Wir dokumentieren anbei Interviews mit afghanischen SozialistInnen. Auch wenn der Krieg mittlerweile bereits wieder aus den Medien verschwunden ist, halten wir diese Interviews für interessant. Sie zeigen einerseits, welche Positionen SozialistInnen in Afghanistan vertreten und andererseits, unter welchen Bedingungen SozialistInnen in Afghanistan den Krieg erlebten und politisch arbeiten. Die InterviewpartnerInnen sind AktivistInnen der „Afghanischen Revolutionären Arbeiterorganisation” (ARLO), einer im Untergrund arbeitenden Organisation.
Das erste Interview führte Shoaib Bhatti. Shoaib ist Herausgeber der von der LPP (Labour Party Pakistan) publizierten Wochenzeitung Mazdoor Jeddojuhd (Arbeiterkampf). Sein Interviewpartner ist Adel, führender Aktivist der ARLO. Der zweite Artikel ist ein Bericht von Alan McCombes, führendes Mitglied der Scottish Socialist Party. Alan besuchte im November 2001 Pakistan. Übersetzt wurden die Berichte und Interviews von der AL.
Shoaib Bhatti: Wird die neue Regierung nach dem Ende der Taliban stark sein?
Adel: Die neue Regierung wird nicht in der Lage sein, auch nur ein Problem der afghanischen Massen zu lösen. Sie wird auch nicht repräsentativ sein. Sie wird Widerspruch nach innen und nach außen erzeugen. Es wird eine abhängige und schwache Regierung sein, die nicht in der Lage sein wird, Frieden zu bringen.
Diese Regierung wird ausschließlich die amerikanischen Interessen verteidigen und diese Interessen liegen vor allem im Profit durch die Erdölexporte. [Anmerkung der Redaktion: Adel spricht von den Ölvorkommen der Region und einer geplanten Pipeline, die von vielen für einen der Kriegsgründe gehalten wird.] Die Öl-Pipeline wird nicht durch den Iran führen, denn diese Route ist sehr teuer, die wahrscheinlichste Möglichkeit ist die Route durch Pakistan, doch der Profit wird in die Taschen der AmerikanerInnen wandern. Pakistan und Afghanistan werden nur sehr wenig profitieren. Pakistan möchte einen Zugang zu Zentralasien bekommen und dieses Interesse wird nicht erfüllt werden. (…)
Neuer Krieg?
Ähnliches gilt für Afghanistan. Wenn die Erwartungen der Stämme nicht erfüllt werden, könnten sie sich für den BürgerInnenkrieg entscheiden. Auch die Mohnproduktion könnte den Beginn einer Auseinandersetzung zwischen den USA und lokalen Stammes-führerInnen markieren.
Es ist auch klar, daß Amerika Pakistan nicht traut. (…) Nach dem Fall der Najib-Ullah Regierung 1992 gab Amerika Pakistan freie Hand. Als Reaktion unterstützte Pakistan den Terrorismus. Diesmal wird Amerika Pakistan keine freie Hand mehr geben. Hier könnte es Spannungen zwischen Amerika und Pakistan geben. F.: Was denkt eure Partei über die neuen Strukturen?
A.: Unsere Partei unterstützt keinerlei aufgezwungene Strukturen. Diese neuen Strukturen werden die amerikanischen Interessen verteidigen. Keine der Gruppen wird die Probleme des afghanischen Volkes lösen, das steht für sie auch nicht auf der Tagesordnung.
Die Reden des ehemaligen Königs Zahir Shah über Wahlen und eine Übergangsregierung sind eine Täuschung. Wegen der Ignoranz und der Massentötungen kann es sein, daß die Afghanen Zahir Shah als Alternative sehen, doch sie werden die Täuschung bald bemerken. Der Enkel von Zahir Shah, Mustafa Zahir, und seine Enkelin Humera Wali arbeiten aktiv an der Restauration der Monarchie. Es wäre möglich, daß Zahir Shah und die neuen Strukturen in einem sogenannten Wahlprozess gewählt werden. Aber das wird eine reine Täuschung sein. Durch diese Wahlen wird es keine wirkliche Volksvertretung geben, die amerikanischen Handlanger werden an die Macht kommen. Amerika wird nicht tolerieren, daß seine Opposition an die Macht kommt.
Seit 1964 bekämpft unsere Partei Zahir Shah. Seine und andere Regierungen haben hunderte unserer ParteigenossInnen getötet. Wir können unsere ParteimärtyrerInnen nicht zur Seite schieben oder vergessen. Wir werden unser Bestes tun, um seinen Betrug zu enttarnen und wir werden die Klassenbewegung stärken, um eine echte Regierung der afghanischen Massen zu etablieren.
Einige Gruppen unterstützen Zahir Shah und sehen in ihm das kleinere Übel. Das wird ein großer Fehler sein. Unsere Partei kann das nicht akzeptieren. Wir kämpfen einen zweifachen Kampf und wir sind hoffnungsvoll, daß dieser Sieg der der armen afghanischen Massen sein wird.