Die neue griechische Regierung ist mit großen Versprechen angetreten. Unter dem erpresserischen Druck der Troika konnte bislang allerdings kaum etwas von ihrem Programm umgesetzt werden. Ein paar Gedanken zur aktuellen Lage.
Politische Stimmung
Nach Jahren des öffentlichen Protests gegen die Auswirkungen von Krise und Sparpolitik mit über 30 Generalstreiks und Millionen Menschen auf den Straßen, ist mit der Wahl von SYRIZA der Konflikt auf eine institutionelle Ebene gehoben worden und gleichzeitig die Basismobilisierung zurückgegangen. Betriebsbesetzungen und andere radikale betriebliche Konflikte sind Einzelfälle.
Einerseits ist die griechische Arbeiter_innenklasse nach Jahren der Krise paralysiert, gewerkschaftliche Strukturen sind massiv geschwächt und viele Menschen mit der Organisation des täglichen Überlebens beschäftigt. Andererseits ist SYRIZA mit großen Versprechungen angetreten und hat von den Arbeiter_innen und Erwerbsarbeitslosen eine Frist erhalten, um sich zu beweisen. Neben Hoffnungen bestehen auch große Zweifel, was sich darin ausdrückt, dass es keine Arbeiter_innenopposition auf der Straße gibt, aber auch keine enthusiastische Unterstützung.
Das Programm von Thessaloniki, auf dessen Grundlage SYRIZA gewählt wurde, umfasst klassische keynesianische Forderungen (Erhöhung des Mindestlohns, Stopp von Privatisierungen, öffentliche Investitionen zur Unterstützung der Wirtschaft…). Im politischen Kontext von EU und Euro, sowie im ökonomischen Kontext von Schulden und Krise, ist dieses Programm im kapitalistischen Rahmen allerdings nicht umzusetzen.
Ein Putsch in Europa?
Troika und EU-Bürokratie haben kein Interesse daran, Griechenland entgegenzukommen, vielmehr soll ein Exempel gegenüber einer rebellischen Regierung statuiert werden. Momentan versucht die EU mit ökonomischem Druck, die griechische Regierung de facto zu stürzen, indem sie finanziell ausgehungert und an den Rande des Staatsbankrotts getrieben wird. Dadurch soll sie sich selbst entlarven, da so Wahlversprechen nicht umgesetzt werden und sich die Situation breiter Bevölkerungsschichten weiter verschlechtert.
Perspektivisch wäre auch eine Vorgangsweise ähnlich der Maidan-Bewegung in der Ukraine möglich, wobei sich die beiden Möglichkeiten nicht ausschließen. Wie in der Ukraine könnte eine rechte Opposition aufgebaut werden, die als „europafreundlich“ dargestellt wird, während SYRIZA in der Medienpropaganda als diktatorische Regierung aufgebauscht und somit weiter delegitimiert wird – somit könnte die Grundlage für eine putschähnliche Lösung geschaffen werden. PASOK und To Potami, die sich klar bereit erklärten, jede Vereinbarung mit den Gläubigern zu unterzeichnen, werden in der EU schon jetzt als die eigentlichen Bündnispartner behandelt. Dass die Goldene Morgenröte von einem Scheitern der SYRIZA stark profitieren wird, ist nicht auszuschließen, sondern sehr wahrscheinlich.
Die Entwicklungen haben bewiesen, dass die EU nicht reformierbar ist, sondern ein Instrument der europäischen KapitalistInnen, die bereit sind ihre Ziele mit allen Mitteln durchzusetzen.
Das Referendum
Die Antworten der EU-Eliten auf das griechische Referendum zeigen, wie sehr das ganze Geschwafel von „Demokratie“ und dem „Friedenprojekt EU“ den eigenen Interessen untergeordnet ist. Sich offen gegen ein Referendum zu stellen, bei dem die Bevölkerung eine Mehrheitsmeinung äußern kann, heißt nichts anderes, als „das Volk“ doch nicht entscheiden lassen zu wollen. Tsipras soll nicht das machen, was die Bevölkerung von ihm will, sondern nur der verlängerte Arm zur Umsetzung der Interessen der Kern-EU sein.
Beim Referendum wäre die griechische Bevölkerung gut beraten mit „Nein“ zu stimmen. Das wäre ein Zeichen sich nicht von der EU erpressen zu lassen und nicht mit einer Ja-Stimme das drakonische Spardiktat auch noch zu befürworten. Ein solches Referendum abzuhalten ist ein Schritt in die richtige Richtung, weil er für mehr Demokratie und Transparenz steht und durch einen gestärkten Rückhalt in der Bevölkerung ermöglicht, größeren Druck aufzubauen. Syriza hätte allerdings von Beginn an auf Mobilisierung und Einbindung setzen können, statt in Brüssel hinter verschlossenen Türen in klassischer Stellverter_innenlogik etwas auszumauscheln. Da sie mit dieser Strategie gescheitert sind, was eigentlich niemanden überraschend sollte, setzen sie nun aus Taktik und Eigeninteresse auf ein Referendum.
Sozialistische Perspektiven
Um der griechischen Bevölkerungsmehrheit einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen sind ein Bruch mit dem Memorandum und eine Streichung der Schulden nötig. Das wird wohl mit einem Rauswurf aus Euro und EU einhergehen. Kein Land kann international isoliert funktionieren, ein kleines und wirtschaftlich schwaches wie Griechenland schon gar nicht. Griechenland wird also Unterstützung brauchen, wenn auch nicht von IWF und EZB.
Es ist nötig ein Notstandsprogramm umzusetzen, das mittels einer zentralen Staatsbank und Vergesellschaftung der großen Betriebe Arbeitsplätze schafft und für Versorgung mit den elementaren Gütern und Dienstleistungen sorgt. Ein solches Programm bedeutet einen Bruch mit dem Kapitalismus.
Ein solcher Bruch ist nur möglich, wenn er auf die Arbeiter_innen in den Betrieben und die Menschen in den Stadtteilen gestützt ist, die solche Maßnahmen gegen das Kapital umsetzen und verteidigen können. Die Zukunft wird dadurch entschieden werden, ob es der griechischen radikalen Linken gelingt in den Betrieben und Stadtteilen Einfluss für diese Positionen zu bekommen und neue aufwallende Kämpfe mit dieser Perspektive geführt werden können.
Die Lage in Griechenland wird sich wieder dynamisieren und neue Massenbewegungen hervorbringen. Ein Auslöser könnte die Verteidigung SYRIZAS sein, sollte sie ihre „roten Linien“ gegen Troika und EU aufrechterhalten und deswegen noch härter attackiert werden, um von rechten Parteien ersetzt zu werden. Ein anderes auslösendes Moment könnte die totale Kapitulation SYRIZAS sein, die dann eine Spaltung und linke Opposition hervorruft. Neue Bewegungen werden den Raum darstellen, in dem antikapitalistische Kräfte für ihre Perspektiven kämpfen können. Es ist zu hoffen, dass der demoralisierende Effekt eines Scheiterns SYRIZAS nicht überwiegt, zuzuschreiben wäre er der unklaren und inkonsequenten Haltung der Regierung.
Internationale Revolution
Die griechische Regierung hätte statt auf intransparente Geheimverhandlungen zu setzen, diese Notwendigkeiten erklären sollen und damit versuchen, ihre Basis zu mobilisieren, um das Kräfteverhältnis zu verschieben. Auch wenn das Lavieren zwischen imperialistischen Blöcken vorübergehend Spielräume schaffen kann, hätte der Hauptappell an die Arbeiter_innen Europas und der Welt gehen sollen. Ein Appell für Solidarität mit Griechenland durch den konsequenten Kampf gegen ihre eigenen Regierungen.
Es ist verständlich, dass viele Menschen Bedenken haben, ob Griechenland außerhalb der EU überlebensfähig ist. Es ist auch verständlich, dass es viele Ängste gibt, weil in den meisten anderen europäischen Ländern keine linken Regierungen und solidarische Massenbewegungen abzusehen sind, von denen Unterstützung zu erwarten ist. Die Ausgangsbedingungen für einen Bruch mit der EU sind denkbar schlecht. Wenn Griechenland isoliert bleibt, hat es keine Perspektive, egal ob als kapitalistisches oder sozialistisches Land. Die Entwicklungen haben aber immer deutlicher gezeigt, dass es keine Alternative zu einer sozialistischen Gesellschaft und deren Ausweitung über Griechenland hinaus gibt.
Die beste Unterstützung für Griechenland ist es deshalb, die Kämpfe gegen Neoliberalismus und Kapitalismus und für eine sozialistische Gesellschaft in den jeweils eigenen Ländern zu führen, um die Unterstützung auf dieser Grundlage leisten zu können. Die Aufgabe der radikalen Linken in den anderen Ländern ist es gerade, die Positionen der griechischen Antikapitalist_innen und Revolutionär_innen zu verbreiten und in die eigenen Kämpfe einzubringen.