Die revolutionäre Bewegung in Ägypten stand im vergangenen Jahr im Zentrum des internationalen Klassenkampfes. Zwei Genossen der RSO waren vor kurzem in Ägypten und wollen hier ihre Eindrücke und Erfahrungen widergeben.
Von Kairo…
Die erste Station unserer Reise war Kairo. Die Hauptstadt des Landes hat mit Umland inzwischen weit über 16 Millionen EinwohnerInnen. Die Busfahrt vom Flughafen zum Stadtzentrum durch die meist verstopften und überfüllten Straßen dauert gut eine Stunde. Als der Bus im Zentrum der Stadt hält, erkennen wir schnell den Tahrirplatz, auf dem während der Revolution bis zu 2 Millionen Menschen demonstrierten. Es war der Tahrirplatz, auf dem im letzten Jahr die schwersten und blutigsten Auseinandersetzungen zwischen DemonstrantInnen und Staatsgewalt stattfanden. Dennoch ist dieser Platz keineswegs der einzige Ort in der Stadt, der an die Revolution und die kämpferische Bewegung erinnert. Während der nächsten Tage bekamen wir immer mehr Zeichen der revolutionären Ereignisse zu sehen.
Ganz in der Nähe des Tahrirplatztes war vor der Revolution die Parteizentrale Mubaraks. Heute ist das große Gebäude eine ausgebrannte Ruine. Die ausgebrannte Parteizentrale ist das eindruckvollste Zeichen der heftigen Straßenschlachten im letzten Frühjahr, bei denen die Massen nicht nur Gebäude der Regierung angriffen, sondern auch Polizeistationen im ganzen Land stürmten und zerstörten. In südlicher Richtung vom Tahrirplatz sind sämtliche Straßen durch Steinbarrikaden abgeriegelt, um ein Vordringen von DemonstrantInnen zu verhindern. Um in diesen Bereich hineinzukommen gibt es nur wenige passierbare Straßen und diese sind von Stacheldraht und Riotcops, Panzern und Soldaten bewacht.
Auch wenn es zur Zeit relativ ruhig ist in Ägypten und die noch stattfindenden Proteste meist nur einige hundert oder tausend Menschen auf die Straße bringen, so sind diese Bilder von Stacheldraht und Panzern doch deutlichen Zeichen dafür, wie angespannt die Herrschenden immer noch sind.
Nur eine Ecke entfernt von den Polizeibarrikaden trauern Menschen um Freunde und Verwandte, die während Demonstrationen und anderen Protesten getötet wurden. Die Gesichter der Toten sind in ganz Kairo an Wände gesprüht, um die Erinnerung an die Opfer des Kampfes zu wachzuhalten. In einer Seitenstraße des Tahrirplatzes wurden Blumen vor den Bildern der Toten abgelegt.
Parolen gegen das Regime sind in der ganzen Stadt zu sehen. Dennoch wird uns schnell klar, dass der Tahrirplatz auch ohne DemonstrantInnen das politische Zentrum der Stadt ist, nicht nur weil hier die meisten Grafitis gemalt und gesprüht wurden. Obwohl der Platz nicht mehr besetzt sind immer noch einige Zelte aufgebaut. In einem der Zelte wurden Bilder von brutalen Polizeiangriffen aufgehangen. Vor dem Zelt wurden abends oft Bilder von der Revolution an eine Leinwand gestrahlt. In einem anderen Zelt sind Bilder von Toten und Verletzten aus Syrien ausgestellt. Immer wieder finden sich kleiner Gruppen zusammen und diskutieren. Ein Mann, mit dem wir gesprochen haben, erzählte uns, dass er einfach so zum Tahrirplatz kommt, um zu gucken was dort passiert und um zu diskutieren.
Während der Zeit, in der wir in Kairo waren, haben wir aber nie mehr als ein paar hundert Menschen auf dem Tahrirplatz gesehen, von denen wohl viele auch einfach da waren, weil sie in der Nähe wohnen oder arbeiten. Wir konnten daher nur erahnen, was sich hier im letzten Jahr abspielte.
…nach Alexandria
Von der Hauptstadt ging es weiter nach Alexandria. Auch dort war der Protest groß und es versammelten sich im Stadtzentrum bis zu 700.000 Menschen während der Revolution, um gegen Mubarak und den Polizeistaat zu demonstrieren. Während der Fahrt vom Busbahnhof in die Stadt zeigt uns der Taxifahrer die Stellen, an denen die Polizei in die Menge schoss und viele DemonstrantInnen tötete. Als wir ihn fragen, ob er auch dabei gewesen ist, antwortet er uns: "Ja,natürlich! Alle waren da."
Viele Menschen in Kario und vor allem aber in Alexandria haben uns auf der Straße "Wilkommen in Ägypten" zugerufen, wenn wir durch die Stadt gelaufen sind. Es scheint bei vielen ein neuer Nationalismus entstanden zu sein, der sich mit dem Stolz auf den Sieg gegen Mubarak vermischt. Ganz bewusst gefördet wird dieser Nationalismus von der Militärregierung. An viele Stellen, zum Beispiel in U-Bahnstationen, wurden große Bilder vom mit DemonstrantInnen gefüllten Tahrirplatz aufgehangen. Am Flughafen und an Busbahnhöfen hingen große Plakate mit Zitaten von Obama, Berlusconi und anderen (ehemaligen) Regierungschefs, in denen das "ägyptische Volk" gelobt wird.
Es wird also von oben versucht, die Klassenunterschiede zu verstecken und durch einen gemeinsamen Nationalismus zu ersetzen, der alle ÄgypterInnen vereinen soll. Auch wenn diese Propaganda die Klassenunterschiede natürlich nicht aufheben kann, so entfaltet sie doch zumindest teilweise ihre Wirkung.
Graffiti
Wie oben schon gesagt, waren viele Wände sowohl in Kairo als auch in Alexandria mit Parolen, Bildern und anderen Motiven bemalt. Die revolutionäre Bewegung hat einen wichtigen Ausdruck in Form von Streetart und Graffiti gefunden. Viele Menschen (und Organisationen) bringen ihre politischen Ziele mit Farben an Mauern und Wänden an. Dabei kritisieren die Sprüche oft die Militärregierung: "Fuck SCAF" war an vielen Stellen sowohl in Kairo als auch in Alexandria zu sehen (mit SCAF ist die Militärregierung gemeint). Auch Parolen gegen die verhasste Polizei sind weit verbreiten. Gemalt werden die vielen Graffitis zu einem großen Teil von AnhängerInnen des Fußballvereins Al Ahly. Die Ultras dieses Vereines, in vielen Medien als Speerspitze der Revolution bezeichnet, verteidigten den Tahrirplatz in den ersten Reihen gegen die Angriffe der Polizei. Und auch jetzt nach dem Sturz Mubaraks scheinen die Ultras die Bewegung weiter in eine radikale Richtung zu treiben.
Eines der wohl bekanntesten Bilder ist direkt am Tahrirplatz gemalt worden. Das Bild ist ein Gesicht, dessen eine Hälfte Mubarak zeigt, während die andere Hälfte Tantawi darstellt, den Führer der Militärregierung. Diese Bilder sprechen eine deutliche Sprache und zeigen wie die vielen Sprüche den Unmut der Menschen über die Militärregierung.
Polizei und Militär
Vor unserer Reise nach Ägypten waren wir gespannt darauf, was für eine Sicherheitslage uns erwarten wird. Würden Polizei und Armee auf den Straßen patroullieren und willkürlich Menschen kontrollieren? Nach den ersten Tagen in Kairo waren wir überrascht, wie wenig Polizei in der Stadt zu sehen war. Außer Verkehrspolizisten waren die Ordnungshüter nur an wenigen Orten der Stadt präsent. Schnell erfuhren wir dann aber, dass es in der Stadt von Zivilpolizisten wimmelt. Kein Wunder, denn die herrschende Klasse kann es sich nicht leisten, die Bevölkerung unbeobachtet zu lassen. Und so gab es in der letzten Zeit wiederholt Verhaftungswellen, vor allem gegen JournalistInnen und FotografInnen, um die Bevölkerung einzuschüchtern und den Protest zu schwächen. Aber nicht nur wegen den Verhaftungswellen ist die Polizei in der Bevölkerung verhasst. Nach den vielen Jahren des Polizeistaates, der willkürlichen Kontrollen und Schikanen und der Folter durch die Handlanger des Staates gibt es niemanden mehr, der ihnen wohlwollend gegenübersteht.
Anders ist das beim Militär. Viele junge Ägypter leisten ihren Wehrdienst beim Militär. Deshalb ist die Verbindung der Soldaten zur Bevölkerung sehr eng und deshalb lehn(t)en es die Soldaten auch ab, auf DemonstrantInnen zu schießen. Doch es sind nicht nur viele Soldaten solidarisch mit der kämpfenden Bevölkerung, sondern viele Menschen gehen offen auf die Soldaten zu und diskutieren mit ihnen. Auf Demonstrationen wird ein Sprechchor gerufen, dessen Inhalt so viel heißt wie: Die einfachen Soldaten sind unsere Brüder und Schwestern, die Militärführung ist genauso wie Mubarak. Diesen Unterschied zwischen Führung und den einfachen Soldaten haben aber lange nicht alle ÄgypterInnen erkannt. Die meisten Menschen, die wir nach ihrer Haltung zum Militär fragten, schienen dem Militär insgesamt positiv gegenüber zu stehen und Vertrauen in die Regierung zu haben.
Die Revolution und ihre Akteure
Neben den oben beschriebenen sichtbaren Zeichen der revolutionären Zeit war es für uns natürlich vor allem interessant, mit den Menschen zu sprechen, die die Revolution selbst miterlebt haben. Ein Mann und eine Frau, mit denen wir diskutierten, haben während der Revolution auf dem Tahrirplatz gezeltet. Von ihnen zu hören, was dort passiert ist und wie sie es erlebt haben, war wirklich beeindruckend. Das Besondere dabei waren nicht nur die Berichte über die Ereignisse und Kämpfe, sondern die Art und Weise, wie sie davon erzählt haben. Es ist nicht zu übersehen, wie sehr die unmittelbar beteiligten Menschen von dem revolutionären Prozess beeinflusst und geprägt wurden. Die Frau, selbst gläubige Muslimin, hat während der brutalen Straßenschlachten als Krankenschwester in einem der provisorischen Krankenhäuser gearbeitet. Nachdem zwei Menschen vor ihren Augen gestorben sind, konnte sie wochenlang nicht richtig schlafen. Die Überzeugung, mit der sie uns ihre Sichtweise geschildert hat, war beeindruckend. Ihrer Meinung nach, "wurde der Mensch mit Ehre geschaffen. Und wenn ihm diese Ehre genommen wird, dann muss er dafür kämpfen, sie zurückzubekommen. Lieber sterben als ohne Ehre leben." Diese Worte von jemanden zu hören, der sein Leben auf dem Tahrirplatz riskiert hat, hat uns viel Motivation für die politische Arbeit hier gegeben.