In der brasilianischen Metropole prallen die sozialen Gegensätze knallhart aufeinander. Oft befinden sich zwischen den Residenzen der „Reichen und Schönen“ und dem Elend der SlumbewohnerInnen nur wenige Meter. Unter dem Deckmantel des Umweltschutzes wird nun eine 13 Mio. Euro (!) teure, 11km lange und 3m hohe Betonmauer errichtet, die die BewohnerInnen der Favelas wegsperrt.
Soziale Gegensätze
„Surfer, sonnenhungrige Touristen und braungebrannte Schönheiten treffen sich in Party-Laune am Strand. Samba und Bossa Nova-Rhythmen klingen aus den Straßencafés der Stadt des Karnevals.“ So platt und klischeehaft wird die südamerikanische Megacity in einem Reiseführer angepriesen. Doch die Realität spricht eine andere Sprache. Brasilien ist eines der Länder mit der ungleichsten Verteilung von Einkommen und Besitz. Das koloniale Erbe im Gepäck wiegt schwer. In den Slums in und um Rio prägen mafiöse Banden und die brutale und ebenso korrupte Militärpolizei das Bild der Stadt. Leidtragende dieser Verhältnisse sind die mehr als 3 Millionen EinwohnerInnen Rios, denen die Favelas zur Heimat wurden. Nun lässt die Stadtregierung Rios mit dem Vorschlag aufhorchen umdie Armutsvierteln eine Mauer aufzuziehen.
Die offizielle Mauer: Und plötzlich wird die Umwelt wichtig…
Rio de Janeiro beherbergt heute ca. 13 Millionen EinwohnerInnen. Landflucht und damit der Zuzug von Massen an verarmten Teilen der ländlichen Bevölkerung führte zu den klassischen Problemen einer solchen Megacity. Es fehlt an sanitären Einrichtungen und sauberem Trinkwasser. In der ständig wachsenden Stadt boomt auch der Verkehr mit all seinen negativen Auswirkungen für die Luftqualität. Dass nun die Stadtregierung Rios die Ausbreitung der Slums in die grünen Hügeln um die Stadt als wichtiges Umweltproblem erkannt hat, wirkt absurd. Generell ist die Abholzung des Regenwaldes in Brasilien natürlich ein zentrales Thema für den Umweltschutz – das steht nicht zur Debatte. Ebenso stimmt es, dass in den letzten 3 Jahren durch die Ausbreitung des Slums 200 Hektar Regenwald zerstört wurden. Doch die sich bereits im Bau befindliche Mauer als ein Umweltschutzprojekt zu klassifizieren, ist verlogen und dreist. Die Vorstellung, dass sich die Ausbreitung der Favelas durch eine Mauer stoppen ließe, mutet absurd an – vor allem, wenn gleichzeitig nichts gegen die Ursachen für Armut und Landflucht unternommen wird.
Selbst brasilianische Umweltschutzgruppen bezweifeln potentielle positive Effekte der Mauer zugunsten der Natur. Die Scheinheiligkeit der politischen EntscheidungsträgerInnen wird vor allem dann deutlich, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass die unter Schutz stehende Küstenregion (Malta Atlantica) fast gänzlich abgeholzt wurde, um durch Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen ersetzt zu werden.
Die inoffizielle Mauer: Aus den Augen, aus dem Sinn…
Immer wieder kommt es auf den Hügeln der Megacity zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Drogenkartellen. Die Polizei schreitet oft gewalttätig und ebenso skrupellos ein. Anfang Februar wurden bei einer groß angelegten Anti-Drogen-Razzia unter der Beteiligung von 300 Militär- und Zivilpolizisten in einem Armenviertel zehn Menschen erschossen. Zwischen Jänner und April des Vorjahres wurden nach offizieller Statistik 75 unbeteiligte ZivilistInnen ermordet. Die Dunkelziffern liegen naturgemäß bedeutend höher. Die verständliche Wut der SlumbewohnerInnen entlud sich bereits des öfteren in gewalttätigen Protesten gegen die Polizei. Die medialen Berichte jedoch, drehen sich nahezu ausschließlich um die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Das Leben, die soziale Situation und die Sicherheit der BewohnerInnen der Favelas finden dabei in den bürgerlichen Medien kaum Beachtung. Sie werden allenfalls als KomplizInnen und ihre Viertel als Brutstätten des Verbrechens wahrgenommen. Allein anhand dieser Fakten lässt sich die Natur der Mauer besser bestimmen. Die ungeliebten Schandflecke der kapitalistischen Gesellschaft sollen sozial abgeschottet werden.
Soziale Hintergründe und eine düstere Aussicht
Ein gänzlich neues Phänomen ist die Abschottung der Favelas, die insbesondere im Norden der Stadt anzutreffen sind, jedoch nicht. In vielen brasilianischen Großstädten sind meterhohe Mauern zu sehen. Der entscheidende Unterschied lag jedoch darin, dass sie bisher die noblen Vierteln, umgaben. Diese wurden mit eigenen bewaffneten Sicherheitsdiensten, Stacheldraht, Elektrozäunen und eben auch mit meterhohen Betonmauern nach außen hin gesichert. Es handelt sich auch hierbei um Grenzen, die den Reichtum von Wenigen schützen sollen.
Die krassen Gegensätze zwischen extremer Armut und unglaublichem Reichtum stellen die Ursachen für diese Entwicklungen dar und sollen hier kurz anhand einiger statistischer Kennzahlen verdeutlicht werden: Betrachtet man das Einkommen, erkennt man, dass nur 2,4 Prozent aller brasilianischen Familien ein Drittel des Gesamteinkommens verdienen. Noch drastischer sind die Zahlen, wenn man den Besitz analysiert: Die 10 Prozent der reichsten BrasilianerInnen besitzen ungefähr drei Viertel aller Reichtümer des Landes. Am anderen Ende der Reichtumsskala befindet sich auch das Drittel an BrasilianerInnen, die weniger als 22 Euro pro Monat zum Überleben zur Verfügung haben.
Der US-Soziologe Mike Davis spinnt die Entwicklung der Slums weiter und zeichnet dabei eine düstere Prognose. Heute wohnt bereits ein Drittel aller StadtbewohnerInnen in Slums, „der Wohnform der Zukunft“. Im Jahr 2020 wird seinen Berechnungen zufolge die Hälfte der globalen Stadtbevölkerung in Slums leben. Ob das Errichten von Mauern da eine adäquate Gegenstrategie ist…?