Diese Meldung entfachte Diskussionen: Die SPÖ und das Liberale Forum (LIF) haben die Bildung einer gemeinsamen Wahlallianz für die kommenden Nationalratswahlen bekannt gegeben. Der Clou: Alexander Zach, Bundessprecher des LIF, bekommt ein fixes Mandat auf der Bundesliste der SozialdemokratInnen, im Gegenzug rufen die Liberalen zur Wahl der SPÖ auf. SP-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos erwartet sich von dieser Zweckehe ein zusätzliches Potential von 1 – 3% der Stimmen und verteidigt den Pakt damit, "dass es eine breitere Basis gegen die Politik Schüssels gibt, als die ÖVP annimmt."
Dieses Bündnis ist ein weiterer Schritt bei der Neoliberalisierung der Sozialdemokratie. Zwar vertritt das LIF im gesellschaftspolitischen Bereich (Drogenpolitik, gleichschlechtlichte Ehe, MigrantInnen, etc.) recht fortschrittliche Positionen, sozial- und wirtschaftspolitisch aber stehen die Liberalen eindeutig rechts. Abbau des Sozialstaats, weitere Privatisierungen, Abschaffung von Ladenöffnungsregulativen oder Arbeitsschutzbestimmungen … all das und noch viel mehr findet sich im Grundsatzprogramm des LIF. Garniert wird diese Politik mit einer absolut abgehobenen Herangehensweise, die wohl am klarsten im akademischen Sprachstil der Parteigründerin Heide Schmidt zum Ausdruck kommt.
Viele Liberale träumen von einer freien Marktwirtschaft, wie sie historisch gesehen lediglich in den Büchern verwirrter WirtschaftsprofessorInnen existiert hat. Aber eine solche Marktwirtschaft gefällt nicht einmal dem Großteil der KapitalistInnen. Sie brauchen einen starken Staat, der als "individueller Gesamtkapitalist" (Engels) in den Wirtschaftsprozess interveniert und dazu imstande ist, die oftmals widersprüchlichen Interessen der Einzelunternehmen unter einen Hut zu bekommen. Dies ist einer der Gründe, warum sich nur die wenigsten Bürgerlichen für das Liberale Forum interessieren – ihre Interessen werden in Österreich immer noch am besten von der ÖVP vertreten. Dazu kommt, dass das österreichische Bürgertum traditionell sehr konservativ eingestellt ist. Letztendlich stellt das LIF eine bürgerliche Partei dar, die mit dem Versuch, mittels linker Stimmen rechte Politik zu machen, gescheitert ist. Ginge es nach uns, könnten die Liberalen ja in Frieden ruhen. Es bleibt der SPÖ-Führung überlassen, dieser politischen Leiche neues Leben einzuhauchen.
Quo vadis, SPÖ?
Was ist der Grund für Gusenbauers Schachzug? Offenbar giert die SP-Spitze nach neuen WählerInnen-Schichten bei gleichzeitiger zunehmender Vernachlässigung der traditionellen AnhängerInnenschaft. Mit dem Neoliberalen Forum im Rücken und der Ankündigung, die hochgelobten "Klein und Mittelunternehmen" (die in Wirklichkeit um nichts besser sind als die "bösen" Großkonzerne, meistens sogar noch schlechtere Arbeitsbedingungen und geringere Löhne aufweisen) zu entlasten, will die Gusenbauer-Clique anscheinend liberale ÖVP-WählerInnen abwerben. Was aber will sie für NiedriglohnbezieherInnen machen? Was für PensionistInnen? Was für Lehrlinge? Gusenbauer verspricht, die Jugendarbeitslosigkeit halbieren zu wollen, also wieder auf das Niveau der Sparpaket-Regierungen unter den SP-Kanzlern Vranitzky und Klima zu senken.
Laut Gusenbauer, Darabos und anderen SP-Spitzen geht es um ein "breites Bündnis" gegen den "konservativen, von sozialer Kälte geprägten Kurs des Wolfgang Schüssel und gegen die falsche Ausrichtung der Politik dieser Regierung". Hochinteressant! Wenn die vermutlich zweitstärkste Partei Österreichs ein Bündnis mit einer "weniger als 1%"-Partei eingeht, handelt es sich nach sozialdemokratischer Logik also um zusätzliche "Breite". Konsequenterweise müsste die SPÖ also auch gemeinsam mit der KPÖ oder anderen linken Listen zur Wahl antreten und dem KP-Spitzenkandidaten Mirko Messner einen Fixplatz im Parlament garantieren. Immerhin wurde die KPÖ bei der letzten Landtagswahl in der Steiermark mit 6,3% drittstärkste Kraft, erreichte bei den Gemeinderatswahlen in Wien 2005 1,47% (zu diesen Wahlen trat das LIF nicht einmal an) und lag bei den letzten Nationalratswahlen nur etwa 0,4% hinter den Liberalen.
Nun denn, warum wird die SP-Führung nie auf diese Idee kommen? Ganz einfach: Einerseits offen nach rechts und in Richtung neoliberaler und bürgerlicher Parteien zu schielen und andererseits mit aller Kraft nach links und in Richtung anderer Parteien der ArbeiterInnenbewegung zu treten ist eisernes Prinzip der österreichischen Sozialdemokratie. Mit dem Durchpeitschen der Eisenstädter Erklärung von 1969 (Anm: Beschluss, jedwede Zusammenarbeit mit der KPÖ abzulehnen,) im proletarischen und gewerkschaftlichen Milieu trug die SPÖ wesentlich zum in der österreichischen Gesellschaft tief verankerten Antikommunismus bei.
Während KapitalistInnen, ManagerInnen und der sogenannte "Mittelstand" bei den SozialdemokratInnen hochwillkommen sind, werden "fremde" ArbeiterInnen-Organisationen wild bekämpft. Und während Gusenbauer keine GewerkschaftsführerInnen mehr im Parlament sehen will, öffnet er dem neoliberalen Forum Tür und Tor. Freilich könnte eingewendet werden, dass die Herren Verzetnitsch, Nürnberger und Co. im Parlament ohnehin nicht die Interessen der Lohnabhängigen vertreten haben. Das ist zweifelsohne richtig. Aber hier geht es ums Prinzip: Eine Partei, die gemeinhin als Partei der ArbeitnehmerInnen gilt und die von großen Teilen der politisch bewusstesten und gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten in Österreich als "ihre" Partei gesehen wird, versperrt GewerkschafterInnen den Zugang zum Parlament!
Weg mit Schüssel! Und dann?
Naturgemäß können sich die SPÖ-Spitzen für ihre eigenen Ideen begeistern. Die Parteibasis der Sozialdemokratie wird sich für diesen Flirt wohl eher weniger erwärmen können. Wo bleiben die Reaktionen der Parteilinken, die sich momentan wohl am ehesten noch in der Sozialistischen Jugend konzentriert? Wie viele linke SJ-lerInnen dürfen eigentlich auf aussichtsreichen Listenplätzen kandidieren? Höchstwahrscheinlich werden die GenossInnen in der SJ nicht besonders erfreut über das Bündnis mit dem LIF sein. Den Kofferträger für die SPÖ werden sie im Wahlkampf trotzdem machen. Mit ihrer aktuellen "Ich wähl mein Leben zurück"-Kampagne schüren sie unter linken und kämpferischen Jugendlichen Illusionen in einen Politikwechsel durch eine SPÖ-geführte Regierung. Zwar geben die Linken in der SJ durchaus zu, dass mit dieser verkommenen Partei zwar ein Staat, aber keine Politik für ArbeiterInnen und Jugendliche zu machen ist. Aber unter dem Motto "holen wir uns unsere Partei zurück" wollen sie uns weißmachen, es müsste nur die Führung der SPÖ ausgetauscht werden, und, schwupsdiwups, hätten wir eine echte sozialistische Partei. Ein fataler Irrglaube.
Natürlich verstehen wir den Wunsch vieler, der Schüssel-Regierung endlich ein Ende zu setzen. Aber die ÖVP muss weg, nicht weil sie die ÖVP ist, sondern weil sie neoliberale und reaktionäre Politik macht. Das Problem dabei ist: Die Sozialdemokratie macht es nicht besser. Der Sozialabbau wurde nicht von Schwarz-Blau begonnen, sondern von SP-geführten Regierungen mit ihren Sparpaketen und Steuererleichterungen für Reiche. Deshalb ist eine Stimme für die SPÖ (oder auch für die Grünen) keine Stimme gegen Sozialabbau. In einer Zeit wie dieser, in der der Kapitalismus immer tiefer in die Krise schlittert und keine Lösungen für die dringlichsten Probleme der Menschheit zu bieten hat (da er diese ja selbst produziert hat) ist es unmöglich, Politik für die arbeitende Bevölkerung zu machen, wenn mensch sich weigert, das Kapital ernsthaft anzugreifen. Alle sozialdemokratische Regierungen Europas in den letzten Jahren und Jahrzehnten haben Sozialabbau betrieben. Nicht weil sie unfähig waren, sondern weil sie sich im Rahmen der Profitlogik des Kapitalismus bewegten.
FPÖ profitiert vom Rechtsruck der SPÖ!
Die SPÖ spielt für das österreichische Kapital traditionell die äußerst wichtige Rolle, die ArbeiterInnenbewegung ruhig zu halten. Doch die arbeitende Bevölkerung Österreichs hat diese Ruhe zunehmend satt. Die fortschrittlichsten Elemente, die momentan noch eine kleine Minderheit darstellen, suchen links der SPÖ nach Alternativen. Ein immer größerer Teil verfällt in Apathie und Perspektivlosigkeit und nimmt an den Wahlen nicht teil. Und ein beträchtlicher Teil der rückständigeren Elemente der ArbeiterInnenklasse wendet sich der FPÖ zu. Für die beiden letztgenannten Gruppen gibt es auf der Linken momentan keine annehmbare Alternative. Es gibt keine Partei, die stark genug ist und die die ArbeiterInnen dort abholt, wo sie stehen (ohne natürlich dabei die rassistischen Vorurteile der FP-WählerInnen zu teilen, zu verteidigen oder gar zu reproduzieren). Die oftmals intellektuell abgehobene und mit dem Kainsmal des Stalinismus behaftete KPÖ kann diese Rolle jedenfalls nicht spielen. In dieses Vakuum stößt die FPÖ.
Die Freiheitlichen (Anm.: Die Partei von H.C. Strache) sprechen im Fall SPÖ-LIF übrigens von einem "Kniefall vor dem Heuschreckenkapitalismus" bezeichnen die SPÖ als "neoliberale Wirtschaftspartei" und wollen "künftig die Interessen der Arbeitnehmer kompetent (…) vertreten". FPÖ-Vizebundesparteiobmann Norbert Hofer fordert Alfred Gusenbauer u.a. dazu auf, zu folgenden Stellen aus dem Programm des LIF, welches sich "gegen vitale Interessen der österreichischen Arbeitnehmer" stellt, Stellung zu nehmen:
"… Die Privatisierung staatsnaher Unternehmen ist konsequent weiterzuführen, bestehende staatliche Marktbeschränkungen sind weiter abzubauen …"
"… Die Ladenöffnungszeiten sind weitgehend freizugeben, damit Österreichs Unternehmen selbst entscheiden können, welche für sie die günstigsten Offenhaltezeiten sind …"
Die FPÖ hat also festgestellt (Gratulation!), was wir bereits seit Jahren sagen: Dass das Liberale Forum ungehemmte Politik fürs Kapital machen will. Doch die Kapitalismuskritik der FPÖ ist unglaubwürdig, platt und falsch. In der neuen Sondernummer des Morgenrot anlässlich der kommenden Nationalratswahlen schreiben wir darüber:
"Erstens wurden die Freiheitlichen stets von zahlreichen österreichischen GroßkapitalistInnen finanziert (z.B. vom Waffenfabrikant Gaston Glock, der deutschen Kaufhauserbin Heidi Horten, dem Lebensmittelfabrikanten Georg Mautner Markhof, Billa-Chef Veit Schalle und Friedrich Karl Flick, einem der reichsten Männer Europas). Zweitens haben sie sich in der Vergangenheit immer wieder für Konzepte wie eine Flat Tax (gleicher Steuersatz für alle!) ausgesprochen und zahlreiche Sozialabbau-Vorschläge gemacht. Drittens ist die Trennung in bösen ausländischen "Raubtierkapitalismus" und guten österreichischen Kapitalismus absurd. Es gibt keine "guten" oder "bösen" KapitalistInnen – sie alle handeln nur nach den Gesetzen des kapitalistischen Markts, der sie dazu zwingt, die Löhne zu senken oder Stellen abzubauen. Viertens und vor allem hat diese Partei in der Regierung von 2000 bis 2005 den Sozialabbau führend vertreten."
Wo war der Pseudo-Robin Hood HC Strache eigentlich in diesen Jahren? Interessant also, wie eine Partei nun in Opposition gegen ihre eigene Politik geht. Und während die möchtegern-antikapitalistischen Anklagen der FPÖ heuchlerisch sind, so sind ihre Lösungsvorschläge zutiefst reaktionär. Nicht die Konzerne, die tagtäglich Stellen abbauen sind schuld an der Arbeitslosigkeit, nein, die MigrantInnen sollen für die Krise des Kapitalismus büßen.
Klar ist aber auch, dass die sozialen Töne der Freiheitlichen bei gleichzeitiger Unfähigkeit und Unglaubwürdigkeit der SPÖ, wenn es um die Vertretung von ArbeiterInnen-Interessen geht, zahlreiche WählerInnen vom rosa-roten ins blaue Lager bringen wird. Dieser Trend ist zwar traurig, aber mittel- und längerfristig nicht unaufhaltsam. Vorrausetzung für eine Trendwende ist jedoch eine tatsächlich antikapitalistische Alternative. An dieser gilt es zu arbeiten …