Zig-Tausende Menschen protestieren nicht nur in den USA,sondern in über 100 Städten auf der ganzen Welt gegen den US-Krieg in Afghanistan — und setzen damit deutliche Signale gegen die hegemoniale Herrschaftsausübung der USA. In London haben 50.000 demonstriert, in Berlin 70.000 und Zehntausende in verschiedenen Städten der USA. Angesichts der breiten Protestwelle darf man die Potentiale und Schwächen der Anti-Kriegsbewegung aber nicht aus dem Blick verlieren und sich zu Kurzschlussanalysen verleiten lassen — nicht zuletzt was die Auswirkungen auf die Anti-Globalisierungs-Bewegung betrifft.
Diese Bewegung steht auf dem Scheideweg. Durch die gegenwärtige staatliche Repression in die Defensive gedrängt, steht sie vor einem Ausdifferenzierungsprozess: Das Spektrum der kleinbürgerlichen Globalisierungskritiker/innen setzt auf eine weiche und zurückhaltende Linie und versucht sich die mühsam aufgebauten Kontakte mit Teilen des Establishments nicht zu verderben. Allerdings ist es fraglich, ob es das Kapital in dieser "günstigen" Situation noch für notwendig erachtet, diesen wenngleich nicht gefährlichen, aber immerhin "lästigen" Kritikern politische Zugeständnisse zu machen… Die politische Offensive, das "Gute" gegen das "Böse" auszuspielen, welche sich schon bei den letzten großen Demonstrationen (Genua, Göteborg) sehr bewährt hat – und nun auch außenpolitisch seine Anwendung findet — wird mit zunehmender Schärfe fortgesetzt. Da die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber "Maßnahmen gegen die Terroristen" deutlich gestiegen ist, hat es die Polizei auch weniger nötig als früher, ihre Gewaltausbrüche zu rechtfertigen. War vor den Anschlägen seitens des Staats noch eine gewisse Sorge da, dass die Repressionsorgane mit diversen "Ausrutschern", wie dem Toten in Genua, in der Öffentlichkeit in ein schiefes Licht geraten könnten, dürfen sie sich im Namen der Sicherheit jetzt praktisch alles erlauben.
Ob die herrschende Klasse damit auch durchkommt, ist allerdings nicht gesichert. Das wird auch davon abhängen, welche politische Orientierung sich in der Bewegung gegen den Krieg durchsetzen wird: zahnloser Pazifismus, der mit weinerlichen Appellen an die Herrschenden das "Ende der Gewalt fordert", oder revolutionärer Antimilitarismus, der durch Mobilisierungen versucht, Sand ins Getriebe der imperialistischen Kriegsmaschinerie zu streuen?
Kaum waren die ersten Friedenstauben aufgestiegen, haben etliche wohlmeinende bürgerliche Kommentatoren und einige auf rasche Erfolge hoffende Linke schon die Geburt einer neuen Friedensbewegung heraufbeschworen. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass die gegenwärtigen Mobilisierungen äußerst heterogen sind. Die Pazifist/inn/en im engeren Sinn (manche Grüne, linke Christ/inn/en etc.) lehnen den Krieg zumeist aus einem ethisch oder religiös bedingten Bekenntnis zur Gewaltfreiheit ab. Diejenigen unter ihnen, die nur diesen Aspekt in den Vordergrund stellen, fordern letztlich die Rückkehr zu den Friedenszeiten, mit anderen Worten zum kapitalistischen Alltag.
Andere Pazifist/inn/en, die gegen den Krieg sind, begnügen sich dagegen nicht mit dem Ziel des "friedlichen" Alltags im Kapitalismus, sondern verknüpfen ihre Forderung nach Frieden mit der Forderung nach einer Humanisierung und Regulierung des kapitalistischen Systems. Als beispielhaft für diese Haltung kann ein relevanter Teil der Globalisierungskritiker angeführt werden. Konkret handelt es sich dabei um die kleinbürgerlichen Globalisierungskritiker/innen wie Attac und Raison d’Agir (Pierre Bourdieu) aus Frankreich, wie Susan George, Naomi Klein und Walden Bello aus Nordamerika oder — als linkere Spielart — der Postfordismus eines Toni Negri, die die Anti-Globalisierungsbewegung zwar nicht organisatorisch, aber medial und teilweise auch ideologisch dominieren. (siehe AGM-Stellungnahme Von Seattle bis Genua). Angesichts ihrer fehlenden anti-kapitalistischen Perspektive und ihren Illusionen in die demokratischen Rechte innerhalb des Kapitalismus kommt es nicht unerwartet, dass diese Leute im Kampf gegen den Krieg nach "einer zivilisierten Antwort auf den Terrorismus" rufen und auffordern, "zu Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht" zurückzukehren. Ihr Leitgedanke dabei: Der Schuldige (der Terroranschläge) soll gesucht und vor Gericht gestellt werden. Diese Friedensbewegten haben die "kritische" Erkenntnis, dass eigentlich die "neoliberale Globalisierung" schuld an allem sei, und es zur Bekämpfung des Terrorismus schon einer "tiefgründigeren" Lösung bedarf — wie etwa der Tobin Tax.
Krieg ist keine Lösung — eine Losung, der sich nicht nur das eben erwähnte kleinbürgerliche Spektrum der Globalisierungskritiker bedient, sondern auch ein Teil der radikalen Linken — bemerkenswerterweise der Teil der radikalen Linken, der sich auch schon im Rahmen der Anti-Globalisierungsbewegung mit politischer Anpassung an die kleinbürgerlichen Globalisierungskritiker/Innen "profiliert" hat. Was ist nun das Fatale an dieser Losung? Man suggeriert mit deren Anwendung, dass es innerhalb des Kapitalismus für den Terrorismus eine andere Lösung als den Krieg gebe — Stichwort: Diplomatie und soziale Sicherung. Außerdem begibt man sich damit unweigerlich in die Logik der kapitalistischen Kriegstreiber, die genau vorgeben, wer gut und wer böse ist. Allein wenn man nach einer "Lösung" für den Terrorismus sucht, akzeptiert man das Definitionsmonopol der Imperialisten.
In verschiedenen Ländern haben sich ad hoc Bündnisse formiert, die vor allem gegen Krieg und Rassismus auftreten. Ihr strategisches Konzept sieht oft so aus: Eine gute Plattform müsse möglichst viele Stimmen gegen den Krieg zulassen und demzufolge auch vielen verschiedenen Aktionen Raum geben – die amerikanische NCPJ (National Coalition for Peace and Justice) setzt z.B. darauf, mit E-Mails Druck auf Bush und Powell auszuüben. Getreu dem Motto der Bunt- und Offenheit speisen sich diese Bündnisse einerseits aus vielen unorganisierten Individuen und andererseits aus allen möglichen bereits bestehenden Organisationen. Sie verfügen über keine einheitliche Perspektive und machen nur einen Teil der gesamten Anti-Kriegsbewegung aus. Ein weiterer Teil der Mobilisierungen besteht aus islamistischen Kräften, bei denen sich antiimperialistische und religiös-reaktionäre Slogans mischen.
Zumindest in Europa wird die Anti-Kriegsbewegung aber von der Linken bzw. der Arbeiter/innen/bewegung dominiert. Was die Mobilisierungskontingente betrifft, sind die Organisationen der "traditionellen" Linken, wie auch in der Anti-Globalisierungsbewegung, die Haupttriebkräfte. D.h. je mehr die Gewerkschaften und reformistischen Parteien in den einzelnen Ländern unter dem Druck einer kämpferischen Basis stehen, umso stärker unterstützen sie auch die Demonstrationen. Dass das Ausmaß und der Charakter der Mobilisierungen real sehr stark vom Zustand der Linken in den verschiedenen Ländern abhängt, zeigte sich schon eindrücklich im Rahmen der Anti-Globalisierungsbewegung: im Gegensatz zu Salzburg dokumentierte die – unter massiver Repression stattfindende – Mobilisierung von 200.000 bis 300.000 Menschen in Genua die Stärke der italienischen Linken und Arbeiter/innen/bewegung. Auch die bisherigen Anti-Kriegsdemos bestätigen diesen Eindruck: Obwohl das NATO-Treffen in Neapel abgesagt worden ist, kamen 20.000 Menschen, um gegen die imperialistischen Hegemonialbestrebungen zu demonstrieren. In Rom marschierten 50.000 Menschen auf und der Friedensmarsch von Perugia nach Assisi lockte sogar 200.000-250.000 Menschen auf die Strasse. Einige Basisgewerkschaften in Italien (Unicobas, LAB, Unicobas-Scuola und CUB) riefen darüber hinaus noch zu einem Generalstreik auf. Die reformistischen Gewerkschaftenführungen und Parteien bemühen sich freilich auch nach Kräften, die Mobilisierungen gegen den Krieg in einem pazifistischen Rahmen zu halten, d.h. das imperialistische Ausbeutungs- und Herrschaftssystem, seinen Staat und seine Militärmaschinerie, nicht grundlegend in Frage zu stellen.
Die Progressivsten unter den Kriegsgegnern, die einigen Ländern auch eine wesentliche Rolle spielen, sind die Organisationen der radikalen Linken — vor allem die aus trotzkistischer Tradition. Sie lehnen die Anwendung von Gewalt zur Erreichung bestimmter Ziele nicht an sich ab, sehr wohl aber, wenn es um die Durchsetzung imperialistischer Machtinteressen dient. Subjektive Revolutionäre kämpfen auf der Seite der durch das Kapital ausgebeuteten Menschen und durch den Imperialismus unterdrückten Völker für eine Verbesserung ihrer Lebenssituation. Da deren vollkommene Befreiung innerhalb des Kapitalismus jedoch nicht verwirklicht werden kann, muss es das Ziel revolutionärer Organisationen sein, in der Anti-Kriegsbewegung für eine antiimperialistische Ausrichtung zu kämpfen, letztlich mit dem Ziel der Zerschlagung des kapitalistischen Systems — und die Chance zu nützen, immer mehr Menschen für eine solche Perspektive zu gewinnen.