Während die ungleiche Verteilung von Einkommen in Australien zwischen 1915 und 1969 stetig abgenommen hat und bis 1981 relativ konstant blieb, nahm sie in den 90er Jahren – trotz eines Wirtschaftswachstums von 3 bis 4% pro Jahr – dramatisch zu.
Oberflächlich betrachtet scheint diese soziale Krise nicht auf, da das "durchschnittliche" Haushaltseinkommen in den 90er Jahren anstieg, für die unteren 50% der australischen Haushalte fiel das wöchentliche Einkommen jedoch. Ende der 90er Jahre verdienten die oberen 20% der Haushalte fast 50% des gesamten Einkommens, also genauso viel wie die unteren 80% der Bevölkerung. Die Einkommensstatistik verzerrt jedoch das Bild, wenn Untersuchungen über das Vermögen außer Acht gelassen werden. Zwischen 1993 und 2004 stieg der australische Aktienindex um mehr als 150%. Dies kam hauptsächlich den Superreichen zugute. Im Jahr 2000 besaßen die reichsten 200 Familien ein Vermögen von durchschnittlich A$300 Millionen, und es gab 11 Milliardäre, 8 mehr als 1995.
Die reichsten 1% besitzen mehr als die Hälfte der Aktien und die reichsten 10% mehr als 85%. Die unteren 50% der Haushalte der AustralierInnen besitzen jeweils weniger als A$1,000 an Aktien und Vermögen, während die unteren 10% ein negatives (!) Nettovermögen besitzen (durchschnittliche Schulden von A$1,000). Diese Umverteilung von unten nach oben wurde politisch nachgeholfen. Die Labor-Regierungen seit den 80er Jahren reduzierten die höchste Einkommenssteuerstufe von 60% auf 47% und die Unternehmenssteuern von 47% auf 36%, was den Reichtum der Top 200 Haushalte zwischen 1986 und 1996 von A$ 7,3 Milliarden auf A$ 37,3 Milliarden steigerte. Die Hälfte der Steuerkürzungen der konservativen Howard-Regierung haben die oberen 20% eingestrichen.
Wahrend der letzten drei Jahrzehnte hat sich der Anteil der Familien, die in Armut leben müssen, mehr als verdoppelt. Eine vor kurzem publizierte Studie besagt, dass 2,5 Millionen Menschen (einschließlich 732.000 Kinder), d.h. 13% der Bevölkerung, nicht die wesentlichsten Lebensbedürfnisse decken können. Im Jahr 1970 waren weniger als 3% der Haushalte von der Sozialhilfe abhängig, während 1999 mehr als 15% Sozialhilfe bezogen.
Working Poor
Bis Mitte der 70er Jahr war Armut auf Alte, Behinderte und Kranke beschränkt. Heute sind die Armen Arbeitslose und Lohnabhängige. Das wirkliche Niveau der Arbeitslosigkeit (offiziell 5,7%) wird von der Regierung verschleiert. Nach der offiziellen Statistik ist jeder, der eine Stunde in der Woche arbeitet, nicht arbeitslos. Das Magazin National Economics hat berechnet, dass die reale Arbeitslosenrate mindestens 10% beträgt.
Für Jugendliche ist es noch dramatischer: die Arbeitslosenrate von 16 bis 19jährigen liegt mehr als dreimal über den nationalen Durchschnitt. Aborigines haben sogar eine offizielle Arbeitslosenrate von mehr als 26%, die inoffizielle liegt bei 40%.
Eine Charakteristik der letzten beiden Jahrzehnte war insbesondere die Zunahme der "working poor". Der Anteil der Arbeitenden, die in Armut leben, hat zwischen 1973 und 1996 um mehr als 65% zugenommen. Vollzeit-jobs wurden seit den 80er Jahren zunehmend durch schlechtbezahlte Teilzeitjobs ersetzt. Während 1980 "bloß" 15% der Arbeitenden in Teilzeitjobs arbeiteten, stieg dieser Anteil auf 29% im Jahr 2000, der zweithöchste Anteil der Welt. Die große Mehrheit der neugeschaffenen Jobs findet sich daher genau im Teilzeitbereich – und TeilzeitarbeiterInnen verdienen bloß 23,5% des durchschnittlichen Gehalts von Vollzeitangestellten.
Da es unmöglich ist, "nur" mit einem Job durchzukommen, sind viele ArbeiterInnen gezwungen, 2 oder mehr Jobs anzunehmen. Durch die "Flexibilisierung" der Arbeit steigt die Jobunsicherheit und der Arbeitsstress unaufhörlich an, was zwangsläufig zu Familienkrisen führt. Für jene, die noch Vollzeitjobs haben, intensiviert sich der Grad der Ausbeutung dramatisch.
Australien ist eines der wenigen Länder der Welt, in dem sich die durchschnittliche Arbeitswoche seit den 1980er Jahren verlängert hat, durchschnittlich 3,7 Stunden pro Woche. Seit den 80er Jahren hat die Anzahl der Menschen, die mehr als 45 Stunden die Woche arbeiten, um 76% zugenommen. Mehr als 2,5 Millionen Menschen sind gezwungen, länger zu arbeiten, viele davon LastwagenfahrerInnen, Bergbau- und FabriksarbeiterInnen, was zu einem Anstieg von Arbeitsunfällen und Verletzungen führt. Hinzu kommt, dass viele der Überstunden nicht bezahlt werden.
Soziale Krise? Law and Order!
Der Anstieg der Hauspreise hat es vielen Lohnabhängigen unmöglich gemacht, sich in einer Lage, die eine gute Infrastruktur aufweist (d.h. gute öffentliche Verkehrsanschlüsse, Unterhaltung, Restaurants, etc.), anzusiedeln. Dies führt zur verstärkt zur Ghettobildung, zu verarmten Gürteln außerhalb der Innenstädte.
Die Verarmung und unsichere Existenz von Millionen Menschen hat zwangsläufig zu Problemen geführt: Scheidungen, Depressionen, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Kleinkriminalität und Selbstmorde. Die Schuld für diese Probleme wird jedoch nicht den sozialen Prozessen gegeben – also den neoliberalen "Reformen" und der Auflösung von sicheren und gutbezahlten Jobs -, sondern den Opfern selbst.
"Law and Order" ist das Motto sowohl von Konservativen wie Labor, und die Zahl der PolizistInnen und privaten SicherheitsbeamtInnen nimmt stetig zu. Seit 1950 hat sich die Zahl der Gefangenen mehr als verdoppelt (von 52 pro 100.000 Menschen auf fast 110 heute). Mehr als 80% der Gefangenen sind wegen Drogenvergehen verurteilt. Aborigines, die am meisten unterdrückten Menschen Australiens, werden fünfzehnmal eher eingesperrt als andere AustralierInnen, und machen 19% der GefängnisinsassInnen aus.
Landung in Australien
Im Oktober 1934 reiste der österreichische "rasende Reporter" Egon Erwin Kisch zum Antikriegskongress nach Australien. Seine Erlebnisse sowie einen Abriß über die Geschichte Australiens hat er in seiner literarischen Reportage "Landung in Australien" festgehalten.
1854 – Die Eureka Stockade
Rundum im Bezirk Ballarat schlossen sich Goldgräber zur Abwehr zusammen. Gewerkschaftliche und politische Forderungen wurden besprochen, die Ballarat Reform League gegründet. Im gesetzgebenden Rat der Kolonie Victoria thronten zehn vom Gouverneur ernannte Mitglieder und zehn Latifundienbesitzer, gewählt von ihresgleichen, deren Stimmenzahl sich nach der Steuerklasse richtete.
Die Ballarat Reform League forderte allgemeines Wahlrecht, "ein Mann, eine Stimme" – "one bloody man, one bloody vote", wie es auf gut australisch in ganz Australien hieß. Statt der starren Monatsabgabe von je dreissig Schilling verlangten die Goldgräber eine Besteuerung nach der Menge des geförderten Goldes, sie verbrannten korporativ ihre Lizenzen, schworen in großen Meetings einen Eid des kämpferischen Zusammenhalts und hissten eine republikanische Fahne, fünf Silbersterne auf firnamentblauem Grund, das Kreuz des Südens.
Mit allen Mitteln versuchte der Gouverneur, diese Bewegung einzudämmen, und seine Helfer waren die Kneipenbesitzer, meist tasmanische Exsträflinge. In Ballarat betätigten sie sich als Spitzel und Provokateure. 1854, im Oktober, schoß einer von ihnen, der Wirt Bently, den Goldgräber Scobie meuchlings nieder; prompt sprach des Gericht den Mörder frei. Die Erregung der Goldgräber entlud sich in einem Exzeß, bei dem das Haus Bentlys in Flammen aufging. Idealer Anlaß zum Einschreiten der Obrigkeit. Sie verbot alle Versammlungen, ordnete eine Sperrstunde an, kein Licht durfte abends brennen, wahre Treibjagden und Massenverhaftungen wurden unternommen. Half alles nichts. Am 1. Dezember, dem Monatsersten, an dem jeder seine Lizenzgebühr abführen sollte, führte sie fast keiner ab.
Gouverneur Sir Charles Hotham in Melbourne beschloß, mit dem Aufruhr in den Diggings Schluß zu machen, und zwar so, dass den Australiern ein für allemal die Lust vergehen sollte, von Wahlrecht und Demokratie und sozialen Fordungen zu schwätzen. 1200 Soldaten vom 12. und 40. Regiment, vier Feldgeschütze, zehn Munitionswagen wurden nach Ballarat abgefertigt.
Die Digger organisierten gemeinsame Gegenwehr. Auf dem Claim "Eureka" traten sie zusammen. Waffen wurden ausgegeben, Kugeln gegossen. Um nicht von der Kavallerieattacke niedergeritten zu werden, umzäunten die Diggers ihren Lageplatz mit einer Hürde aus Latten, einer "Stockade". In der Nacht auf Sonntag, den 3. Dezember 1854, stürmte das Militär die Eureka Stockade, aus der verzweifelter Widerstand geleistet wurde. Bis zum Morgen währte die Schlacht. Sterbende und Tote auf beiden Seite der Hürde, Sieg auf der Seite der militärischen Übermacht. Gefangene wurden abgeführt, Steckbriefe gegen die Flüchtigen erlassen, offizielle Berichte über die "Greuel" und Brandstiftungspläne der Goldgräber veröffentlicht, und ein Prozeß mit exemplarischen Strafen sollte folgen.
Der Prozeß folgte, aber mit exemplarischen Strafen wurde es nichts, es kam zu Freisprüchen. Denn wie ein Mann standen die Werktätigen zu den Angeklagten, die Reform League hörte auf, ein Lokalverband vom Ballarater Goldfeld zu sein, sie wurde eine allaustralische Organisation. Das allgemeine Wahlrecht wurde erkämpft, die Steckbriefe dienten als Wahlplakate, und die Führer der Eureka Stockade zogen als Abgeordnete ins neue Parlament ein.
Egon Erwin Kisch
Landung in Australien Erschien erstmals 1937, aktuelle Ausgabe: Aufbau Taschenbuch Verlag