch nur zum Einsatz, wenn sie von den Betroffenen bezahlt werden können. Zum anderen bräuchte es Lebensbedingungen, die nicht krank machen. An dieser Stelle schließt sich wiederum der Kreis zu den gesellschaftlichen Naturverhältnissen.

HIV, Ebola und Abholzung

In der neueren Geschichte stellt das HI-Virus, das nach Ausbruch die Immunschwäche-Krankheit AIDS zur Folge hat, die wohl tödlichste Pandemie dar. Seit seiner massenhaften globalen Verbreitung ab den 1980ern sind rund 30 Millionen Menschen daran gestorben, auch weil es in den ersten Jahrzehnten keine Behandlung gab und eine HIV-Infektion damals einem Todesurteil gleichkam. Die mit Abstand meisten Infizierten finden sich heute in afrikanischen Ländern, wo sowohl die medizinische Versorgungslage als auch die Prävention vielfach völlig mangelhaft sind. Zudem fehlt es an Medikamenten – die zwar existieren, aber patentiert sind und nur zahlungskräftige Nachfrage kennen.

Laut aktuellen Forschungsergebnissen dürfte HIV bereits Anfang des 20. Jahrhunderts vom Tier (wahrscheinlich Affen) auf den Menschen übergegangen sein – und dann vom SIV (simian immunodeficiency virus) zum HIV (human immunodeficeincy virus) mutiert sein. Diese Übertragung wird auf Zentralafrika, vermutlich im Gebiet des heutigen Kamerun, das damals unter deutscher wie französischer Kolonialherrschaft war, zurückverfolgt. Zur Ausbeutung der natürlichen Ressourcen (Holz, Gummi, Elfenbein…) wurden von den europäischen Mächten entlegene Gebiete mit Straßen und Eisenbahnen erschlossen und Plantagen in bisher isolierten Gebieten angelegt. Zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs für diese Vorhaben wurden lokale Bevölkerungen in Bewegung gesetzt, die nunmehr zwischen der einst „unberührten Wildnis“ und ihren Heimatdörfern und -städten mobil waren. Zur Deckung ihres Nahrungsmittelbedarfs waren zudem immer mehr Menschen auf Wildtiere als Nahrungsressource angewiesen. All diese Veränderungen schufen eine Situation mit vielen Kontaktflächen und Übertragungsmöglichkeiten. Erst mehrere Jahrzehnte später fand HIV seinen Weg über den Kongo und dann wahrscheinlich Haiti in die USA, wo es Anfang der 1970er auftrat und von wo aus es sich als Pandemie weltweit ausbreitete.

In dieser Erklärung des Ursprungs von HIV, die auf den Evolutionsbiologen Rob Wallace zurück geht, stehen die Veränderungen sozialer Verhältnisse und Brüche in Bezug auf Natur im Mittelpunkt der Betrachtung. Angesichts der Häufigkeit und Regelmäßigkeit mit denen Zoonosen stattfinden und sich dann zu Pandemien ausweiten, bedarf es einer solchen Erklärungsansatzes, der die strukturellen Voraussetzungen unter die Lumpe nimmt und nicht die Infektion des „Patienten 0“ als schwerwiegenden Zufall abtut. Dasselbe Muster lässt sich beim Auftauchen neuer Krankheitserreger und weiterer Pandemien feststellen.

Das wird auch am Beispiel von Ebola deutlich. 2014 kam es zu einem Ausbruch von Ebola in Westafrika, der rund 11.000 Tote forderte. Das Ebola-Virus ist bereits länger bekannt und zeigte sich ab den 1970ern in Zentralafrika immer wieder in Ausbrüchen. Diese waren in der Regel auf einzelne Dörfer in isolierten Gegenden begrenzt, aber auch häufig von Veränderungen in der Landnutzung vor Ort begleitet. Auch in Populationen von Menschenaffen kam es zu Ausbrüchen. Die hohe Letalität des Virus führte dazu, dass diese Ausbrüche zwar äußerst tödlich verliefen, aber lokal begrenzt blieben, da die meisten Wirte starben, bevor eine geographische Verbreitung stattfand.

2014 kam es in Westafrika dann jedoch zum Ausbruch einer Ebola-Epedemie. Es war nicht das Virus selbst, das sich entscheidend verändert hatte, sondern vielmehr war der Ausbruch auf Veränderungen in den lokalen Naturverhältnissen zurückführen – Rob Wallace spricht vom „neoliberalen Ebola“. In Westafrika existiert laut der Weltbank, die in ihrer Geschichte schon oft genug als Türöffner für Konzerninteressen gedient hatte, „eine der größten unternutzten landwirtschaftlichen Landreserven der Welt“. Nicht zufällig wurden in etlichen Ländern Westafrikas im Auftrag von Agrarkonzernen Regenwald in großem Ausmaß gerodet, um Platz für Palmölmonokulturen zu gewinnen, dazu kamen Minenprojekte und Holzgewinnung. Dabei entstanden zahlreiche Kontaktflächen zwischen sonst isoliert lebenden Wildtieren und Menschen. Mit den Rodungen drangen Menschen nicht nur immer weiter in isolierte Gebiete vor, die Palmölmonokulturen schufen für Fledertiere neue Lebensräume (mit sattem Nahrungsmittelangebot und ohne natürliche Feinde), in denen sich aber auch Menschen bewegten. Das in isolierten Gebieten vorkommende Virus war auf einmal bis an die Tore von Regionalstädten vorgedrungen. Zudem förderte die neokoloniale Landnahme bei Teilen der lokalen Bevölkerung die Armut, womit das Fleisch von Wildtieren zu einer essentiellen Nahrungsquelle wurde und nicht mehr nur gelegentlich konsumiert wurde.

Insgesamt gehen WissenschaftlerInnen davon aus, dass rund 30 Prozent der Infektionskrankheiten auf Landnutzungsänderungen wie die Abholzung von Regenwald zurückzuführen sind. Auch die Zunahme von Malaria steht in direktem Zusammenhang mit der Abholzung von Regenwald. Und an der US-Ostküste konnten ForscherInnen ebenso zeigen, dass sich in Folge von Abholzung und Fragmentierung von Wäldern kleine Nagetiere mangels Fressfeinden verstärkt ausbreiten konnten. Diese fungierten als Wirte der Lyme-Erreger, die über Zecken auf Menschen übertragen werden.

Grippe: Vögel, Schweine, Menschen

Ein andere Seite der industrialisierten Landwirtschaft – die Massentierhaltung – spielt für die Herausbildung und Verbreitung von Grippe- und Corona-Viren eine entscheidende Bedeutung. Unser Rückblick beginnt mit der sogenannten Spanischen Grippe, die am Ende des Ersten Weltkriegs weltweit bis zu 50 Millionen Todesopfer gefordert hat. Ihr Name geht darauf zurück, dass die unzensierte spanische Presse als erstes über die Krankheit berichtete. Ihren Ursprung dürfte die Krankheit ganz wo anders haben, nämlich auf einer Geflügelfarm in den USA, wo sich ein Farmer infiziert hatte. Als US-Soldat schleppte er das Virus nach Europa ein, wo es sich verbreitete und rund 2,5 Millionen Tote forderte. Die vielen Todesopfer sind nur vor dem Hintergrund von Mangelernährung, geschwächter Immunsysteme und mangelhafter medizinischer Versorgung zu erklären. Noch dramatischer als Europa traf es kolonialisierte Länder, vor allem Indien und Indonesien. Indische Soldaten kämpften im Ersten Weltkrieg im Dienste von Großbritannien in Europa und brachten das Virus danach in ihre Heimat, wo fünf Prozent der Bevölkerung (18 Millionen Menschen) in Folge der Spanischen Grippe starben – in Kombination mit Mangelernährung und geschwächter Immunabwehr. Im von den Niederlanden beherrschten Indonesien starben 1,5 Millionen Menschen am von den Soldaten eingeschleppten Virus. Die heute weit verbreitete Methode des „flatten the curve“ mittels Kontaktreduktion wurde übrigens bereits damals in der US-Stadt St. Louis erfolgreich erprobt – Erfahrungswissen, das über Jahrzehnte in Vergessenheit geriet.

Zu einiger Bekanntheit hat es der Ausbruch der „Vogelgrippe“ ab 2004 gebracht. Tatsächlich gab es nur ein paar hundert menschliche Todesopfer, Tiere (vor allem Vögel) wurden hingegen weltweit millionenfach getötet. Das H5N1-Virus ist potentiell dennoch auch für Menschen gefährlich und zudem ein Paradebeispiel dafür, welche Auswirkungen eine immer stärker industrialisierte Tierhaltung mit sich bringt. 1959 und 1991 kam es in Großbritannien zu sehr eingegrenzten Ausbrüchen von H5N1, was auch mit der damals minder pathogenen Form des Virus zusammenhängt. Ab 1996/7 tauchte das Virus schlagartig und massenhaft in Geflügel-Massentierhaltungen in Guangdong (China) auf, obwohl sich das Virus genetisch nicht wesentlich verändert hatte. In dieser Region in der Nähe Hongkongs und des Perlfluss-Deltas hatten sich aber große Veränderungen in der Landnutzung und Landwirtschaft vollzogen, wozu auch die Ausbreitung von Massentierhaltung zählte. Guangdong ist mit heute rund 115 Millionen EinwohnerInnen die am stärksten besiedelte Region Chinas, innerhalb von drei Jahrzehnten verdoppelte sich dort die Bevölkerung.

Während dem Ausbruch der Vogelgrippe 1997 wurden alleine in China 1,5 Millionen Hühner getötet. Allerdings mit nur kurzfristigem Erfolg. Ab 2003 kam es zu einer erneuten Ausbreitung, diesmal waren diverse Geflügelfarmen in verschiedenen Ländern Asiens und später auf der ganzen Welt betroffen. Es kam sogar zu Infektionen von Leoparden, Tigern und Hauskatzen, an die das rohe Fleisch verfüttert wurde. 2005 sprang das Virus auch auf Schweine über und verbreitete sich unter freilebenden Vögeln. Die geringe Zahl an menschlichen Opfern wird auf die niedrige Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch zurückgeführt – was sich mit einer Mutation des Virus aber ändern könnte.

Eine ähnliche Geschichte erzählt die „Schweinegrippe“-Pandemie in den Jahren 2009/10. Die Auswirkungen auf den Menschen waren jedoch ungleich gravierender: 155 Länder waren betroffen und es gab 18.000 bestätigte Todesfälle, Schätzungen gehen jedoch von 150.000 bis 575.000 Todesopfern aus. Dieser H1N1-Virus hat eine lange Geschichte, er hat sich unter Menschen und Schweinen mit der Spanischen Grippe 1918 etabliert. Ab 2009 verbreitete sich ein neuer Subtyp, weswegen von „Neuer Grippe“ gesprochen wird. Dieser dürfte von Schweinen aus Mexiko stammen. Grippeviren stammen ursprünglich von Vögeln, haben sich mittlerweile allerdings einen fixen Platz in der menschlichen Population und in anderen Tierarten ergattert. Dennoch bleiben die Viren gefährlich, weil sie sich verändern und mutieren können und damit auch Immunität und Impfstoffe weniger wirkungsvoll sein können. Als mögliches „Mischgefäß“ fungieren Schweine, da sich in ihnen neue Kombinationen von Gensequenzen aus bis zu vier verschiedenen Influenzaviren herausbilden können. Zum anderen besteht bei H1N1 die Möglichkeit, dass Schweine, Menschen, Truthähne und Enten sich immer wieder gegenseitig anstecken. Wenn sich durch Mutation die Letalität und Übertragbarkeit des Virus erhöht, sind gefährliche Pandemien möglich.

Die Bedingungen der Massentierhaltung schaffen das ideale Umfeld, um solche Entwicklungen zu ermöglichen, da alle natürlichen Übertragungsschranken beseitigt sind. Für Viren finden sich auf engstem Raum eine schier unendliche Zahl neuer Wirtstiere, wodurch auch Viren mit einer hohen Letalität, die ihr Wirtstier schnell töten, überleben. Da die Tiere genetisch sehr ähnlich sind, hat ein erfolgreiches Virus leichtes Spiel, sich auf die ganze Population auszubreiten. Zudem ist das Immunsystem dieser Tiere, die auf schnelles Wachstum und hohen Fleischanteil gezüchtet und permanentem Stress ausgesetzt sind, leichter für Krankheiten anfällig. Dem nicht genug, kann sich unter den Tieren keine Immunität entwickeln, da neue Tiere in der Regel extern zugekauft und nicht vor Ort gezüchtet werden. Diese profitorientierte Selektion verunmöglicht jegliche natürliche Anpassung an neue Krankheitserreger – umgekehrt bietet es den Viren beste und stabile Bedingungen, um sich zu entwickeln und zu verbreiten. Rob Wallace fasst die hier laufenden Prozesse im Titel seines Buches zusammen: „Big farms make big flu“. Es sind die industriellen Tierfabriken, die Produktionsmethoden und Infrastruktur im Interesse des Kapitals und auf Kosten der Gesundheit von Menschen, Natur und Tieren gestalten.

COVID-19: Pandemie mit Ansage

Der Virus, der im Frühjahr 2020 zu einer weltweiten Pandemie geführt hat, ist vom Typ der Corona-Viren und wird als SARS-CoV-2 bezeichnet. Auch hier gibt es eine Vorgeschichte. Bereits 2002 wurde SARS-CoV entdeckt, das 2002/03 zu einer Pandemie mit rund 8000 Infizierten (vor allem in China) und 800 Todesopfern geführt hat. Sein Ursprung dürfte, wie beim H5N1, auch in Guangdong liegen. Rund zehn Jahre später tauchte auf der Arabischen Halbinsel das MERS-CoV auf, ebenfalls eine Variante eines Coronavirus. Als Ursprung gelten auch hier Fledermäuse, von denen das Virus über Dromedare auf den Menschen übertragen wurde. Die schwache Übertragung von Mensch zu Mensch hat zu einer nur relativ geringen Verbreitung geführt. Bis Februar 2020 gab es weltweit rund 2.500 Infizierte und 860 Tote.

Das aktuelle SARS-CoV-2 ist dem ursprünglichen SARS-Virus sehr ähnlich, zeichnet sich aber durch eine leichtere Übertragung von Mensch zu Mensch aus. Auch wenn die Letalität des Virus niedriger als bei seinen Vorgängern ist, führt die hohe Übertragbarkeit und die damit hohe Zahl an Infizierten zu vielen Todesopfern (in absoluten Zahlen). Dieser ausgewählte Blick auf die Coronaviren macht auch deutlich, dass sich ein roter Faden bis hin zur heutigen Pandemie zieht. Von diversen ExpertInnen bis hin zur WHO wurde vor dieser Gefahr gewarnt. Die ganze Zeit über war die Frage nicht ob, sondern wann es zu einem solchen Ausbruch kommen wird: die strukturellen Rahmenbedingungen sind ein idealer Rahmen für gefährliche Zoonosen – und werden es unter kapitalistischen Verhältnissen auch bleiben. SARS-CoV-2 war das Virus mit dem passenden Schlüssel und den passenden Eigenschaften zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Es wird davon ausgegangen, dass SARS-CoV-2 von Fledermäusen stammt und über einen Zwischenwirt (vermutlich ein Pangolin) auf einem Wildtiermarkt in Wuhan auf den Menschen übergegangen ist. In manchen Erklärungen werden die „exotischen“ Nahrungsmittel in China und das Problem mangelnder Hygiene auf den Wildtiermärkten für die Pandemie verantwortlich gemacht. Aber auch hier ist es notwendig die strukturellen Ursachen in den Blick zu nehmen. Das kapitalistische Wachstum in China hat die Entstehung großer industrieller Tierfarmen gefördert. Kleine Tierhaltungsbetriebe gerieten zunehmend unter Druck und waren gleichzeitig Prozessen der Industrialisierung in der Tierhaltung ausgesetzt. Dieser Verdrängungsprozess schlug sich auch geographisch nieder.

Verallgemeinert sieht dieser Zusammenhang, der auch in anderen Kontexten auftreten kann, so aus: Kleine Betriebe siedeln sich in der Nähe von bisher isolierter „Wildnis“ an, was Kontaktflächen und damit Übertragungsmöglichkeiten erhöht. Gleichzeitig geht Lebensraum für Wildtiere verloren, was verschiedene Populationen näher zusammenbringt und so Übertragungen unter ihnen – nun auch von einst isoliert lebenden Populationen – begünstigt. Wildtiere, die gefangen werden, sind mögliche Wirte potentiell gefährlicher Viren. Die Verarbeitung der Tiere in Fabriken und ihr Verkauf auf Wildtiermärkten bringt das Virus in ein dicht besiedeltes, urbanes Umfeld.

Die Überträgertiere der Coronaviren stammten vermutlich nicht aus einem Massentierhaltungsbetrieb, es waren aber gerade die Prozesse der Industrialisierung von Nahrungsmittelproduktion durch Großunternehmen, die die strukturellen Voraussetzungen für solche Übertragungen massiv beförderten. Coronaviren kommen in verschiedensten Varianten bei Tieren, vor allem Fledermäusen, vor – die Ausgestaltung der Naturverhältnisse ist dafür entscheidend, wie viele Kontaktflächen es gibt und welche Möglichkeiten zur Übertragung und Entwicklung ein Virus damit hat.

Keine Zufälle, sondern kranke Verhältnisse

Das Abtun solcher Ausbrüche als „Naturereignisse“ oder schwerwiegende Zufälle verstellt den Blick auf die strukturellen Gründe, die dahinterstecken. (Auch abseits von kruden Verschwörungstheorien gibt es Überlegungen dazu, dass SARS-CoV-2 aus einem chinesischen Labor stammt. Dabei muss es sich aber nicht um versteckte Geheimpläne zur biologischen Kriegsführung handeln, denn auch in anderen Ländern wird in Laboren mit gefährlichen Erregern geforscht und auch in Hochsicherheitslaboren passieren Unfälle. Wie dem auch sei, stellen die strukturellen Gründe, die Zoonosen mutierter Viren und anderer Erreger der natürlichen Umwelt massiv begünstigen, eine grundlegende Bedrohung dar). Wie ein roter Faden ziehen sich industrielle Landnutzung und Landwirtschaft sowie die Massentierhaltung durch die jüngere Geschichte von Pandemien – dahinter stehen letztlich gesellschaftliche Naturverhältnisse unter kapitalistischen Vorzeichen. So gesehen ist auch die COVID-19 Pandemie nicht einem Zufall geschuldet – sie wird damit auch sicherlich nicht die letzte massive Bedrohung von Menschen durch Krankheitserreger aus der natürlichen Umwelt sein. Gerade die laufende Zuspitzung der ökologischen Krise und des Klimawandels wird diese Gefahren noch verstärken.

Teil III zeichnet die tiefen Verbindungen zwischen Pandemien und Kapitalismus nach und wirft einen Blick auf die Auswirkungen des Klimawandels auf mögliche künftige Pandemien. Ebenso wird es um die Grenzen von Medizin und Technik unter kapitalistischen Verhältnissen und ökosozialistische Perspektiven gegen die vielfältige Zerstörungskraft des Kapitalismus gehen.