Mit neuem Schwung gegen Macrons Rentenreform

Er hatte es angekündigt, und nun geht Macrons großes Projekt der Rentenreform tatsächlich in eine neue Runde. Es sollte eines der großen Reformprojekte seiner Regierung werden, schon als er 2017 sein Amt antrat. 2019 war es dann so weit.

Doch seit 2016 hatte es in Frankreich immer wieder mehr oder weniger große Bewegungen gegeben: gegen die Arbeitsrechtsreform 2016, ein Bahnstreik gegen die Teilprivatisierung, die Studierendenbewegung von 2018 und natürlich auch die Gelbwestenbewegung, die ihren Anfang im Dezember 2018 fand. Diese aufeinanderfolgenden Protestwellen führten zum einen dazu, dass Macron seine Rentenreform immer wieder verschieben musste und zum anderen auch zu einer Emanzipation der Arbeiter:innen gegenüber den Gewerkschaften. Gerade nach den Gelbwesten wollte man die eigene Bewegung kontrollieren und sich nicht dem Willen der Gewerkschaftsführungen beugen. Und man hatte auch gelernt, dass das funktionieren konnte.

So gingen die Menschen zu Zehntausenden auf die Straßen im Dezember 2019. Bei Bahn und Pariser ÖPNV kam es zu unbefristeten Streiks, die zum längsten Bahnstreik der Geschichte Frankreichs werden sollten.

Doch wieso das Ganze eigentlich?

Was sind das für Pläne, die in Frankreich das Potenzial zum Vorschein bringen, das ganze Land lahmzulegen?

Im Prinzip ist von den Reformplänen von 2019 nicht mehr viel übrig – doch Kern bleibt nach wie vor die Anhebung des Renteneintrittsalters. Das liegt im Moment bei 62 Jahren und soll nun auf 64 angehoben werden. Allerdings nur, wenn man zu diesem Zeitpunkt schon 43 Jahre in die Rentenkassen eingezahlt hat, hat man dann vollen Anspruch auf die Bezüge. Wenn dies nicht der Fall ist, dann muss man noch drei Jahre länger arbeiten und darf schließlich mit 67 in Rente gehen.

Der Grund dafür ist schlicht und ergreifend, Geld einzusparen, und das eben auf dem Rücken der Arbeiter:innen, die ihr Leben lang gearbeitet haben – um nun auch noch um eine angemessene Altersabsicherung kämpfen zu müssen. Und hier zeigt sich auch, wieso die Bewegung und der Kampf um die Rentenreform so breit ist. Denn natürlich kommen wir alle irgendwann in ein Alter, in dem wir nicht mehr arbeiten können und wollen sowieso nicht. Doch das ist es nicht allein. Es geht um mehr als nur um die Rente. Es geht um Löhne, die nicht mehr steigen im Angesicht einer Inflation, die sie de facto sinken lässt. Denn höhere Löhne bedeuten natürlich auch höhere Renten.

Es geht um das immer radikalere Einstampfen der letzten, in großen sozialen Protesten erkämpften sozialen Sicherungssysteme des kapitalistischen Staates. Dagegen hält Macrons Regierung das Argument, dass man länger arbeiten müsse, wenn man länger lebt. Das ist allerdings haarsträubender Unfug; und zwar weil Arbeit im kapitalistischen System sehr ungesund bis tödlich sein kann. Und die Ideen dieser Reform widersprechen auch der Realität: Nur etwa die Hälfte der über 55-Jährigen in Frankreich arbeitet noch, viele sind arbeitsunfähig oder in Frührente. Viele sind auch arbeitslos und finden einfach keine Jobs mehr – weil sie, und das ist ja das Absurde, zu alt sind.

Die Proteste von 2019/2020 sind in die Ferne gerückt. Fest steht jedoch, durch die monatelangen Streiks und Demonstrationen – und schließlich den Beginn der Corona-Pandemie – konnte Macron seine Reformwünsche damals nicht umsetzen. Das muss als ein Sieg der Bewegung in Erinnerung gerufen werden.

Nach der Verkündigung der neuen Pläne am 10. 1. 2023 nahmen wieder die Gewerkschaften die Ruder in die Hand – diesmal alle gemeinsam, einschließlich der macronistischen CFDT, die den letzten Reformversuch noch unterstützte. Nun riefen sie zu Protesten auf und gemeinsam versammelten sie am 19. 1. 2023 frankreichweit über 2 Millionen Menschen auf Demonstrationen. Am zweiten Streiktag, dem 31. 1., also knapp zwei Wochen später, sogar nochmal mehr. Über 250 Demonstrationen fanden frankreichweit statt. „Macron sollte auf der Hut sein – ein Funke genügt“, sagt Bernard Sananès, Chef des Meinungsforschungsinstituts Elabe. Und nicht nur er sagt das, sondern die Millionen Französ:innen auf den Straßen schreien es heraus. Denn es ist nicht nur Widerstand gegen diese eine Reform, sondern gegen Macron und seine neoliberale Politik der Reichen, die die Menschen nicht mehr ertragen wollen.
Noch ordnen sich die Proteste den Gewerkschaften unter, die Streikbereitschaft ist hoch, doch finden die Arbeitsniederlegungen meist noch nur an den Aktionstagen statt. Doch ein Anfang ist gemacht, mit Streiks bei der Bahn, im Energiesektor, an den Häfen, in den Schulen und auch im Privatsektor. Die Versammlungen und Streikkomitees könnten zurückkommen und die Streiks wieder unbefristet werden, um diesem Symbol von Macrons Politik für die Bosse Einhalt zu gebieten, denn beim letzten Mal haben sie nicht verloren.

Rente in Deutschland: Verschlechterung mit Ansage

Wenn man in den letzten Wochen in der deutschen Presse die Nachrichten aus Frankreich verfolgt hat, so begegneten einem häufig die Argumente, hier wäre die Rente ja auch ab 67 und man könne damit leben. Doch das stimmt so gar nicht. Seitdem die schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters 2007 beschlossen wurde, sieht nun, da die Rente ab 67 tatsächlich näher rückt, die Realität allerdings anders aus: Die Zahl der Frührentner:innen steigt. Schon 2011 lag die Quote der Menschen, die unter dem Eintrittsalter in Rente gingen, bei 47,5 % und die Tendenz steigt. Das liegt zum einen daran, dass man Langzeitarbeitslose so vom Arbeitsmarkt nimmt, zum anderen an Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können, sowie an Menschen, die bereit sind und es sich leisten können, gegen Verluste früher in Rente zu gehen. Gleichzeitig steigt aber auch der Anteil der Menschen, die neben der Rente weiterhin erwerbstätig bleiben: 2022 lag er bei 13,5 %. Bundeskanzler Scholz kündigte Anfang des Jahres an, er wolle dafür sorgen, dass die Menschen künftig wieder bis zum Renteneintrittsalter arbeiten. Die nächsten Reformen am Rentensystem klopfen also auch hier an der Tür: Und ja, es zeigt sich deutlich, dass das jetzige System so nicht funktioniert. Doch wir müssen gemeinsam gegen die Klagen von „Fachkräftemangel“ und „demographischem Wandel“ stehen und kämpfen – für eine Rente nach unseren Bedürfnissen!

Pensionen in Österreich: Konstante Verschlechterungen

In Österreich hat es in den letzten Jahrzehnten diverse Angriffe auf das Pensionssystem gegeben. 2003 gab es unter der rechten ÖVP-FPÖ-Regierung eine Reihe von Verschlechterungen, um das reale Pensionsantrittsalter anzuheben und Geld zu sparen – durch Abschläge, Verschärfungen bei Voraussetzungen und Veränderung der Durchrechnungszeiträume (welche  Zeiten niedrigerer Verdienste einberechnet werden). Gegen diese „Reform“ gab es mit die größten Streiks und Demonstrationen der österreichischen Geschichte. Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) war aber – wie sonst auch – zu keinem ernsthaften Kampf bereit und beendete die gut mobilisierte Bewegung nach einem symbolischen
Aktionstag.

Für viele Arbeitende wurde und wird es zunehmend schwieriger vor 65 in Pension zu gehen, gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit von Menschen über 50 Jahren an. Viele Unternehmen entledigten sich ihrer „zu teuren“ älteren Mitarbeiter:innen zugunsten von billigeren und „fitteren“ jungen. Statt in Frühpension gehen zu können, sollten die Reformen jene dazu zwingen, in unbeliebten Branchen schlecht bezahlte Jobs zu besetzen. Mit 1. Jänner 2024 startet zudem die Angleichung des Pensionsantrittsalters von Frauen (derzeit 60 Jahre) an das von Männern (65 Jahre).

Aktuell herrscht in unzähligen Branchen ein großer Arbeitskräftemangel, auch aufgrund einer großen Pensionierungswelle. Als „Lösung“ wird diskutiert, Arbeitende später in Pension zu schicken oder aus der Pension zurück zu holen. Passend hat die Regierung beschlossen, die geblockte Altersteilzeit (öffentlich geförderte Möglichkeit des früheren Pensionsantritts bei reduziertem Gehalt) abzuschaffen. Was tatsächlich fehlt sind höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und die Perspektive auf einen abgesicherten Ruhestand.

Maria Brücke, Berlin