Anfang März verstarb im Alter von 84 Jahren der Wirtschaftswissenschafter James Tobin. Bekannt wurde Tobin als Namensgeber für die sogenannte "Tobin-Tax", eine Steuer auf Devisenspekulationen und für die danach benannte Organisation ATTAC, die diese Steuer fordert. Ein guter Anlass, sich mit Tobin, seiner Steuer und ATTAC etwas näher zu beschäftigen.
Tobin selbst machte 1971 den Vorschlag, eine Steuer auf kurzfristige Währungsspekulationen einzuführen. Tobin schlug eine Steuer – die zwischen 0,1 und einem Prozent betragen sollte – auf alle internationalen Währungstransaktionen vor. Auf langfristige Investitionen würde die Steuer keine großen Auswirkungen haben, weil sie die Kosten des für diesen Zweck bestimmten Kapitals nur marginal erhöhen würde. Im Falle spekulativer Verschiebungen von Kapital jedoch, die oft innerhalb weniger Tage abgewickelt werden, würde selbst ein relativ geringer Steuersatz einen gewissen Zuschlag ausmachen. Die Steuer richtete sich also keineswegs gegen den Kapitalismus, sondern sollte bestimmten Kapitalfraktionen gegenüber anderen in eine bessere Position verhelfen.
Sie hätte aber keine der grossen Währungskrisen der letzten Jahre (Europa 1992, Mexiko 1994-95, Asien 1997-98) verhindern können, da das Ungleichgewicht an den Finanzmärkten so massiv war, dass es sich für die Banken, Finanzinstitutionen und globalen Investmentfonds trotzdem noch gelohnt hätte, große Summen zu verschieben. Gegenüber großen Kapitalverschiebungen wäre die Steuer also wirkungslos, sie wäre unfähig, den Ausbruch der Krise zu verhindern, derentwegen sie eingeführt wurde. Tobin selbst kann keineswegs als fortschrittlich bezeichnet werden, er war hochrangiger Berater von US-Präsident Kennedy und ausgesprochener Befürworter wirtschaftlicher Blockaden von Ländern, die den politischen Interessen der USA entgegenstünden.
Bis zum Ende seines Lebens blieb er seinen politischen Ideen treu. In einem Spiegel-Interview im September 2001 erklärte er u.a., dass der Internationale Währungsfonds, zentrales Instrument zur Unterdrückung der Länder des Südens, gestärkt werden müsse, dass die Armut in den armen Ländern nicht zugenommen habe, dass sie meist nationale Ursachen habe und forderte, etwaige Einnahmen aus seiner Steuer der Weltbank zur Verfügung zu stellen. ATTAC bezeichnete er als "Anti-Globalisierungs-Revoluzzer" und äusserte sich abfällig über ihre Ideen zur "Weltverbesserung". Peinlich für ATTAC, dementsprechend schwach die Antwort im "Spiegel". Die Schmähungen wurden relativiert ("sehen wir ihm die Entgleisung nach"), Tobin wird zum Bündnis aufgefordert und es wird erklärt, dass "der Vorwurf, dass ATTAC internationale Institutionen pauschal ablehnen würde", nicht zutrifft. Im Gegenteil: "WTO, IWF und Weltbank könnten theoretisch hierfür durchaus geeignete Institutionen sein", allerdings müssten sie "grundlegend reformiert werden".
Rückblick: ATTAC-Gründung
Im Dezember 1997 schrieb Ignacio Ramonet, Chefredakteur der französischen Zeitschrift "Le monde diplomatique", einen Aufruf zur Gründung einer neuen Organisation namens ATTAC. Die "Association pour une Taxation des Transactions financières pour l'Aide aux Citoyens" ("Vereinigung zur Besteuerung der Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen") bezog sich auf die Ideen von James Tobin und ließ diesen damit weltweit bekannt werden.
ATTAC kam zur richtigen Zeit mit der vorgeblich richtigen Idee. Die Gründungsveranstaltungen der nationalen ATTAC-Sektionen waren meist überaus gut besucht, viele Menschen schätzten die neue nicht-parteigebundene Organisation, aber auch die Medien trugen durch massive Berichterstattung zum Erfolg der einzelnen Sektionen bei. Innerhalb von ATTAC gibt es viele Menschen, die ehrlich etwas gegen die kapitalistische Globalisierung tun wollen, sie betrachten wir als natürliche BündnispartnerInnen.
Doch einer der Gründe für den Erfolg von ATTAC war und ist, dass die Programmatik dem gesellschaftlichen Bewusstsein so weit entgegenkommt, dass sie für breite Kreise akzeptabel ist. Eines aber ist sie sicher nicht: grundlegend gesellschaftsverändernd. In dieser Breite finden sich dann prominente GewerkschafterInnen wie Hans Sallmutter oder Franz Küberl von der Caritas, ebenso wie Organisationen, die sich auf den Trotzkismus beziehen (zu deren Ehrenrettung sei gesagt, dass sie zumindest teilweise versuchen, andere Positionen in ATTAC mehrheitsfähig zu machen). Schützenhilfe in ihrem Kampf für die Tobin-Tax erfahren sie alle dabei etwa von Bundeskanzler Schröder, dem französischen Noch-Premier Jospin und rund 100 französischen Abgeordneten, dem kanadischen Parlament oder dem stv. Generalsekretär der Wirtschaftskammer, dem VP-Abgeordneten Mitterlehner.
Diese Breite ist nicht verwunderlich, schon in den ersten Erklärungen von ATTAC heisst es: "Die Globalisierung des Finanzkapitals verunsichert die Menschen: Sie umgeht und demütigt die Nationalstaaten als die maßgeblichen Garanten von Demokratie und Allgemeinwohl", damit wurde klar gemacht, dass sich die neue Bewegung keineswegs gegen den Kapitalismus richtet, sondern sich "protektionistisch" (beschützend) vor die Nationalstaaten stellt. Dabei "die Nationalstaaten" als Garanten der Demokratie darzustellen, ist bei näherer Betrachtung nur die Krönung mangelnder Analyse. Es folgt die Forderung "gegen jede weitere Preisgabe staatlicher Souveränität", alles bewegt sich in kapitalistischer Systemlogik. In einem Artikel von J. Berthelot (Le Monde Diplomatique, März 2000) wird sogar vorgeschlagen, den Freihandel durch die Errichtung von Zollbarrieren zwischen den regionalen Wirtschaftsblöcken einzudämmen. Die EU wird aufgefordert, ihren Markt vor "billigen Rohstoffen von ausserhalb" zu schützen.
Im Gegensatz zu Tobin fordert ATTAC, dass die Erträge aus der Steuer der UNO zur Verfügung gestellt werden, die diese dann verteilen können. "Vergessen" wird dabei, dass die UNO in den letzten Jahren immer stärker Erfüllungsgehilfe der USA wurde und dementsprechend auch die Erträge Staaten, die der UNO nicht genehm sind, vorenthalten würden. Diese naive Einstellung gegenüber Institutionen des kapitalistischen Systems wie UNO, IWF oder Weltbank zieht sich wie ein roter Faden durch das ATTAC-Programm
In einer von Arte im März 2000 ausgestrahlten Sendung betonte Ramonet, dass er keineswegs die Absicht hätte, dem Kapitalismus zu schaden, sondern, im Gegenteil, versucht ihn zu stabilisieren, indem er gegen den Freihandel kämpft.
In ihrer Rede auf dem ersten Weltsozialforum machte es ATTAC-Frankreich Vizepräsidentin Susan George noch einmal klar: "Es tut mir leid, es zuzugeben, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, was ‚Sturz des Kapitalismus' im frühen 21. Jahrhundert bedeuten soll." Sie geht sogar noch weiter. Nach den Attentaten des 11. September erklärte US-Präsident Bush in seinem Kampf gegen den "Terror" auch den Kampf gegen Steueroasen. Es folgt nicht etwa eine kritische Analyse von George, sondern der Kommentar: "Selbst George Bush hat erkannt, dass Steueroasen schlecht für die Wirtschaft sind. Danke George Bush! Sie haben gezeigt, dass es sich empfiehlt, das Programm von ATTAC umzusetzen." Vielleicht wird Bush ja sogar Mitglied, der deutsche "linke" SPDler Oskar Lafontaine ist es schon, der nach dem 11.9. die Auffassung vertrat, leere Staatskassen und eine zu liberale Einwanderungspolitik untergrüben die innere und äussere Sicherheit.
Ein paar Brocken
Am deutlichsten formulierte aber Ramonet selbst die Rolle von ATTAC in einer Diskussion mit dem rechten Ökonom Thomas L. Friedman. Er erklärte: "Um ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen, sind Millionen Menschen rund um die Welt ohne Zweifel bereit, Barrikaden zu errichten und Gewalt anzuwenden. Ich bedaure eine solche Lösung ebenso sehr wie Friedman. Aber falls wir klug sind, sollte es nie so weit kommen. Warum sollen wir nicht einen winzigen Teil des Reichtums der Welt den ‚Verdammten dieser Erde' zur Verfügung stellen?" Er schloss mit der Frage: "Was können wir tun? Wie halten wir die Hälfte der Menschheit davon ab, dass sie rebelliert und Gewalt anwendet?" Nun, und hier unterscheiden wir uns. Ramonet und Co wollen die Menschen davon abhalten, gegen den Kapitalismus zu rebellieren, wir wollen sie dabei unterstützen.