Serbien und andere Staaten Mittel- und Osteuropas sind ein gefährliches Pflaster für Schwule und Lesben. Jüngst gab es in Belgrad sogar einen Mordversuch an einer lesbischen Frau auf offener Straße.
Für Schwule und Lesben überschlagen sich die Ereignisse in Serbien. Am 19. Oktober 2011 fand vor dem Gebäude des Innenministeriums in Belgrad eine Kundgebung mit etwa 200 TeilnehmerInnen statt, die sich allgemein gegen Gewalt und Diskriminierung innerhalb der serbischen Gesellschaft richtete. Veranstaltet wurde sie aber von der Gay Straight Alliance (GSA), die in Serbien den ersten Verein darstellt, der sich explizit für die Rechte von LGBT-Menschen engagiert. (LGBT steht für Lesbian, Gay, Bi, Transgender und ist eine international gebräuchliche Sammelbezeichnung.)
Messerattacke
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und den Weg für die Protestaktion ebnete, war eine Messerattacke auf eine 24-jährige lesbische Frau eine Woche zuvor. Sie und ihre zwei Freundinnen wurden im Zentrum Belgrads von drei Männern verfolgt, als diese die Symbole der Belgrade Pride auf der Kleidung der jungen Frauen bemerkten.
Daraufhin wurde eine von ihnen von einem der Männer zunächst verbal beleidigt, mit Fäusten und Füßen geschlagen und schließlich mit einem Messer attackiert. Bei dem Versuch die Klinge mit bloßer Hand von ihrer Brust fernzuhalten, erlitt sie schwere Verletzungen. Der Täter wurde gefasst, aufgrund seiner Minderjährigkeit aber wieder auf freien Fuß gesetzt.
Belgrade Pride verboten
Vorangegangen war dem das Verbot der Schwulen- und Lesbenparade „Parada ponosa Beograd“ (Parade des Stolzes Belgrad). Die Paraden des Stolzes, zumeist Pride-Paraden genannt, werden in vielen Städten weltweit einmal im Jahr abgehalten, meist rund um den 28. Juni. Denn am 28. Juni 1969 fand, wie üblich, in der Stonewall Bar in der Christopher Street in New York eine Polizeirazzia in einer Schwulen-Bar statt.
Doch diesmal wehrten sich die BesucherInnen und FreundInnen, die Folge waren tagelange Straßenschlachten mit der Polizei. Seitdem ist der CSD (Christopher Street Day) ein Tag der Freude und des Stolzes für die LGBT-Community.
Im Hintergrund des Verbots standen die Übergriffe auf die Pride-Parade im kroatischen Split. Dort bewarfen rund 10.000 (teils im ganzen Land oder sogar international mobilisierte) Rechtsextreme rund 300 Pride-TeilnehmerInnen mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern und sangen im Chor „Tötet die Homos!“.
Das war für die serbische Regierung das Argument, die für 3. Oktober 2011 geplante Belgrad Pride schlichtweg zu verbieten, nachdem es bereits im Jahr davor zu dramatischen Übergriffen auf die Parade gekommen war (mehr dazu ).
Im Klartext: weil rechtsextreme Übergriffe stattfinden, gibt der Staat ihnen nach – die FaschistInnen sind die Sieger des Tages und der Staatsapparat kann seine Hände in Unschuld waschen.
Das Verbot war für die herrschenden Parteien auch in Hinblick auf einen möglichen EU-Beitritt wichtig, da es von Seiten der EU Druck gab – und mit dem Verbot konnten etwaige Übergriffe bei der Belgrade Pride perfekt umgangen werden. Viele Schwule und Lesben setzen jetzt auf die EU als Schutzschirm. Das ist zwar nachvollziehbar, aber auch kurzsichtig. Denn die Regierungen der EU sind auf vielen anderen Ebenen für Diskriminierungen (auch gegen Schwule und Lesben) verantwortlich – und andere Maßnahmen, etwa Sozialabbau, treffen LGBT genauso wie alle anderen Menschen.
Übergriffe ohne Reaktion
Die Gay Straight Alliance berichtet indes über eine stetig wachsende Anzahl von Strafanzeigen wegen Menschenrechtsverletzungen zwischen 2006 und 2010, wobei 58 % der Anzeigen aufgrund des Verbots von Folter und Diskriminierung erstattet wurden. Interessant dabei ist, dass alle Anzeigen, die sich gegen BeamtInnen richteten, fallen gelassen wurden.
Viele PolitikerInnen der Parteien der „Mitte“ zeigen sich offiziell immer empört, real sind sie aber entweder selbst homophob oder zumindest nicht bereit, irgendetwas zu tun. Daneben gibt es die rechtsextreme SRS (Serbische Radikale Partei), die bei den Parlamentswahlen 30% der Stimmen erhielt – und auch der reaktionäre Einfluss der orthodoxen Kirche ist nicht zu unterschätzen.
Widerstand bedeutet Selbstorganisation
So bleibt die Verantwortung über eine Veränderung der Zustände schließlich bei den Menschen selbst. Die angegriffene junge Frau meinte dazu: „Ich bin eine von vielen, denen so etwas passiert ist – es hätte jedem und jeder von euch passieren können. Und es ist unwichtig, ob ich lesbisch oder hetero bin – jemand hat versucht mich umzubringen! Ich habe beschlossen, mich nicht zurückzuziehen. Ich habe mich schon in dieser besagten Nacht verteidigt und jetzt will ich erst recht nicht schweigen!“
Und sie hat damit vollkommen Recht, denn in der kapitalistischen Gesellschaft ist niemand vor Übergriffen und Diskriminierung gefeit. Der Kampf der LGBTs und anderen diskriminierten Minderheiten in ex-jugoslawischen Ländern steckt sicherlich noch in den Kinderschuhen und ist vergleichbar mit der Situation in Westeuropa während den 70er Jahren. Doch auch in diesen Ländern gibt es trotz etlicher (teils kommerzialisierter und im Mainstream angekommenen) Paraden noch genug Diskriminierungen – im Alltag genauso wie auf Gesetzesebene.
Der Kampf in der Christopher Street war ein wichtiger Ansatz: wenn wir wollen, dass sich etwas ändert, müssen wir es ändern. Und dabei geht es nicht nur um die Diskriminierung von Schwulen und Lesben… sondern um den Kampf gegen alle Unterdrückungsformen und den Kapitalismus an sich.
Zum Weiterlesen:
Serie: Rechtsextremismus in Europa, Teil 3: Rechtsextreme Parteien in Osteuropa (August 2011)
Homophobe Übergriffe in Belgrad (Oktober 2010)
„Für gleiche Rechte, Liebe und Sozialismus!“ (Juli 2010) – Interview mit dem Wiener „Pride-Girl“ 2010, der RSO-Aktivistin Sophie