Nach einem Platzsturm von Rapid-Fans wurde das 297. Wiener Fuball-Derby zwischen Rapid Wien und Austria Wien abgebrochen. Die Fußball-Oberen, Medien und PolitikerInnen überschlagen sich vor Empörung. Der folgende Kommentar kritisiert den vorherrschenden Ordnungsdiskurs.
Die ganze Saison war für den SK Rapid schon schlecht gelaufen: unrühmliches Europa-League-Aus, nur 5. Tabellenplatz, kein internationaler Startplatz. Der Unmut selbst der treuesten Fans war seit langem groß. Die sportliche Leitung wurde ausgetauscht. Ein Erfolg gegen den Stadtrivalen im heimatlichen Hanappi-Stadion sollte einen einigermaßen versöhnlichen Saisonabschluss schaffen. In der Fan-Kurve, dem so genannten Block West, wurde bei Spielbeginn ein entsprechendes Transparent angebracht: „Auch ein Sieg kann die verschissene Saison nicht retten, zerstört heute wenigstens die Titelträume der Violetten.“
„Skandalderby“
Es kam rasch anders. Der norwegische Rapid-Innenverteidiger Rage Soma war in der 5. Spielminute wieder einmal unglaublich apathisch und stand meterweit von seinem Gegenspieler entfernt, Austria-Stürmer Roland Linz konnte sich im Rapid-Strafraum seelenruhig den Ball herrichten und zum 1:0 einschießen. Als schließlich Zlatko Junuzovic in der 26. Minute auf 2:0 stellte, machten gut 200 Rapid-Fans die in Foren zirkulierte Ankündigung wahr und stürmten das Spielfeld.
Das Schiedsrichtertrio und die meist Spieler rannten schnell in die Kabinen, einige Rapid-Spieler, die sich nur gemächlich weg bewegten, wurden von den wütenden Fans beschimpft. Etwas nach der Mittellinie wurden die Platzstürmer von Hundertschaften der Polizei, die mit Helmen, Schlagstöcken, Hunden und Tränengassprays ausgerüstet waren, gestoppt. Ein paar Minuten lang wurden zwischen den Rapid-Fans am Rasen und den Austria-Fans in der Ostkurve einige Feuerwerkskörper (hauptsächlich Leuchtstiftmunition) hin und her geschossen. Dann wurden die Rapid-Fans von der Polizei Schritt für Schritt zurückgedrängt. Einige von denen, die sich zu lange Zeit gelassen hatten, wurden schließlich beim Versuch, über die Zäune zurückzuklettern, verhaftet. An den Zäunen gab es dabei einige Rangeleien, wobei die Polizei auch Schlagstöcke und Tränengassprays einsetzte.
Während und nach diesen Geschehnissen begann die ORF-Liveübertragung mit geifernder Aufgeregtheit den Ton vorzugeben. Besonders hervor tat sich der ORF-Interviewer, der sich in seiner Suche nach immer drastischeren Formulierungen für die „so genannten Fans“ regelmäßig verhaspelte, und Roman Mählich, als Kommentator noch mittelmäßiger als als Fußballer, der pauschal den ganzen Block West und die Rapid-Fanpolitik verantwortlich machte und immer massiver nach Repressalien gegen seinen Lieblingsfeind-Verein Rapid rief. Auch Rapid-Präsident Rudi Edlinger stimmte in den Chor ein. Gemäßigter, sachlicher und differenzierter waren interessanterweise nicht nur der Rapid-Fanbeauftragte Andy Marek, sondern auch Austria-Spieler Linz und Austria-Trainer Karl Daxbacher.
Systematische Aufregung
Abends und am kommenden Tag setzte die mediale Aufregung dann wie zu erwarten voll ein. Zwischen Boulevard und so genannten Qualitätszeitungen besteht da kaum ein Unterschied. Alle wussten von „Schlägereien“ zu berichten, die es im Stadion gegeben haben soll. Das Gratisblatt „Heute“ titelte: „Hass! Angst! Lebensgefahr! Das Derby der Schande“. Das andere Gratisblatt „Österreich“ kam mit der Überschrift „Bürgerkrieg“ in Hütteldorf. Und die „seriöse“ „Presse“ schrieb: „Was sich auf dem Rasen abspielte, das grenzte an Krieg. Szenen, die man in Österreich in dieser Form noch nicht erlebt hat.“ Sind diese Redakteure noch besoffener als manche Fans in den Stadien? Haben die eine Vorstellung, was ein tatsächlicher Bürgerkrieg oder Krieg bedeutet? Haben die überhaupt kein Wissen über die (österreichische) Geschichte?
Die Kronenzeitung ließ ihrer LeserInnen über die geeignesten Repressionsmethoden gegen die Rapid-Fans abstimmen. Der liberale Standard, der stets auf seine sachliche Berichterstattung stolz ist, bezeichnete die Platzstürmer als „Schwachköpfe“ und empörte sich über die „Schande von Hütteldorf“. Im Standard-Kommentar wird dann (in Anspielung auf den Fan-Slogan „Rapid ist unsere Religion“) gefordert, dass „die Bundesliga die einzig mögliche Maßnahme ergreift, nämlich in 'St. Hanappi' längere Zeit keine Messe mehr lesen zu lassen.“ – also die Kollektivstrafe Stadionsperre. Einen Tag später schob ein Standard-Artikel die Schuld dann auf die Ausländer, nämlich auf anwesende Fans von Panathinaikos, Nürnberg und Venezia Mestre.
Noch deutlicher wird’s dann im Standard-Forum, wo die liberale und „anständige“ Mittelschicht ihre Gesinnung zeigt: Die Rapid-Fans werden dort unter anderem als „Lurch“, „Asoziale“ und „angemalte Primaten“ bezeichnet. Eine/r meint, die Platzstürmer seien „keine Menschen“, ein/e andere/r sieht Rapid als „Proloklub, der den Ultras gehört“. Wieder andere der „zivilisierten“ Standard-LeserInnen lassen ihren sadistischen Phantasien freien Lauf: Einer wünscht den Rapid-Fans „nicht Hals- und Beinbruch, sondern Schädelbasisbruch“, ein/e andere/r meint, es sei „schade, dass die Polizei so wenig Schläge mit dem Gummiknüppel in die Nieren gegeben hat.“ Wer ist da jetzt primitiv, die Rapid-Fans oder die selbstgerechten „besseren Leute“? Die Verachtung für die „Unterschicht“ zieht sich durch einen Großteil der Postings auf der Standard-Page.
Worum geht’s in der Medienkampage?
Um hier keine Zweifel aufkommen zu lassen: Wir lehnen Angriffe auf Fans anderer Vereine und deshalb auch den Einsatz von Leuchtstiftmunition oder ähnlichem zwischen den Rapid- und Austria-Fans grundsätzlich ab. Soweit darf die (beim Fußball in gewissem Ausmaß unvermeidliche) Rivalität nicht gehen. Ein positives Beispiel, dass die sektiererischen Feindseligkeiten zwischen verschiedenen Fans überwunden werden können, war die Kampagne gegen das Pyrotchnik-Gesetz von Ex-Innenministerin Maria Fekter. Was wir auch abstoßend finden, ist das aggressiv-machistische Gestikulieren von etlichen der Platzstürmer.
Aber um all diese Dinge geht es in der aktuellen Medienkampagne nicht wirklich; sie werden nur benutzt, um die eigentlichen Ziele des Fußball- und Medienestablishment zu unterstützen. Wollen wir erst einmal einige Relationen zurecht rücken: Beim „Skandalderby“ wurden etliche Personen verletzt, niemand davon lebensbedrohend. Die unbeteiligten BesucherInnen der Nord- und Südtribüne waren – das bestätigen etliche Freundinnen und KollegInnen, die auch mit Kindern dort waren, – zu keinem Zeitpunkt auch nur irgendwie bedroht (höchstens die untersten Reihen durch das Tränengas der Polizisten, die Flüchtenden nachsprayten). Der eine stämmige, tätowierte Platzstürmer (von den Medien als „der Grieche“ bezeichnet), der die Polizisten direkt attackieren wollte, wurde von anderen Platzstürmern zurückgehalten und zu Fall gebracht. Selbst der Fanbetreuer der Polizei sagte in einer ORF-Diskussion, dass die Aggressionsbereitschaft der Platzstürmer nicht hoch gewesen sei.
Gleichzeitig kommen jede Woche auf Österreichs Straßen Menschen ums Leben oder werden schwerst verletzt, ein Gutteil davon durch Raser, die mit weit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs sind, anderen gefährlich auffahren etc. Darunter sind überdurchschnittliche viele Manager oder andere „Führungskräfte“ mit ihren SUVs, Audis etc., die null Unrechtsbewusstsein haben und die andere VerkehrsteilnehmerInnen (besonders solche mit keinen oder weniger gepanzerten Autos) gefährden. Etliche von ihnen „vermummen“ sich, indem sie sich so genannte „Einparkhilfen“ leisten, mit denen real Radarkontrollen im Voraus erkannt werden können. Dennoch gilt Rasen als Kavaliersdelikt. Da gibt es nicht nach jedem Unfallwochenende eine mehrtägige Kampagne gegen “brutale Chaoten“, mit denen nun endlich „aufgeräumt“ werden müsse.
Dass es bei der ganzen Aufregung nicht um das Ausmaß von Gewalt oder Gefährdung geht, zeigen auch andere Dinge. Ähnlich empört wie jetzt überschlugen sich sämtliche Medien, als im Vorfeld der Europameisterschaft in Österreich die Rapid-Fans ihre Kampagne „Scheiß EM 2008“ durchführten und bei einem Länderspiel im Hanappi-Stadion gegen das Nationalteam Stellung nahmen und Kapitän Andreas Ivanschitz ausbuhten und beschimpften (siehe unsere Stellungnahme). Damals war – obwohl es keinerlei Gewalt gegeben hatte – bereits von den „Verrückten“ von Hütteldorf die Rede, wurden Repressalien, ein „Aussortieren“ und eine Kontrolle von Transparenten auf ihre „inhaltliche Unbedenklichkeit“ gefordert.
Als Austria-Fans 2009 im Europa-League-Spiel gegen Athletico Bilbao das Spielfeld stürmten, galt die Aufregung nicht der Unterwanderung durch die Neonazis der Fangruppe „Unsterblich“, sondern dem Platzsturm an sich – obwohl es keine Gewalt gab. Als hingegen beim Europa-League-Spiel Rapid gegen Besiktas-Istanbul einige Besiktas-Fans zahllose Brandsätze in die angrenzenden Familiensektoren warfen, wodurch eine massive Gefährdung entstand, gab es kaum Empörung. Dass beim Spiel von Red Bull Salzburg gegen Hapoel Tel Aviv von vielen Fans (unter anderem von der VIP-Tribüne) „Judenschweine“ skandiert und ein Linienrichter von einem Feuerzeug am Kopf getroffen wurde, wurde überhaupt dezent übergangen – schließlich will die Journaille den braven Kommerzverein von Mateschitz ja nicht anpatzen.
Ziele des Fußball-Establishments
Worum es den Fußball-Oberen, den Sponsoren und Medien tatsächlich geht, wurde in den letzten Tagen immer offensichtlicher. Gefordert wurden da nicht nur die „Aussonderung“ der „Chaoten“ und Stadionverbote gegen die Platzstürmer, sondern insbesondere so genannte „Geisterspiele“ (= Rapid-Heimspiele ohne Publikum), eine Sperre der Westtribüne im Hanappi-Stadion und vor allem eine Änderung der Fanpolitik beim SK Rapid, wo die Fans zu viel Einfluss hätten.
Zuerst zu den Repressalien: Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner verlangt offen Stadionverbote für alle etwa 800 Rapid-Ultras und die „Auflösung der West-Tribüne“. Ebenso wie Platzsperren (Geisterspiele) sind das vordemokratische Kollektivstrafen, die alle Angehörigen einer Gruppe (West-Tribüne-Abonnenten oder Rapid-Fans) betreffen, egal ob sie als Personen gegen ein Gesetz verstoßen haben oder nicht. In jeder Schule ist so etwas selbstverständlich verboten, niemand käme auf die Idee, wegen 200 Rasern die A1 zu sperren, aber mit Fußballfans, die das „zivilisierte“ Establishment entweder nicht als Menschen (siehe Standard-Forum) oder als solche zweiter Klasse betrachtet, kann man das scheinbar problemlos machen; jedenfalls ist das der Mainstream der veröffentlichten Meinung.
Dass der Einfluss der Mitglieder und Fans im SK Rapid, im Gratisblatt „Heute“ als Kuschelkurs diffamiert, vielen ein Dorn im Auge war, ist seit langem bekannt. Spätestens seit der „Scheiß-EM-Kampagne“ in den Jahren 2007/08 und der vereinsübergreifenden, aber wesentlich von den Rapid-Fans vorangetriebene Kampagne gegen das Pyrotechnik-Verbot haben das Fußball- und Politik-Establishment eine Rechnung offen mit den Rapid-Ultras und den anderen Fanklubs der West-Tribüne. Diese Rechnung wollen sie jetzt begleichen.
Dabei geht es aber um Grundsätzlicheres: 1) um die Aufrechterhaltung der autoritären Strukturen im Fußball-Geschäft, 2) um die kulturelle Enteignung der proletarischen Milieus in den Stadien.
Die FIFA, die UEFA, die österreichische Bundesliga und die meisten Vereine sind ausgesprochen autoritär strukturiert. Die jeweils oberen Instanzen haben allerlei Strafmöglichkeiten gegen Vereine und kooperieren wiederum ganz eng mit und im Interesse von großen Sponsoren. Für die Fans ist dabei ein ganz klarer Platz vorgesehen, nämlich einerseits als KonsumentInnen (Eintrittskarten, Fanartikel, Sponsorenzielgruppen) und andererseits als Staffage für die sponsorengerechte Medienshow Fußball. Und diese Macht und Ordnungsverhältnisse werden mit allen Mitteln verteidigt. Im vorgesehenen Rahmen jubeln und ordentlich kaufen, sonst nichts! Eigenständiges Agieren der Fans ist in diesem autoritären Ordnungskonzept nicht erwünscht.
Dementsprechend reagiert das Establishment rasend vor Wut auf eine Infragestellung ihrer Kontrolle und Herrschaft. Dementsprechend sind die Herren beunruhigt über zu viel Einfluss von einfachen Fans in Vereinen. Dementsprechend wird ein Platzsturm von den Medien einmütig als schwer krimineller Akt hingestellt.
Welche Gesetze aber werden durch einen Platzsturm (nicht das Werfen von Feuerwerkskörpern) eigentlich verletzt? Die Hausordnung des SK Rapid? Ist man wegen unbefugten Betretens einer Sportanlage oder Störung einer Sportveranstaltung ein Schwerverbrecher? Das eigentliche schwere Verbrechen ist aus Sicht des Establishments und seiner Journaille doch in Wahrheit, dass die Ordnung der Bundesliga gestört, der Ablauf der Meisterschaft beeinflusst und womöglich Sponsoren irritiert wurden – und sich der Pöbel nicht mit dem ihm zugewiesenen Platz begnügt hat. Und das ist in einer Klassengesellschaft eben ein schweres Verbrechen!
Platzsturm OK
In modernen Theaterstücken wird teilweise das Publikum ins Geschehen mit einbezogen. Das gilt dann als besonders „avantgardistisch“. Aber da ist die Einbeziehung auch von der Regie geplant (und meist begrenzt) und außerdem handelt es sich bei den Einbezogenen meist um die gebildeten Ober- und Mittelschichten, die ins Theater gehen. Für Fußballfans gilt das nicht. Die sollen sich nach dem Willen der Oberen nicht einmischen und schon gar nicht auf eigene Initiative.
Wir hingegen finden es gut, wenn ein Verein keine Präsidialdiktatur ist wie Red Bull Salzburg, wenn Mitglieder und Fans in Vereinen etwas zu sagen haben, wenn sich Leute selbsttätig einmischen, wenn die scharfe Trennung zwischen (Ball-) KünstlerInnen und braven passiven KonsumentInnen aufgebrochen wird. Im Unterschied zum Abschießen von Leuchtstiftmunition finden wir einen Platzsturm grundsätzlich OK – genauso wie wir die (rechtswidrige) Besetzung des Hauptplatzes in Madrid durch jugendliche DemonstrantInnen verteidigen.
Rapid (oder Austria in einem anderen Fall) gehört uns Fans und Mitgliedern, nicht der Bundesliga, den Sponsoren oder den Medien. Rapid lebt von der Unterstützung von geschätzten 800.000 AnhängerInnen (sonst wäre der Verein auch für die Sponsoren nicht interessant). Wenn Fans der Meinung sind, es läuft was schief, dann sollen sie auch das Recht haben, selbst auf die Bühne zu treten und dann, wenn sie es für nötig halten, ein Zeichen zu setzen. Dass etliche das vermummt getan haben, liegt ja nur daran, dass eine solche selbsttätige Einmischung kriminalisiert wird.
Ob der Platzsturm aus Sicht der Rapid-Fans taktisch klug war (abgesehen vom abzulehnenden Einsatz von Feuerwerkskörpern), ist die eine Frage, dass wir ihn grundsätzlich legitim finden, die andere. Die Aktion war sicherlich ein symbolisch wirksamer Protest und er hat die herrschende Ordnung der Bundesliga in Frage gestellt. Der Sicherheitssprecher meinte, man habe im Vorfeld alles getan, um einen Platzsturm zu verhindern, aber wenn die Fans des Block West das wollten, könne keine Macht der Welt das verhindern. Dieses Eingeständnis klingt schön, ist aber natürlich Unsinn (es gibt massivere Zäune, Schusswaffen etc.), aber es zeigt doch den Respekt und die Angst des Establishments vor einem kollektiven Agieren der einfachen Leute, die aus den ihnen zugewiesenen Zonen ausbrechen.
Allerdings war der Platzsturm letztlich eine Aktion einer Minderheit, die wohl auch von einer deutlichen Mehrheit der Rapid-Fans abgelehnt wird (und auch große Teile der organisierten Fans haben sich nicht beteiligt), die in ihrer Form (Leuchtstiftmunition) auch abzulehnen ist und die letztlich dem Establishment einen idealen Vorwand zu einem nachhaltigen Angriff auf die Fankultur bei SK Rapid gibt. Der Platzsturm hat die selbstorganisierte Fanszene bei Rapid in die Defensive gebracht – und denjenigen Oberwasser, die Kommerzialisierung und Repression vorantreiben wollen.
„Gebildete“ statt „Proleten“
Die Rapid-Verantwortlichen haben auf die früheren medialen und ÖFB-Angriffe auf die aufmüpfige Rapid-Fanszene eher hinhaltend reagiert, haben sie von der Selbstinszenierung von Rapid als Klub der Arbeiter(innen) und einfachen Leute ja auch gut gelebt. Die demokratische Einbindung der Fanklubs und die Freiräume haben einen Fan-Boom geschaffen, der 9000 Fans zum EL-Auswärtsspiel nach Hamburg gebracht und das große Happel-Stadion regelmäßig restlos gefüllt hat. Jetzt aber kapituliert die Vereinsführung vor der medialen Hetze (beziehungsweise ist den Funktionären der Einfluss der Fans selbst zu groß geworden); harte Maßnahmen wurden angekündigt.
Mit einer Zurückdrängung des Fan-Einflusses bei Rapid werden sich das mediale und Fußball-Establishment aber nicht zufrieden geben. Sie wollen den generellen Trend im Fußball vorantreiben, nämlich die Kommerzialisierung und den sozialen Austausch der ZuschauerInnen. Die „Proleten“ sollen nicht nur nachdrücklich auf ihre Plätze verwiesen, sondern am besten überhaupt weitgehend aus den Stadien geworfen werden. Nicht zufällig beziehen sich etliche PolitikerInnen und JournalistInnen positiv auf England, wo mit Repression und Kommerzialisierung die Eintrittpreise in der obersten Liga mittlerweile bei 50 Euro aufwärts liegen – und sich einfache Lohnabhängige das kaum mehr leisten können. Marek hat in einer Fernsehdiskussion eine solche Entwicklung immerhin kritisiert, weil sie mit dem Selbstbild des SK Rapid als „Arbeiterklub“ in Widerspruch stehe. Wir werden sehen, was solche Bekenntnisse gegen den allgemeinen Druck wert sind.
Seit über zwei Jahrzehnten geht es der herrschenden KapitalistInnenklasse und ihren Fußballmanagern europaweit um die beschleunigte Zerstörung des (ohnehin schon im Auflösungsprozess befindlichen) ArbeiterInnenmilieus in den Stadien beziehungsweise um die Enteignung seiner kulturellen Institution Fußball – und zwar zugunsten einer konsequent konsumorientierten Fußballindustrie. Die Stadien sollen zu Freizeitarealen mit Boutiquen, Restaurants und Gesellschaftsräumen umgestaltet werden. Ebenso wie die Schaffung von reinen Sitzplatzstadien bedeutet all das höhere Eintrittspreise. In der Folge bleibt ein Teil des Publikums weg, weil es sich das Fußballerlebnis live nicht mehr leisten kann. Die Entscheidung für die „modernen Fußballarenen“ ist letztlich eine Entscheidung für ein sozial anders strukturiertes Publikum, nämlich für die Leute, die bisher nicht in die Stadien gingen, weil ihnen dort einerseits zu wenig Komfort geboten wurde und andererseits zu viele „Proleten“ anwesend waren.
Der „Österreich-Herausgeber“ sagt das ganz klar (aus der unvermeidlichen und überheblichen Klassenposition eines wohlhabenden Journalisten): Raus aus den Stadien müssten „die Ultras und die Sozialfälle“, damit unter anderem „Gebildete“ sich wohl fühlen. Er beklagt, dass durch die Rapid-Fans „die Sponsoren auf Jahre verschreckt“ seien, sieht als Vorbilder die Münchner „Allianz-Arena“ oder das neue Stadion von Red Bull Salzburg und sieht die Zukunft des Fußball in einem modernen „Entertainment“ – also Kommerz ohne Ende und inszenierte Shows mit Lichtspielen und Cheerleadern. Der elende Mählich pflichtet bei und sieht die Eliminierung der Fanszene in Salzburg und den in der Folge entstandenen Kommerz-Retortenklub als Vorbild (vielleicht will Mählich ja bei Mateschitz einen Job ergattern).
Das Ziel der herrschenden Klasse ist die totale kulturelle Vorherrschaft, die Eroberung und Auflösung der Reste von proletarischem Milieu in der Gesellschaft, die sie noch nicht völlig kontrolliert und in dem sich das „Freizeitverhalten“ noch nicht ausreichend ihren (Konsum-) Vorstellungen angepasst hat. Auch wenn das wüste Verhalten des Fußballpublikums für das System auch durchaus die Funktion erfüllt, dass dort die unterdrückte Klasse ihren Frust abreagiert, so ist den KapitalistInnen und ihren Schreiberlingen der Anblick der proletarischen Massen, die sich Samstag für Samstag zu hunderttausenden in den europäischen Stadien versammeln und sich nicht dem bürgerlichen Verhaltenskatalog entsprechend benehmen, außerordentlich zuwider und wird einer elitären Klassenkritik unterzogen.
Darum geht es in Wirklichkeit beim aktuellen autoritären Ordnungsdiskurs gegen die „Rapid-Chaoten“. Auch wenn wir die Form des Platzsturmes ablehnen, seine Sinnhaftigkeit aus Sicht der Rapid-Fans taktisch in Frage stellen und auch sonst etliche Kritik an den Fanszenen bei Rapid und anderen Vereinen haben, so verteidigen wir die Fans und ihre Einflussmöglichkeiten gegen die Angriffe von Medien, Fußball- und Politik-Establishment. Gegen Kommerz und Repression! Rassismus und Sexismus raus aus den Stadien! Gegen die sektiererischen Feindseligkeiten zwischen den Fans verschiedener Vereine! Für die selbstorganisierte Fankultur!
Anmerkung: In der Redaktion dieser Artikels waren zwei Fans des SK Rapid und ein Fan von Austria Wien. GegnerInnen für 90 Minuten, GenossInnen ein Leben lang!
Zum Weiterlesen:
Grundsätzliche Gedanken zu Fußball und Weltmeisterschaften
Fußball und Klassenkampf, Broschüre der RSO
Politisches Profil der österreichischen Fußball-Fanszene
Über die Wiener Austria und ihre Neonazis