Kommentar der RSO Wien zur Bundespräsidentschaftswahl
Der erste Durchgang der Bundespräsidentschaftswahl hat vor allem eines mehr als deutlich gezeigt: Die Menschen in diesem Land haben die Politik der Regierung satt. Nur insgesamt 15 % der Wahlberechtigten haben ihre Stimme einem der beiden Kandidaten der Regierungsparteien gegeben. Während beinahe ein Drittel offensichtlich in keine der zur Auswahl stehenden PolitikerInnen irgendwelche Hoffnungen gesetzt hat und gar nicht erst zur Wahl gegangen ist, hat Norbert Hofer von der FPÖ die Frustration in der Bevölkerung für sich nutzen können und mit großem Abstand die meisten gültigen Stimmen erhalten. Die FPÖ gibt sich gerne als Vertreterin der kleinen Leute und Widersacherin der korrupten etablierten Großparteien – und das funktioniert. Der Wunsch, den herrschenden Parteien einen Denkzettel zu verpassen, ist so stark, dass er viele Hofer-WählerInnen das wahre politische Programm der FPÖ einfach vergessen oder übersehen lässt.
Denn in Wahrheit setzt sie sich genau wie die Regierungsparteien für die Profitinteressen der österreichischen Banken und Konzerne ein. Die FPÖ hat in Abstimmungen bisher noch jeder Kürzung unserer Sozialleistungen, jeder Einschränkung unserer Arbeitsrechte und jeder Steuersenkung für die Reichen zugestimmt und sie in Regierungsbeteiligungen selbst umgesetzt. Schlimmer noch: Sie versucht, uns gegeneinander aufzuhetzen, statt uns in unserem Kampf für ein sorgenfreies und selbstbestimmtes Leben zu unterstützen. Herr Hofer echauffiert sich gerne über den türkischen Präsidenten Erdoğan, weil dieser in seinem Land Frauen und Minderheiten unterdrückt und immer mehr demokratische Freiheiten beseitigt. Tatsächlich würde die FPÖ in Österreich allerdings am liebsten genau solche Verhältnisse einrichten.
Hofer stoppen?
Norbert Hofer als Bundespräsident ist alles andere als wünschenswert und es ist daher völlig verständlich, dass derzeit viele Menschen bestürzt sind und Hofer mit einer Stimme für Van der Bellen verhindern wollen. Man sollte allerdings über die Bedeutung eines Sieges von Van der Bellen keine Illusionen haben. Selbst das würde für den Aufstieg der extremen Rechten in Österreich nur eine kleine Verzögerung bedeuten. Solange die herrschende Politik unsere Sorgen und Existenznöte nicht beachtet, solange keine glaubwürdige Kraft die Interessen der ArbeiterInnen und Arbeitslosen in diesem Land vertritt, solange wir uns diese Zustände gefallen lassen, wird die FPÖ von Wahlsieg zu Wahlsieg eilen und das gesellschaftliche Klima wird rauher werden. Ebenso sollte man sich keine großen Hoffnungen machen, dass Van der Bellen als Bundespräsident der rechten Politik der nächsten Regierung, der die FPÖ aller Voraussicht nach angehören wird, irgendetwas Wirksames entgegenstellen kann oder wird.
Genau hier liegt die Gefahr, wenn die Stichwahl zwischen Hofer und Van der Bellen zu einer „Schicksalswahl“ wird: die Aufregung und die Emotionen sind sehr groß – und die Enttäuschung und Demoralisierung umso größer, sollte Hofer gewinnen oder die FPÖ in der nächsten Regierung sitzen. In den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es unzählige solcher „Schicksalswahlen“, bei denen es galt, „gegen die FPÖ“ zu wählen. Am Aufstieg der FPÖ hat das alles nichts geändert… Jedoch wurde damit das eigentlich Entscheidende verabsäumt: eine wirkliche linke Alternative aufzubauen, die in Betrieben, Schulen, Unis und Wohnvierteln präsent ist.
Und dann?
Viele Stimmen gehen an die FPÖ, weil immer mehr Menschen die reale Erfahrung machen, dass sie in keinster Weise mitbestimmen können, was in unserer Gesellschaft passiert und sie keine Perspektive sehen, wie sich das ändern kann. Viele FPÖ-WählerInnen glauben gar nicht unbedingt daran, dass die FPÖ eine solche Veränderung zustande bringen würde – aber zumindest haben sie es den Regierungsparteien und dem Establishment „gezeigt“.
Als Linke dürfen wir nicht die Illusion nähren, dass Wahlen eine Möglichkeit sind, wirklich mitzubestimmen oder etwas zu verändern. Entscheidend ist, was nach und zwischen den Wahlen und außerhalb des Parlaments und der Hofburg passiert. Davon sollten wir versuchen, Menschen zu überzeugen: dass sie mit uns aktiv für eine andere Gesellschaft kämpfen. Das ist das einzige Mittel, dem Aufstieg der FPÖ wirklich etwas entgegenzusetzen und Probleme zu lösen. Daher sollten wir sehr vorsichtig damit sein, uns eine „Schicksalswahl“ aufzwingen zu lassen und damit die Empörung vieler Menschen wegen des Rechtsrucks auf eine Wahlentscheidung zu kanalisieren. Denn genau davon müssen wir wegkommen…