Bereits seit ein paar Jahren regt sich Opposition gegen das Straßenneubauprojekt „Lobautunnel“ am Wiener Stadtrand, seit Monaten sind nun Baustellen durch Klima-Aktivisti1 besetzt. Es gab Einschüchterungsversuche durch Klagedrohungen und einen Brandanschlag auf das Protestcamp. Anfang Dezember verkündete die grüne Klimaministerin das Aus für einen Teil des Projekts, es droht jedoch ein Rechtsstreit mit unklarem Ausgang. In diesem Konflikt geht es um klimaschädliche neue Straßen, aber auch um die städtische Lebensqualität und ein Kräftemessen zwischen der Klimabewegung und ihren Gegner:innen: Politik und Kapital.
Beim Lobautunnel handelt es sich um ein bereits 20 Jahre altes Projekt für einen massiven Straßenneubau am südöstlichen Stadtrand Wiens. Es besteht zum einen aus dem eigentlichen „Lobautunnel“, einer 19km langen Autobahn, teilweise unter dem Nationalpark Donau-Auen. Zum anderen geht es um den Bau der sogenannten „Stadtstraße“, einer Schnellstraße, die die Verbindung zwischen Lobautunnel, bestehenden Autobahnen und Wohngebieten herstellen soll. Geschätzte Gesamtkosten: 2 bis 5 Milliarden Euro.
Die Stadt Wien vermarktet sich als „Klimamusterstadt“, dennoch will die regierende sozialdemokratische SPÖ den Straßenneubau auf Biegen und Brechen durchsetzen. Das ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Unterstützung erhält sie dabei von der ÖVP (Österreichische Volkspartei), die sowohl in der Bundesregierung als auch im Wien umgebenden Bundesland Niederösterreich den Ton angibt. In diesem Ballungsraum leben knapp drei Millionen Menschen, ein Drittel der österreichischen Bevölkerung. Es gibt einen sich ausdehnenden „Speckgürtel“ mit vielen Einfamilienhäusern, Grundstücke und Immobilien in Stadtnähe werden immer teurer. Die Folge sind viele Pendler:innen, die das Auto nützen oder darauf angewiesen sind.
Wachsende Stadt: Profite statt Planung
Doch auch die Stadt Wien selbst ist in den letzten 15 Jahren um 300.000 Einwohner:innen gewachsen und steht nun bei knapp zwei Millionen. Es gab und gibt einen Bauboom, der von privaten Immobilienfirmen getragen und befeuert wurde, die Wohnungspreise und Mieten sind explodiert. Der flächenmäßig größte Bezirk „Donaustadt“ im Südosten Wiens wächst dabei besonders stark – genau dort sollen Lobautunnel und Stadtstraße gebaut werden. Ursprünglich lagen dort verstreut Dörfer zwischen den Feldern vor den Toren der Stadt. Heute ist der Bezirk eine wilde Mischung aus alten Dorfkernen, großen Neubausiedlungen, Einfamilienhäusern, Einkaufszentren, Feldern, Straßen und Autobahnen.
Statt eines geplanten Städtebaus, der von Beginn an Wohnen und Infrastruktur, sowohl im Neubau als auch im Bestand, zusammen denkt, wurden nach und nach Grundstücke an Bauträger vergeben. Es entstand ein wirres, beziehungsloses Durcheinander von Neubauten, die auf Profitmaximierung hin geplant wurden. Die Infrastruktur dazwischen – vor allem Straßen – wurde aus Steuergeld bezahlt. Im Jahr 2013 wurde die Verlängerung der U-Bahnlinie 2 quer durch die Donaustadt fertiggestellt, bis heute fehlen aber weitere entscheidende Schritte zum Ausbau von Öffis2 und Radwegen. Die Autonutzung und -abhängigkeit ist in der Donaustadt immer noch groß.
Infrastruktur für Investor:innen
Die neue U-Bahn-Endstation befindet sich im Stadtentwicklungsgebiet „Seestadt Aspern“, ein Vorzeigeprojekt der Stadt Wien: eine eigene Stadt (am Wiener Stadtrand) für Zehntausende Menschen rund um einen See – angepriesen als autofreie Stadt der kurzen Wege mit U-Bahnanschluss direkt ins Zentrum. Die SPÖ Wien ist von ihren eigenen Ankündigungen offensichtlich wenig überzeugt und argumentiert, dass es Lobautunnel und Stadtstraße brauche um (privaten) Wohnungsneubau voranzutreiben und neue Wohngebiete anzubinden (auch die Seestadt).
Diese marktbasierte Strategie der letzten Jahre und Jahrzehnte, den (vielfach privaten) Wohnungsbau mit lukrativen Grundstücken und Infrastruktur zu fördern, um so genügend Angebot zu schaffen und die Wohnkosten niedrig zu halten, ist klarerweise gescheitert. Der angeblich „soziale“ Wohnbau in Wien wird längst von profitorientierten Investor:innen dominiert – und die wollen U-Bahnen und Straßen. Die großen Baufirmen, mit teils exzellenten Verbindungen in die hohe Politik, verdienen am Wohnungs- und Straßenbau.
Diese Politik zog sich auch durch die Regierungszeit von Rot-Grün in Wien (2010 bis 2020). Die Grünen bekamen mehr Radwege und innerstädtische verkehrsberuhigte Begegnungszonen im Austausch für eine kapitalfreundliche Wohnbaupolitik. Die Wiener Grünen stimmten dafür sogar dem Projekt Lobautunnel zu. Heute geben sie sich als ökologische Alternative. Der (einstweilige) Stopp des Lobautunnels durch die grüne Klimaministerin; ist neben dem fragwürdigen Öffi-Klimaticket der einzige Erfolg der Grünen nach zwei Jahren in der Bundesregierung.
Bessere Städte für alle
Besonders perfide ist, dass die SPÖ versucht das Projekt als Klimaschutz und Entlastung für Anwohner:innen zu verkaufen. Dabei zeigen etliche Studien, dass sich der motorisierte Verkehr nur verlagern und längerfristig sogar zunehmen würde. Zudem bedroht der Tunnelbau das ohnehin gefährdete Naturschutzgebiet Lobau.
Es ist gerade die verfehlte und kapitalfreundliche Wohnbaupolitik, die mehr Menschen in grüne Gebiete an den Stadtrand treibt, weil innerstädtisch die Preise für viele unleistbar geworden sind und es dort oft an Ruhe und Natur fehlt. Das auch, weil in guten, zentrumsnahen Lagen massenhaft lukrative, aber gering genutzte oder leerstehende Immobilien entstanden: Luxuswohnungen, halbleere Bürokomplexe, Hotels und „serviced appartments“.
Für manche Lohnabhängige würde sich der Arbeitsweg durch den Lobautunnel verkürzen. Insgesamt würden die Arbeitenden aber weit mehr von qualitativ besserem Städtebau, leistbarem Wohnraum und besseren Öffis und Radwegen profitieren. Klar ist auch, dass es dringend eine wirkliche ökologische Wende braucht und von den Auswirkungen des Klimawandels Einkommensschwächere besonders betroffen sind.
Klimabewegung und Protestcamp
Der Widerstand gegen das Projekt Lobautunnel hat sich über längere Zeit aufgebaut und wurde von verschiedenen Teilen der Klimabewegung aufgegriffen. Ende August wurden schließlich von Aktivisti verschiedener Organisationen (Jugendrat, System Change not Climate Change, Extinction Rebellion, Fridays for Future, Autonome) mehrere Baustellen der Stadtstraße besetzt – bis heute. Mit dabei auch die Initiative „Hirschstetten retten“, die lokale Anwohner:innen vertritt, die keine neuen Straßen in ihren Wohngebieten wollen.
Durch die Besetzung wurde das Thema medial präsenter, die Resonanz in einer linkeren Öffentlichkeit war durchaus groß, sowie auch die Sympathien für die Anliegen. Dennoch entstand keine breitere, dynamische Bewegung. Es kam zu einem Baustopp, der Wiener Bürgermeister nahm zunächst von einer Räumung Abstand, verweigerte jedoch überheblich und autoritär jegliches Gespräch. Anfang Dezember verschickte die Stadt Briefe mit Klagedrohungen in Millionenhöhe an Besetzer:innen (darunter auch 13-Jährige) und „mentale Unterstützer:innen“ (solidarische Menschen und Wissenschafter:innen). Die SPÖ sieht Wien als „ihre“ Stadt an. Proteste und Bewegungen, die nicht kontrolliert werden können und die SPÖ herausfordern, sollen mit allerlei Mitteln autoritär verunglimpft und niedergebügelt werden. Anfang Jänner kam es zu einem Brandanschlag auf einen bewohnten Holzturm im Protestcamp, dessen Hintergründe aber noch unklar sind.
Arbeiter:innen vs. Kapital
Die (einstweilige) Absage des Lobautunnels ist sicherlich ein Erfolg der Klimabewegung und speziell der Besetzer:innen (auch wenn die Stadt Wien am Bau der Stadtstraße festhalten will). Er zeigt, dass es einen Kampf abseits und gegen die herrschende Politik geben kann und muss. Um eine wirkliche Klimawende zu schaffen und zu verhindern, dass die Kosten des Klimawandels weiter durch höhere Preise und Steuern auf die Lohnabhängigen abgewälzt werden, wird es jedoch eine breite, kämpferische Bewegung brauchen. Erst wenn die Arbeitenden die Macht des Kapitals brechen, können wir unsere Lebensqualität sichern und steigern und gleichzeitig dem Klimawandel entgegentreten.
Johannes Wolf, Wien