Ende März waren die ersten 100 Regierungstage der Großen Koalition vorbei. Die Politiker bilanzieren die bisherige Politik mit einem großen „Weiter so!“ und die Medien pflichteten ihnen, trotz aller Kritik, bei. Laut einer Umfrage sieht jedoch die Mehrheit der Deutschen den Start der großen Koalition nach den ersten 100 Tagen kritisch. 55 Prozent sind weniger oder gar nicht zufrieden mit der Koalition aus CDU/CSU und SPD. Wie kann das sein? Immerhin zählt Deutschland doch zu den reichsten Ländern der Erde. „Wir“ sind mal wieder Exportweltmeister und die Handelsbilanz zeigt einen Rekordüberschuss von fast 200 Milliarden Euro für das Jahr 2013.
Ausnahmen für die Einen…
Ein Blick in den Geldbeutel zeigt schnell, dass die normale Bevölkerung nicht zu diesem „Wir“ gehört. Denn wenn wir mal, weitab der wirtschaftlichen Jubelmeldungen aus der Presse, Bilanz ziehen, sieht es düster aus. Der von der Regierung ausgehandelte „Mindestlohn ohne Ausnahmen“ ist ein Witz.
Nicht nur in Bezug auf die 8,50 Euro Brutto! Denn „ohne Ausnahmen“ heißt für die Regierung wohl etwas anderes als für uns: Jugendliche unter 18, Langzeitarbeitslose und Praktikanten werden ganz oder zumindest zeitweise von Mindestlohnregelungen ausgenommen. Klasse, dann können die vielen Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz finden, weil die Betriebe immer weniger ausbilden, sich dann weiterhin bis zum nächsten Jahr einen Aushilfsjob für 5 Euro die Stunde suchen. Die Generation Praktikum dürfte es wahrscheinlich ebenso freuen, sich weiterhin schlecht oder gar nicht bezahlt ausbeuten zu lassen. Und da man in Deutschland schon nach einem Jahr Arbeitslosigkeit als „Langzeitarbeitslos“ gilt, trifft diese Ausnahme einen großen Teil der Jobsuchenden.
Sich dann auch noch eine 10% Erhöhung der Diäten zu erdreisten, während Otto-Normal-Verbraucher weiterhin damit kämpft genügend Geld für Miete, Energie und Lebensmittel aufzutreiben, dürfte einiges zur Unzufriedenheit der Leute beigetragen haben.
…Geschenke für die Anderen
Man braucht gar nicht lang nach denjenigen zu suchen, die mit der Politik der Regierung (und ihren Vorgängern) sehr zufrieden sein können. Eine Studie des DIW stellt fest, dass die oberen Einkommensgruppen in den zehn Jahren zwischen 2002 und 2012 „ihren Vermögensbestand weiter ausbauen“ konnten, während das der unteren Gruppen teils stagnierte, teils sank. Kein Wunder, schließlich müssen die Reichen 35% weniger Steuern zahlen als vor zwanzig Jahren. An unzähligen Steuergeschenken, Subventionen und Aufträgen an Konzerne und Banken mangelte es auch nicht – ganz im Gegenteil! 10% des Haushalts kassieren die Banken direkt, als Zinsen für die Staatsschulden. Und auch die anderen Konzerne verdienen sehr gut. Allein die Rüstungskonzerne bekommen Aufträge im Wert von 10 Milliarden Euro.
Mehr und mehr
Doch anstatt Bescheidenheit und Zufriedenheit auszustrahlen, sind die großen Konzerne und Aktionäre getrieben von Profitgier: Sie fordern noch mehr Ausnahmen beim Mindestlohn und drohen mit Entlassungen. Die Krankenkassen drohen wiederum mit steigenden Zuzahlungen, sollte die Regierung tatsächlich die Kürzung der Zuschüsse um 6 Milliarden wahrmachen. Denn auf die vielen Millionen Überschüsse, die sie dank radikaler Kürzungen bei den Versicherten in den letzten Jahren erwirtschaften, wollen sie natürlich nicht verzichten.
Die Unternehmen stellen ihre Forderungen immer dreister. So zum Beispiel RWE. Sie schreien lauthals nach Milliardenhilfen vom Staat. Dabei sind die „Verluste“ nichts anderes als hingerechnet. Tatsächlich hat RWE 2013 Gewinn gemacht. Ganze 2,3 Milliarden. Doch da sie dreister weise festgelegt haben, dass ihre Kraftwerke fünf Milliarden Euro weniger wert wären als im letzten Jahr, haben sie aus einem Gewinn ganz schnell einen Milliardenverlust gemacht. So können sie weiter darauf hoffen, dass die Arbeitenden weitere Entlassungen und Kürzungen hinnehmen, der Staat die Milliarden locker macht und die Aktionäre weiterhin prächtig Profite scheffeln.
Den Spieß umdrehen
Von so manchem Verhalten der Unternehmen könnten wir uns einiges abschauen. Wir sollten unsere Unzufriedenheit ebenso so offen zur Schau stellen. Gründe haben wir jedenfalls genug! Unsere Forderungen sollten wir mit derselben Selbstverständlichkeit einfordern, und Druck ausüben, damit sie auch durchgesetzt werden! Denn was wir zum Leben mindestens brauchen sind 1500 Euro netto und 300 Euro mehr für alle Sozialleistungen! Wird Zeit, dass wir den Unternehmen unsere Rechnung präsentieren und uns nicht weiterhin von ihrer Jammerei täuschen lassen.