Am 13. Februar 2011 hatten die wahlberechtigten BerlinerInnen die Möglichkeit, darüber abzustimmen, ob die Verträge über die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe BWB offen gelegt werden sollen. Bei einer Wahlbeteiligung von 27,5% haben insgesamt 666.235 BerlinerInnen (98, 2%) für JA gestimmt. Damit wäre der rot-rote Senat aus SPD und Linkspartei theoretisch gezwungen, alle Geheimverträge offen zu legen und alle nicht öffentlich gemachten Verträge als ungültig einzustufen. Welche Folgen wird das Volksbegehren haben?
Der Volksentscheid hat einen Präzedenzfall geschaffen. Wenn Geheimverträge in diesem Fall durch Volksentscheid gekippt werden können, warum dann nicht auch in anderen Fällen? Weitere Beispiele für (intransparente) Privatisierungen sind zum Beispiel der Verkauf der Strombetriebe BEWAG an Vatenfall, die Abwirtschaftung der S-Bahn durch die Privatisierung der Deutschen Bahnoder der Verkauf der kommunalen Krankenhäuser und eines Großteils der Wohnungsbaugesellschaften.
Bei einem großen Teil der Berliner Bevölkerung besteht in all diesen Fragen eine ähnlich ablehnende Haltung zur Privatisierung wie bei den Wasserbetrieben. Für den rot-roten Senat ist das ein riesiges Problem. Die Parteibasis sowohl von SPD als auch von Linkspartei stand dem Wasservolksbegehren sehr positiv gegenüber, handelt es sich bei ihr als mehrheitlich Klein- und MittelverdienerInnen doch um die Leidtragenden von stetigen Preiserhöhungen im Rahmen der Privatisierung. Versuche der Parteibürokratien, das Volksbegehren in den eigenen Reihen zu isolieren, scheiterten daher bereits relativ früh. Auch Ausflüchte, wie dass man schließlich auch für Transparenz eintrete und daher keine Abstimmung benötige, halfen da nicht viel.
Der Senat änderte daraufhin seine Taktik und bemühte sich nun selbst, die „Bewegung“ unter Kontrolle zu bekommen. Nachdem zuerst die Unterschriftensammlung für den Volksentscheid nicht unterstützt wurde, wurde nun von Regierungsseite aufgerufen, bei der Abstimmung mit „Ja“ zu stimmen um das Ergebnis zu vereinnahmen. Nachdem die Tageszeitung „taz“ 200 Seiten aus dem Vertrag zugespielt bekommen hatte, sah sich der Senat zudem gezwungen, bereits vor der Abstimmung 800 Seiten Vertragswerk zu veröffentlichen. Die InitiatorInnen bezweifelten aber von Anfang an, dass damit alle relevanten Dokumente öffentlich gemacht wurden. ExpertInnen sprechen von möglicherweise bis zu 7.000 Seiten Vertrag. Die Mobilisierung für die Abstimmung lief weiter auf Hochtouren, und es gelang, die nötige Grenze von 25% der wahlberechtigten BerlinerInnen – wenn auch nur knapp – zu brechen. Damit müsste das Ergebnis der Volksabstimmung an sich bindend und rechtskräftig sein. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sah im Ergebnis dann auch einen Beleg dafür, dass die Berliner „Transparenz beim Umgang mit öffentlichem Eigentum wollen“.
SPD und Linkspartei wären aber nicht die Parteien, die sie sind, wenn sie nicht schon längst einen weiteren Plan entwickelt hätten, den Volksentscheid faktisch ungültig zu machen. Der Senat hat bereits anscheinend eine Klage beim Landesverfassungsgericht vorbereitet, die eingereicht werden soll, sobald das Ergebnis des Volksentscheids im Gesetzblatt verkündet wird. Die geplante Klage richtet sich hierbei hauptsächlich gegen den Paragraph 4 des Volksbegehrens, in dem festgelegt wird, dass alle Verträge im Zusammenhang mit der Wasserprivatisierung ungültig werden, die nicht der Öffentlichkeit vorliegen. Die juristische Begründung ist spitzfindig: Das bürgerliche deutsche Vertragsrecht lasse es nun mal nicht zu, dass (nach bürgerlichem Recht) rechtskräftige Verträge durch Volksentscheide aufgehoben werden können. Paragraph 4 sei also verfassungswidrig.
Nun brüstet sich aber der Senat damit, alle Verträge veröffentlicht zu haben, womit nach ihrer Version der Geschichte eigentlich auch nichts ungültig werden dürfte. Wozu also dann die Klage? Gibt es also doch noch weitere Vertragsteile, die vielleicht zu unpopulär wären, um sie auf der eigenen Webseite zu veröffentlichen? Oder will man vor allem präventiv verhindern, dass bei möglichen weiteren Volksentscheiden die Privatisierungen der letzten Jahre ganz gekippt und nicht nur deren Hintergründe an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden?
Die Linkspartei brüstet sich oft damit, dafür einzutreten, die kommunale Versorgung mit Strom, Wasser, Nahverkehr und Abfallbeseitigung wieder in die öffentliche Hand bekommen zu wollen oder dort zu halten.
Aber allein, dass diese Abstimmung nötig war, zeigt wieder nur, dass der Staat mit den KapitalistInnen gemeinsame Sache macht und nach ihren eigenen Privatinteressen handelt. Auch die rot-rote Regierung handelt wie jede Regierung von bürgerlichen Parteien nicht im Interesse der ArbeiterInnen, sondern führt die Geschäfte des Kapitals und verwaltet die bürgerliche Gesellschaft.
Das ist natürlich keine neue Erkenntnis. Und so ist es auch alles andere als ein Zufall, dass das Ergebnis der Volksbefragung, wenn’s den Regierenden nicht in den Kram passt, umgelogen und umgebogen werden wird. Das liegt allerdings auch in der Natur von Volksbefragungen und Volksabstimmungen. Denn wenn damit vorgegeben wird, dass sie den Willen des Volkes ausdrücken, so ist das nur eine sehr oberflächliche Einschätzung, die den Schein bürgerlicher Demokratie für bare Münze nimmt. Das bürgerliche Mittel der Volksbefragung lebt davon, dass die Befragten an einem bestimmten Tag ihren Willen in einer Wahlurne deponieren, dann wieder brav nach Hause gehen und so wie schon vorher die Regierenden ihre Geschäfte machen lassen. Volksabstimmungen und Volksbefragungen sind daher auch kein Bruch mit der bürgerlichen Vertretungsdemokratie, sondern deren Verfeinerung. Was nottut, ist daher eine andere Stoßrichtung – nämlich die Aktivierung der breiten Schichten der Bevölkerung, insbesondere der Arbeitenden, für ihre eigenen Interessen! Dann würde es für Wowereit & Co. bedeutend schwerer werden, die Interessen von breiten Schichten der Bevölkerung an das Kapital zu verkaufen und dabei notfalls auch ein klares Votum umzudeuten und zurechtzubiegen.