Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, dass in Österreich und Deutschland 90% der Bevölkerung für eine „neue Wirtschaftsordnung“ sind. Ein Grund zu feiern?
Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich ein Viertel der ÖsterreicherInnen und Deutschen noch in die „Selbstheilungskräfte“ des Marktes vertrauen. Doch nicht nur das Vertrauen in dieses angebliche Allheilmittel des Kapitalismus scheint erschüttert, sondern auch Vorstellungen über mögliche Alternativen gewinnen an Zustimmung. 90 Prozent der Befragten (beziehungsweise 88% in Deutschland) sind der Ansicht, dass eine „neue Wirtschaftsordnung“ wünschenswert wäre. Diese müsse Bereiche wie Umweltschutz und nachhaltigen Ressourceneinsatz berücksichtigen und sozialen Ausgleich in der Gesellschaft anstreben.
Ergebnisse wie diese sind jedoch noch kein Grund in Jubelgeschrei auszubrechen. 90 Prozent der ÖsterreicherInnen sind (leider) nicht plötzlich zu überzeugten AntikapitalistInnen geworden. Trotzdem zeigt die Studie, dass die gegenwärtige Krise nicht nur Bilanzen von Banken und Großkonzernen bewegt hat. In der bisher gravierendsten Wirtschaftskrise seit 1929 wird deutlich, auf wessen Rücken diese ausgetragen wird und dass es keineswegs allen gut geht, wenn´s der Wirtschaft gut geht – und dass das immer mehr Menschen bewusst wird. Wenn es mit ihr aber schlecht bestellt ist, müssen die Lohnabhängigen dafür zahlen. Warum gerade sie nun Einsparungen im Sozialbereich, Arbeitslosigkeit etc. hinnehmen müssen, lässt sich nur mehr schwer argumentieren.
Dass die Krise den Ruf der Marktwirtschaft angeknackst hat, ist auch den Herrschenden nicht verborgen geblieben. Gut vernetzt wie sie sind, gibt auch dieser Umstand Anlass für das eine oder andere Treffen. So lud die Bertelsmann-Stiftung zusammen mit dem österreichischen Außenministerium auch dieses Jahr zum „Trilog“ in Salzburg. Dort trafen sich PolitikerInnen, KonzernchefInnen, WissenschafterInnen sowie VertreterInnen der Kulturszene.
Es wurden Themen wie „nachhaltiges Wachstum“ und „Wohlstandssicherung“ auch vor dem Hintergrund der Studie diskutiert. Als Problem wurde unter anderem Arbeitslosigkeit, die viele junge Menschen trotz teils sehr guter Ausbildung betrifft beziehungsweise ihnen droht, identifiziert. Soweit so schlecht. Nun schlussfolgert das Stelldichein des Establishments allerdings, dass der vielerorts geäußerte Wunsch nach einem Zurück in alte Sicherheiten nicht mehr erfüllt werden könne. Die Herrschenden sind sich also selber bewusst, dass die kriselnde Wirtschaft weit weniger Spielräume für Zugeständnisse ermöglicht und sie auch nicht gewillt sind, die ArbeiterInnenklasse darüber möglichst ruhigzustellen. Dass die KapitalistInnen allerdings nach wie vor wie die Maden im Speck leben, verdeutlicht der kürzlich veröffentlichte Vermögensreport: das Vermögen der österreichischen EuromillionärInnen ist im Krisenjahr 2009 um satte 13,7% angewachsen (siehe dazu unseren Artikel: Vermögensreport: Party trotz Krise?)
Wir sollen uns vielmehr auch noch damit abfinden, dass es nun mal anders nicht mehr geht und womöglich noch glauben, wir müssten auch „unseren Teil“ dazu beitragen, mit der Krise fertig zu werden. Was als Ideen zur „Wohlstandssicherung“ und zum „qualitativen Wachstum“ verkauft wird, ist in Wahrheit nichts anderes als weitere Strategien, wie sie auf Kosten der Lohnabhängigen ihre Profite auch in Krisenzeiten weiter steigern können.
Aber die Herrschenden erkennen auch das Potential, das in großer Unzufriedenheit schlummert. Sie befürchten, dass die Folgen der Krise gar eine Legitimationskrise der Demokratie auslösen könnten. Die Sorge um die „Demokratie“ ist jedoch wohl eher die Sorge um den Erhalt der politischen Macht in den Händen der KapitalistInnen und die Absicherung der kapitalistischen Klassengesellschaft durch den bürgerlichen Staat. Auch wir sind für Demokratie – allerdings kämpfen wir nicht für den Erhalt parlamentarischer Demokratie, sondern für eine wirkliche Demokratie, ein auf die ArbeiterInnenklasse und ihre Macht in den Betrieben gestütztes Rätesystem. Wollen wir hoffen, dass in diesem einen Fall der chinesische Konzernchef Victor Chu Recht hat wenn er während des „Trilogs“ meint, die gegenwärtige Situation sei „Sprengstoff“.
Kurzzusammenfassung der Studie: http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_32005_32006_2.pdf
Zum Weiterlesen:
Griechenland, Deutschland und die EU