Das Jahresende erlaubte ein paar Träume: Die ersten Impfstoffe gegen Covid-19 waren in unglaublich kurzer Zeit einsatzbereit. Eine sichere Impfung könnte die nötige Immunisierung eines Großteils der Bevölkerung bringen, Kontakte wieder ermöglichen, die Zahl der Erkrankten minimieren und die Beschäftigten in den Krankenhäusern entlasten. Aber dieses Wettrennen um den Corona-Impfstoff ist auch eine Lektion in Sachen Kapitalismus und was mit diesem Wirtschaftssystem nicht stimmt.
Es geht um Gewinne, nichts Neues, so kennen wir die Pharmabranche. Wenn es um Krankheiten wie Malaria geht, haben sie bislang keinen vergleichbaren Ehrgeiz gezeigt. Heute räumen Wirtschaftsvertreter*innen vereinzelt ein, dass seit dem SARS-Ausbruch 2002 mehr in die Erforschung der Corona-Viren hätte investiert werden sollen. Danke für diese Erkenntnis, sie hat Menschenleben gekostet.
Wer ist ganz vorne beim Wettrennen dabei?
In der EU ist mit Stand Anfang Januar der Impfstoff von BioNTech zugelassen. Er basiert auf einer neuen Technologie auf mRNA-Basis. BioNTech ist ein bislang kleines deutsches Biotechunternehmen mit Sitz in Mainz. Es ist seit zwei Jahrzehnten in der Pharmaforschung aktiv, vor allem in der Erforschung von Krebstherapien auf der Basis der mRNA-Technologie. BioNTech ist eine Kooperation mit dem US-Unternehmen Pfizer, einem der größten Pharmariesen der Welt, und dem chinesischen Unternehmen Fosun Pharma eingegangen.
Anfang Januar ist auch der Impfstoff des US-amerikanischen Unternehmens Moderna in der EU zugelassen worden. In den USA und Großbritannien wird mit diesem Impfstoff schon geimpft. Auch der Impfstoff von Moderna basiert auf mRNA-Technologie.
Auf den Zielgeraden sind außerdem das schwedisch-britische Unternehmen AstraZeneca (in Kooperation mit der Universität Oxford) und Johnson & Johnson aus den USA mit Impfstoffen, die nach den herkömmlichen Methoden hergestellt werden. Weitere Unternehmen haben Zulassungen in anderen Teilen der Welt oder stehen kurz davor.
Mit Stand Anfang Januar 2021 sind 244 Corona-Impfstoffprojekte bekannt. Im Dezember 2020 war von 446 Wirkstoffkandidaten zur Behandlung von Covid-19 die Rede. Praktisch alle Großen der Pharmabranche sind beteiligt. Alle versuchen beim Wettrennen vorne dabei zu sein.
Konkurrenz bleibt
Aber unter kapitalistischen Bedingungen ist genau das ein Hindernis: Man fragt sich, warum nicht alle diese Unternehmen offen zusammenarbeiten? Warum sind Studiendaten und Wirkstoffkombinationen nicht jederzeit für alle offen zugänglich? Die Impfstoffentwicklung gegen Covid-19 verlief zwar schon außergewöhnlich schnell im Vergleich zur Vergangenheit, aber wieviel schneller ginge es, einen wirksamen und sicheren Impfstoff zu entwickeln, zu produzieren und zu verteilen, wenn stets alles Wissen auf dem Tisch läge und frei genutzt werden könnte?
Sowas ist unvorstellbar im Kapitalismus. Zwischen den Konzernen herrscht unerbittlicher Wettbewerb. Es geht um Patente, „geistiges Eigentum“ und Gewinne. Die kapitalistischen Regeln werden auch in diesen Krisenzeiten nicht außer Kraft gesetzt. Den Ersten, die einen wirksamen Impfstoff vorweisen können, winken ein gigantischer Markt, enorme Gewinne mit dem Impfstoff und Wissen, das sich für andere Impfstoffe und Therapien zu Geld machen lässt.
Es droht Profit-Adipositas
Es geht jetzt und die nächsten Jahre um Milliarden Impfdosen weltweit. Schon im Sommer 2020, als noch unklar war, welche Impfstoffe das Rennen machen werden, haben die Industriestaaten und die EU jeweils Lieferverträge mit den Pharmafirmen über Milliarden an Impfdosen abgeschlossen.
Die Verhandlungen und Inhalte der Lieferverträge sind größtenteils geheim. Und so erfuhr man nur durch einen Zufall, wie groß die Preisspannen sind. Die EU soll mit BioNTech 12 € pro Impfdosis vereinbart haben, mit Moderna 15 €, mit AstraZeneca 1,78 €. AstraZeneca hat früh zugesichert, keine Gewinne machen zu wollen. In diese „Großzügigkeit“ haben sie sicher künftige Geschäfte eingepreist. Israel soll an BioNTech 23 € für eine Dosis bezahlt haben… Wer bekommt was, in welcher Menge und wie schnell? Alles eine Frage des Preises, das ist nachvollziehbare kapitalistische Logik.
Wall-Street-Analyst*innen kalkulierten im Dezember, dass Pfizer und Moderna allein in diesem Jahr 32 Milliarden Dollar mit dem Covid-19-Impfstoff machen werden. Das ist on top zu dem, was schon letztes Jahr damit verdient wurde und 2022 und 2023 noch kommen wird. Pfizer wird sich den Gewinn mit BioNTech teilen.
Investor*innen sehen aber auch die Potentiale für viele weitere Impfstoffe und Therapien, die auf der neu und massenhaft angewendeten mRNA-Basis auf den Markt kommen könnten. Die Ergebnisse aus dem Corona-Wettrennen sind wahrscheinlich ein Schub für die Pharma- und Biotechbranche. Sie könnten ein Segen für die Menschheit sein… Doch stattdessen lassen sich die beteiligten Firmen jeden Schritt in der Herstellung der Impfstoffe patentieren und halten die Hand drauf. Das ist der Zynismus kapitalistischer Verhältnisse.
Lässt sich dieses profitorientierte Gebaren mit hohen Entwicklungskosten und wirtschaftlichen Risiken rechtfertigen? Die Staaten spielen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung und Produktion der Covid-19-Impfstoffe. Deutschland hat alleine 750 Millionen € direkt für Forschung an BioNTech und die beiden anderen deutschen Unternehmen IDT und Curevac zur Verfügung gestellt. Bei Curevac stieg die Bundesrepublik zudem für 300 Millionen € zur Unterstützung ein.
Die USA haben das Programm „Operation Warp Speed“ aufgelegt, aus dem bereits viele Milliarden an verschiedene Unternehmen für Forschung und Produktion geflossen sind. Es ist in der Pharmabranche üblich, dass Forschung und Entwicklung mit öffentlichen Geldern finanziert werden; sei es über Subventionen, Öffentlich-Private-Kooperationen oder weil die Grundlagenforschung ohnehin an den Universitäten läuft.
Ein Rennen, bei dem die ärmeren Länder den Kürzeren ziehen
Die reichen Industriestaaten, die 14 % der Weltbevölkerung ausmachen, haben sich bereits mehr als die Hälfte der nach aktuellem Stand potentiell lieferbaren Impfdosen gesichert.
Der Präsident der Afrikanischen Union beklagte jüngst, dass Pfizer/BioNTech gerade mal 50 Millionen Dosen für Krankenhausbeschäftigte nach Afrika zwischen März und Jahresende (2021!) liefern will. Moderna wird demnach erstmal nicht an afrikanische Länder liefern, bislang auch nicht AstraZeneca, jedenfalls nicht dieses Jahr, womöglich könnte ein indischer Lizenznehmer was schicken…
Für viele ärmere Staaten ist ungewiss, ob und wann es Impfungen geben wird, falls sie das überhaupt bezahlen können. Eine Studie vom letzten Dezember kommt zu dem Ergebnis, dass die Impfplattform COVAX der Weltgesundheitsorganisation gerade mal 500 Millionen Dosen für weltweite Impfkampagnen sichern konnte. „Patente blockieren die Produktion, ermöglichen hohe Preise und riskieren die Versorgung von Menschen gerade in den ärmeren Ländern“, so die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“.
COVAX, diverse NGOs und Staaten haben bereits zig Appelle an die Großmächte und Pharmaunternehmen gerichtet, ohne Erfolg. Es fehlt nicht an Gesetzen und internationalen Abkommen, die es ermöglichen, im Fall einer weltweiten Pandemie die Pharmaunternehmen zur Offenlegung von Wissen und Vergabe von Lizenzen zu zwingen.
Aber die Großmächte lehnen das ab. Auch Deutschland! Deutschland ist zwar bereit, ein paar hundert Millionen für die weltweite Verteilung von Impfstoffen zur Verfügung zu stellen. Auch die Pharmaunternehmen sind ein bisschen bereit für Lieferungen… irgendwann. Aber das ist erstens ein Tropfen auf den heißen Stein und zweitens gibt es – bislang – nicht genug zum Verteilen!
Zur Bekämpfung der Pandemie: Offenlegung aller Daten und Entzug der Patente!
Offensichtlich sind jetzt die Produktionskapazitäten ein Problem. Selbst für ein so reiches Land wie Deutschland zeigt sich das.
Angenommen, das Wissen um die Wirkstoffkombinationen und den Herstellungsprozess der Impfstoffe wäre frei verfügbar und nutzbar, könnten dann nicht schneller weltweit größere Kapazitäten aufgebaut und damit die Pandemie so schnell wie nur möglich bekämpft werden? Aber wenn sich beispielsweise BioNTech jeden Schritt der Impfstoffproduktion patentieren lässt, dann haben sie weltweite Exklusivität. Indem sie auf ihren Patenten bestehen, behindern sie so die Bekämpfung der Pandemie.
Sicher, Impfstoffproduktion und Verteilung sind alles andere als trivial. Aber BioNTech hat erst im September eine Fabrik von Novartis im Pharma-Speckgürtel von Marburg aufgekauft und stellt nun in Rekordzeit die Produktion um. Angenommen, das fände so schnell an vielen Ort der Welt statt…
Der Entdecker des Polio-Impfstoffs erklärte seinerzeit, dass dieser den Menschen gehören soll. Es gäbe kein Patent. „Könnte man die Sonne patentieren?“, fragte er.
Die Gier nach Gewinnen – eine kapitalistische Pandemie, die auch besiegt werden muss
Die Pharmabranche gehört zu den profitabelsten Branchen. Ein Journalist des Handelsblattes meint zu den Renditen, also den Gewinnen aus investiertem Kapital: „Oh, die sind deutlich, ja wirklich deutlich höher als in anderen Branchen. Also das habe ich mir die letzten Jahre schon angeschaut, also lange vor COVID-19. Also Nettoumsatzrenditen von 20, ja sogar 30 Prozent sind keine Seltenheit. Also das bedeutet nichts anderes, als dass bei Pharmakonzernen oft 20 oder 30 Prozent vom Umsatz als Reingewinn, wirklich als Reingewinn übrigbleibt.“
Zum Vergleich: Man geht davon aus, dass in der sehr profitablen Automobilbranche die Umsatzrenditen in normalen Zeiten unter 10 % liegen. Die 10 größten Pharmaunternehmen machten 2019 einen Reingewinn von 106 Milliarden Dollar.
Seit einigen Jahren ist eine deutliche Verschiebung zu neuen und sehr teuren Medikamenten zu sehen, die sehr großen Einfluss auf den Umsatz haben. Die Pharmabranche setzt stark auf sogenannte Blockbuster.
Auch neue Krebstherapien und Arzneimittel gegen seltene Krankheiten („Orphan Drugs“) spielen eine zentrale Rolle. Wegen der Patente haben die Unternehmen faktisch das Recht, die Preise bei Markteinführung zu bestimmen. Und was die Konzerne da betreiben, ist schamlos und nur auf Extraprofite ausgerichtet. Eine internationale Studie der Universität Zürich kam Anfang 2020 zu dem Schluss, dass „es keinen Zusammenhang zwischen dem klinischen Nutzen und den Kosten eines [Krebs-]Medikamentes gibt.“
Auch der Einfluss der Pharmaindustrie auf Studien und Normwerte mit dem Ziel, möglichst viel an Medikamenten mit langer Einnahmezeit verkaufen zu können (z.B. bei Blutdruck- und Cholesteriensenkern), ist bekannt.
Nebenwirkungen von Therapeutika werden heruntergespielt. Die Medikamentenskandale nehmen kein Ende.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bringen immer wieder großartige Erkenntnisse und Therapien hervor. Aber die Profitgier der Unternehmen gefährdet Gesundheit und Leben der Menschen weltweit. Was für ein Alptraum. Die Forschung und Produktion in die Hände der Bevölkerungen, das ist vielleicht – noch – ein Traum, aber einer, der unbedingt real werden muss.
Mehr zur Pharmaindustrie findet ihr hier: