Die Bildung der FPÖVP-Regierung bedeutet einen Einschnitt in der Entwicklung der Zweiten Republik. Nach 30 Jahren SPÖ-Regierungen kündigen die Unternehmer/innen die Sozialpartnerschaft mit der Sozialdemokratie auf und setzen auf einen verschärften Klassenkampf von oben. Die neue politische Situation schafft aber auch die Möglichkeit, dass sich die österreichische Arbeiterbewegung aus ihrer jahrzehntelangen Apathie löst und mit Klassenkampf von unten antwortet.
Freilich war auch die Politik der Sozialdemokratie durch und durch bürgerlich, ganz dem reibungslosen Funktionieren des Kapitalismus verpflichtet. Bei der Durchsetzung des Neoliberalismus in Österreich hat die SPÖ der heimischen Kapitalistenklasse zuletzt gute Dienste geleistet: von der Zerschlagung der Verstaatlichten in den 80er Jahren bis zu den Sparpaketen Mitte der 90er. Zwischen 1970 und 1995 sind – unter sozialdemokratischer Kanzlerschaft – die Einkommen aus unselbständiger Arbeit (und da sind die Manager etc. dabei) um 200% gestiegen, die aus Vermögen um 1.500%. Die SPÖ an der Regierung hatte dabei fürs Kapital den großen Vorteil, dass sie durch ihre Kontrolle über die Gewerkschaften die Arbeiterklasse ruhig stellen konnte. Dafür war man gerne bereit, den Lohnabhängigen einige Brosamen und vor allem der SPÖ-Bürokratie etliche Posten im Staatsapparat zu überlassen.
In den letzten Jahren waren die Unternehmer/innen aber zunehmend der Ansicht, dass die SPÖ nicht reformfreudig genug ist, um den Abbau des übertriebenen Sozialstaates und der alten sozialistischen Gleichmacherei (PS: 2.500 Österreicher/innen besitzen 70% des Gesamtvermögens) im gewünschten Tempo voranzutreiben. Das ist es auch, was das neue an der FPÖVP-Regierung ausmacht: eine raschere, verschärfte neoliberale Politik, einen Frontalangriff auf die Lohnabhängigen durch eine offene Klassenkampfregierung der Bourgeoisie.
Der Hintergrund für diesen Kurs der Kapitalistenklasse ist die verschärfte Konkurrenz am Weltmarkt, die Zugeständnisse an die Arbeiterklasse zunehmend zu einem lästigen Luxus macht. Die spezifisch österreichische Form der institutionalisierten Sozialpartnerschaft, die aufgrund der traditionellen relativen Schwäche der österreichischen Bourgeoisie eine starke Einbeziehung der Bürokratie der Arbeiterbewegung in den Staat bedeutete, stellt immer mehr ein Hindernis dar.
Nachdem es in den letzten Jahren gelungen ist, die Sozialdemokratie durch ihre staatstragende Verantwortung für die Drecksarbeit der Regierung zu verschleißen, traut sich das in den letzten beiden Jahrzehnten gestärkte österreichische Privatkapital nun endgültig eine härtere Gangart gegen die Arbeiterklasse zu. Neben diversen anderen Verschlechterungen für die Arbeiterklasse geht es den Kapitalist/inn/en vor allem um drei strukturelle Veränderungen:
- eine Verscherbelung weiterer zentraler Teile der Wirtschaft (AUA, Telekom, Post, Austria Tabak, OMV, ÖBB) durch einen Privatisierungsschub, durch eine Filetierung der OIAG;
- ein Aufbrechen der Kollektivvertragsregelungen, um so die Machtposition der Unternehmer/innen gegenüber den einzelnen Belegschaften massiv zu stärken;
- ein Zurückdrängen des Einflusses der Gewerkschaften in Staat und Gesellschaft, eine Entmachtung von sozialpartnerschaftlichen Strukturen, wie Kammern und Sozialversicherungen.
Der durch eine mediale Kampagne erzwungene Rücktritt des sozialpartnerschaftlich orientierten Wirtschaftskammerchefs Maderthaner und seine Ersetzung durch den Modernisierer Leitl war so etwas wie eine Vorentscheidung für Schwarz-Blau und ist ein gutes Beispiel dafür, wo im Kapitalismus die realen Entscheidungen fallen. In den kommenden Wochen trommelten die Industriellenvereinigung und ihr Zentralorgan, Die Presse, für FPÖVP. Und Schüssel&Co. stellte der SPÖ bei den Verhandlungen Forderungen, die gezielt jenseits der sozialdemokratischen Schmerzgrenze angelegt waren. Leute wie Klima, Rudas und Schlögl waren bereit, auch das zu akzeptieren, während die von Nürnberger vertretenen Gewerkschaften dermaßen unter Druck ihrer Basis gerieten, dass sie schon aus bürokratischem Eigeninteresse die völlige Unterwerfung unter das Diktat der Industriellenvereinigung ablehnten.
Mit dem Regierungsabkommen von FPÖVP zeigen sich die österreichischen Kapitalist/inn/en "sehr zufrieden" (Industriellenvereinigung-Generalsekretär Fritz). Und auch das internationale Kapital hat wenig Probleme. Berndorf-Chef Zimmermann: "Geld ist viel schamloser, als man glaubt. (…) Um Investoren müssen sich die Österreicher jedenfalls nicht zu sorgen. (…) der Industrielle in mir weiß, dass letztlich Rendite und Geld stimmen müssen. (…) Es wäre sehr positiv, wenn es in Österreich endlich zu einer inneren Struktur-reform käme. Der Sozialpartnerstaat würde aufgelockert." 3M-Österreich-Boß Höller: "Internationale Konzerne agieren ausschließlich rational. Sie orientieren sich an Steuerquote, Infrastrutur, Arbeitsmarkt (…) Investoren arrangieren sich mit den politischen Gegebenheiten eines Standorts. (…) Als 1970 die SPÖ-Alleinregierung kam, waren die Reaktionen meiner US-Konzernbosse viel ärger als heute." Und auch der Tourismus-Direktor Seitlinger ist wenig aufgeregt: "Die Leute fahren ja auch in die Türkei – und sind selbst unter Franco nach Spanien gefahren."
Auf die bevorstehenden Attacken durch die neue Rechtsregierung ist die österreichische Arbeiterklasse schlecht vorbereitet. Durch Jahrzehnte der Sozialpartnerschaft ruhig gestellt und auf passive Delegierung ihrer Interessen trainiert hat sie kaum Erfahrung mit Klassenkämpfen, mit dem selbsttätigen Eintreten für ihre Interessen. Anders als in vielen anderen europäischen Ländern konnte sich – aufgrund der Sozialpartnerschaft – kein klassenkämpferischer, relevanter linker Pol in der Gesellschaft herausbilden. In dieser Situation ist es nicht verwunderlich, dass viele Lohnabhängige, denen Klassenkämpfe wie die ihrer französischen oder selbst deutschen Kolleg/inn/en völlig fremd sind, entweder der Politik frustriert den Rücken gekehrt oder sich irgendwelchen wohlmeinenden Helfern zugewandt haben – dem Ombudsmann der KroZe oder rechtsextremen Populisten wie Haider.
Die gegenwärtige angespannte politische Situation bietet aber auch ein Chance. Vielen Arbeiter/innen, auch solche, die in den letzten Jahren vielleicht Sympathien für Haiders Populismus entwickelt haben, wird zunehmend klar, dass der FPÖ-Chef nur der Freund eines kleinen Mannes ist, nämlich der von Wolfgang Schüssel, dass sich die FPÖVP-Politik ganz frontal gegen ihre Interessen richtet. In die Gewerkschaften kommt langsam etwas Bewegung. Eine Protestbewegung bis hin zu Streiks ist heute greifbarer als in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Ob die entstehende Bewegung allerdings bald wieder verpufft oder ob sie sich bis zum Sturz der Regierung ausweiten kann, wird davon entschieden werden, welche politischen Kräfte darin die Oberhand bekommen. Mittelfristig wird wesentlich sein, ob der revolutionären Linken – jenseits von sozialdemokratischem Neoliberalismus und medienorientiert-elektoralem KP-Reformismus, aber durchaus mit klassenkämpferischen Teilen aus KPÖ und SPÖ – in den nächsten Jahren eine Neuformierung gelingt. Die Perspektiven dafür werden einerseits von der Entwicklung in den Betrieben und Gewerkschaften abhängen, andererseits aber auch von der politischen und theoretischen Auseinandersetzung zwischen revolutionären und reformistischen Positionen.