Die durch die wirtschaftlich heikle Situation ausgelöste Wut bei französischen ArbeiterInnen gipfelt derzeit in einem neuen Volksport, dem "Bossnapping". In der Bevölkerung gibt es viel Sympathie und auch die Führung der Sozialdemokratie muss auf den Druck der Klassenkämpfe reagieren. Immer häufiger müssen ManagerInnen von grossen Firmen damit rechnen, von ihren Beschäftigten eingesperrt zu werden, wenn Stellenabbau oder gar Werkschliessungen angekündigt werden. Die Geiselnahme von zwei Managern des US-Autozulieferers Molex, um gegen die für Juni angekündigte Schliessung und dem damit einhergehenden Verlust von 283 Stellen zu protestieren, beschreibt nur ein Beispiel unter vielen, die zeigen, wie sich das Unbehagen innerhalb der französischen ArbeiterInnenklasse zugespitzt hat. Statt Investitionen in den Standort vorzunehmen, wurde beschlossen Jobs in die USA und nach China auszulagern. Die ArbeiterInnen von Molex fühlen sich hintergangen und forderten deshalb eine Entschädigung von rund 100 Millionen Euro.
Auf Molex folgten weitere Geiselnahmen beim US- Mischkonzern 3M, beim ebenfalls amerikanischen Baumaschinenhersteller Caterpillar, dem britischen Klebebandhersteller Scapa sowie beim französischen Autozulieferer Faurecia.
Auch die bürgerlichen Reihen bleiben von derartigen Aktionen und den Klassenkämpfen insgesamt nicht unberührt und sind in Anbetracht der Unruhen gezwungen Stellung zu nehmen. Unter Druck der ArbeiterInnenklasse meldete sich unlängst auch Segolene Royal zu Wort und machte einmal mehr deutlich, welche Lösungen die Sozialdemokratie für den krisengeschüttelten Kapitalismus bereit hält.
In einem Interview mit der französischen Wochenzeitschrift Journal du Dimanche, betonte sie, dass es die ArbeiterInnen seien, welche von ihren Chefs betrogen und belogen werden, bevor dann schliesslich der Rausschmiss aus ihren Betrieben folgt. Da fallen Begriffe wie „ tiefgreifende Anarchie“, da ist die Rede von kriminellen Arbeitgebern und Empörung über den Zwang sich einem „ungerechten Chaos“ unterwerfen zu müssen.
Ja, Madame Royal fühlt sich in die Zeiten des Ancien Régime zurückversetzt und da darf man auch als ehemalige Spitzenkandidatin der SozialdemokratInnen die Frage aufwerfen, ob die derzeitige Krise des Kapitalismus und die Situation in französischen Betrieben vielleicht eine Rückkehr zum Klassenkampf mit sich bringt. Wer weiss? Leisten kann sie sich diese Aussage allemal im Hinblick auf die grosse Zustimmung der französischen Bevölkerung zum Thema Bossnapping. Das Meinungsforschungsinstitut CSA fand heraus, dass 45 Prozent der Befragten die Methode „ Bossnapping“ akzeptabel finden und 63 Prozent verstehen, warum die ArbeiterInnen zu derartigen Massnahmen greifen.
Auch die Bourgeoisie ist sich des Risikos von Gewalt und Revolte bewusst, Royals Aussagen über mögliche soziale Aufstände unterscheiden sich keinen Deut von denen des Grand Etablissements der Bürgerlichen, zu denen sie zweifellos gehört. Sie machte deutlich, dass sie soziale Unruhen weder „prophezeie„noch sich einen Aufstand herbeiwünsche.
Bei den gelegentlichen und immer auch gleich sorgfältig wieder relativierten Einsprengseln von Verbalradikalismus darf daher nicht vergessen gehen, welche objektive Funktion die Sozialistische Partei Frankreichs gespielt hat, spielt und spielen wird: die Lohnabhängigen an den Verhandlungstisch zu zerren, wo im „vernünftigen Dialog“ gut sozialpartnerschaftlich dafür gesorgt werden kann, dass es bestenfalls bei der bestehenden sozialen Misere bleibt (wo aus diesen Geheimverhandlungen nicht gleich handfeste Verschlechterungen der Situation der ArbeiterInnen erwachsen). Wer hier also, weil es gerade opportun erscheint, auf die Bosse schimpft, hat sich gleichzeitig immer schon als deren Vollzugsgehilfe betätigt und wird bei dieser Rolle bleiben.
Auch wenn die Geiselnahmen grosse Zustimmung gefunden haben und ihre Effizienz für den Moment beweisen, müssen langfristige, systemüberwindende Lösungen her. Die ArbeiterInnen müssen sich organisieren und längere Betriebsbesetzungen durchführen. Streiks müssen international sein und dürfen nicht, wie das momentan oft der Fall ist, einer Standortlogik folgen.