Die Aktualität der Konzepte marxistischer TheoretikerInnen, die seit Jahrzehnten tot sind, der politisch aktiven Jugend von heute zu vermitteln, ist nicht immer ganz einfach. Oft bedarf diese Aufgabe einer gewissen Kreativität. Doch ein Konzeptalbum für Leo Trotzki zu schreiben, wäre nicht einmal uns eingefallen.
Genau auf diese Idee kam just die populäre US-amerikanische Ska-Punk-Band "Catch 22". Auf ihrer neuen CD, die den wohlklingenden Titel "Permanent Revolution" trägt, widmen sie sämtliche 11 Songs dem Leben und Wirken des russischen Revolutionärs und marxistischen Theoretikers Leo Dawidowitsch Bronstein, besser bekannt unter dem Pseudonym Trotzki. Jedes Lied behandelt eine bestimmte Periode aus Trotzkis Leben und ist dazu mit einer Jahreszahl gekennzeichnet.
Wie kommt's? Lassen wir Catch 22 selbst zu Wort kommen. Pat Kays, Bassist der Band erklärt: "Trotzki ist ein faszinierender Mensch, dem wir uns in verschieden Weisen verbunden fühlen können. Seine Geschichte schlägt eine mächtige Brücke in unsere heutige Zeit und Realität. So ist dieses Album entstanden. Wir wollten unbedingt etwas machen was auch einen Sinn ergibt und nicht nur eine bessere Alternative zu Pop-Punk."
Ein Leben in 33 Minuten
Die Jungs von Catch 22, die bislang nicht als übermäßig politische Band aufgefallen sind, haben zweifelsohne einiges gelesen. Und wie es scheint, nicht unbedingt das Schlechteste. 33 Minuten lang geht es um Trotzkis Verbannung nach Sibirien, seine Rolle in der Oktoberrevolution, Lenins Tod oder den konterrevolutionären Charakter des Stalinismus. Bereits im Prolog werden Catch 22 eindeutig und lassen keine Zweifel offen, wem ihre Sympathien gehören:
"Suspend your disbelief in revolution,
Their solutions were a way for them to change the world they lived in
The rich stay rich, the poor got even poorer
And the world engulfed in war only added to the horror"
("Trenn dich von deinem Zweifel an die Revolution
Ihre Lösungen waren für sie ein Weg die Welt in der sie lebten zu verändern
Die Reichen blieben reich, die Armen wurden sogar nur noch ärmer
Und die Welt, verschlungen vom Krieg, trug zum Horror nur bei")
Über die Siege der von Trotzki geführten Roten Armee im Russischen BürgerInnenkrieg (1918-21) gegen die konterrevolutionären Armeen der alten AusbeuterInnen singen die Ska-Punker:
"Some may want to say that were killers
But we do what we must
And we feel we are just
Cutting off the head of the imperial serpent
Taking back the land for the hands
That have worked it."
("Einige werden meinen, dass wir Mörder sind
Aber wir tun nur was wir tun müssen
Und wir fühlen, dass wir im Recht sind
Wir haben der imperialistischen Schlange den Kopf abgeschlagen
Und das Land in die Hände zurückgelegt, die es erschaffen hatten")
Doch der BürgerInnenkrieg hatte die junge Sowjetunion ökonomisch ausgeblutet. In dieser dramatischen Situation, in der ein "Sozialismus" des Mangels und nicht des Überflusses herrschte, entstand eine privilegierte, parasitäre Bürokratie an deren Spitze Stalin stand. Auch über den aufkommenden Stalinismus berichten Catch 22. Im Lied "Bad Party (1927)" spielen sie auf Lenins Testament an, in dem er Stalin als "zu grob" und unloyal bezeichnete und seine Ablöse als Generalsekretär der Kommunistischen Partei forderte. (Im Gegenzug dazu nannte er Trotzki den "fähigsten Mann im Zentralkomitee" …)
"Expatriate one hundred and then shoot a thousand more.
Expel the opposition to your centrist Thermidor!
The rudeness and disloyalty about which Lenin spoke
have now become the cords that are wrapped around your throats."
("Einhundert verbannt und dann mehr als tausend erschossen
Die Opposition ausgeschlossen, der zentristische Thermidor am Zug
Die Grobheit und fehlende Loyalität über die Lenin gesprochen hatte
wurden nun zur Schlinge, die sich um unsere Hälse legt")
Fast schon poetisch schildern die Musiker die vom Stalinismus geforderte und geförderte Unterordnung der revolutionär gesinnten ArbeiterInnenbewegung in aller Welt unter die Interessen des von Stalin auserkorenen "Vaterlands der Werktätigen":
"You put the light of Socialism high up on a shelf
and in effect prevented it from spreading somewhere else."
("Ihr hebt das Feuer des Sozialismus unerreichbar in die Höhe und verhindert damit, dass es sich irgendwo anders ausbreiten kann")
Jahrzehnte vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion warnte Trotzki davor, dass der "Sozialismus in einem Land", wie in Stalin propagierte, nicht funktionieren könnte. Doch alle Warnungen nützten nichts. 10 Jahre später hatte Stalin als Diktator die Sowjetunion im Würgegriff. In den großen Säuberungen im Jahr 1936 enthauptete er die Oktoberrevolution entgültig. Tausende RevolutionärInnen von 1917 verloren ihr Leben. Trotzki aber kämpfte weiter für das Erbe der Russischen Revolution. 1938 gründete er die "Vierte Internationale". 1940, kurz vor seiner Ermordung durch den stalinistischen Geheimagenten Ramon Mercader, schrieb er: "Mein Glaube an eine kommunistische Zukunft ist heute noch stärker als in meiner Jugend." Auch darüber hören wir bei Catch 22:
"Bureaucracy and hypocrisy are contagious and make us all victims eventually.
You can take my life from me, but we will do it all again.
The seeds of truth will grow.
The people will know of the visions that we have endeavored to show.
And like the river we will flow.
We Will do it all again."
("Bürokratie und Hypokratie sind ansteckende Krankheiten, die uns letztendlich alle zu Opfern machen
Ihr könnt mein Leben nehmen, wir werden dennoch alles wieder tun
Die Saat der Wahrheit wird wachsen
Die Leute werden von den Visionen erfahren, für deren Verbreitung wir strebten
Wie ein Fluss werden wir fließen
und alles wieder tun")
Sommer, Sonne, Sozialismus …
Inhaltlich lässt "Permanent Revolution" das sozialistische Herz höher schlagen. Catch 22 geben dem Ska-Punk die Radikalität zurück, die er in den letzten Jahren zunehmend verloren hat. Schließlich waren die Wurzeln dieser Musikrichtung – einerseits der antirassistische Ska, andererseits der Punk, die Protestmusik schlechthin – zumeist politisch links geprägt.
Musikalisch betrachtet bietet die CD soliden Ska-Punk mit einem Schuss Reggae, wobei sich fetzige und relaxte Passagen in etwa die Waage halten. Der Ernsthaftigkeit des Themas werden Catch 22 freilich nicht immer gerecht. Die Moskauer Schauprozesse waren vermutlich nicht so fröhlich wie ihr Lied "The Purge (1936)". Der aufrüttelnde "Party Song (1917)" passt da schon eher zur euphorischen Aufbruchsstimmung der Oktoberrevolution.
Zwar kommt die CD nicht an Klassiker des Genres heran, der Großteil der Lieder geht aber durchaus ins Ohr. Unterm Strich machen die originelle Idee des Albums und nicht zuletzt auch das hübsche Booklet "Permanent Revolution" aber zu einem Kauftipp für Fans dieser Musikrichtung. Musik für den Sommer. Do the Trotzki-Dance!
Homepage von Catch 22:
www.njcatch22.com
Permanent Revolution
1. Prologue
2. Spark (1902)
3. Party Song (1917)
4. Decembrists' Song (1921)
5. Minor Point (1922)
6. On the Black Sea (1924)
7. Bad Party (1927)
8. Alma Ata (1928)
9. Purge (1936)
10. Opportunity (1940)
11. Epilogue